DEUTSCHLAND
Kritisches-Netzwerk
Von Wolfgang Blaschka
Ausgesuchte Knabenstimmen zum Engelsklang eines berühmten Chores zu verschmelzen war das eine. Das andere war das strenge Strafregime unserer sadistischen Präfekten und Direktoren. Die meisten waren Priester. Die Gottgeweihten bewirtschafteten einen quirligen Tümpel quakender Frösche. Das waren wir. Dann neigten sie sich herab, und siehe da: Im Spiegel der Wasserfläche wurden sie immer öfter zu giftigen Kröten. Wir hatten Angst vor ihnen. Manchmal wurden sie schwach und fischten im trüben Gewässer. Sie, die über uns standen, und die Rohrstöcke sausen ließen, um uns zu dirigieren und abzurichten. Und gelegentlich tauchten sie ein wie in einen Jungbrunnen. Die Opfer von damals sind heute Mitte Fünfzig. Sie befinden sich immer noch im Bann ihrer früheren Qualen.
Einen habe ich getroffen, einen Schauspieler, der im Gespräch beim Kaffeetrinken stotterte. Als ich nachfragte, wie das denn zusammengehe und woher das komme, meinte er nur lakonisch: „Domspatzen“. – „Was, Du auch?“ Und er erzählte mir von seiner Vergewaltigung im Arbeitszimmer des Direktors in Etterzhausen: „Er legte mich vornüber auf den Schreibtisch, zog mir die Hosen herunter und fi….e mich von hinten.“ Klare Aussage. Gar nicht gestottert. Das Stottern war auch nie auf der Bühne, vor Publikum, mit vorgegebener Rolle, nicht einmal bei den Proben. Nur im normalen Leben in privaten Gesprächen, wo er nie wusste, was der nächste Moment brächte und ihm abverlangte, da würde er ins Schlingern geraten. Eine echte Verdrehung im Verhalten, das die meisten genau andersrum an den Tag legten: Sie würden unsicher vor größeren Gruppen, vor einem Auditorium, vor der Öffentlichkeit.
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