| Ein Bistum Will Bu?e Tun
By Andreas Glas
Sueddeutche
October 13, 2016
http://www.sueddeutsche.de/bayern/missbrauchsskandal-ein-bistum-will-busse-tun-1.3201821
![Die Kirche arbeitet die Vergangenheit der Regensburger Domspatzen bis zum Jahr 1992 nun schonungslos auf. Hier ein Konzert aus dem Jahr 2009. (Foto: Tobias Gerber/laif)](../images16/2016_10_13_Glas_EinBistum_ph_Kirche.jpg ) |
Die Kirche arbeitet die Vergangenheit der Regensburger Domspatzen bis zum Jahr 1992 nun schonungslos auf. Hier ein Konzert aus dem Jahr 2009. (Foto: Tobias Gerber/laif)
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Nach Jahren der Eiszeit kommen sich die katholische Kirche und die Opfer des Missbrauchsskandals bei den Regensburger Domspatzen naher. "Wir haben etwas erreicht, von dem wir jahrelang getraumt haben", sagte der fruhere Domspatz Alexander Probst am Mittwoch bei einer Pressekonferenz des Aufarbeitungsgremiums aus Kirchen- und Opfervertretern.
Seit Februar hatte das Gremium uber Konsequenzen der jahrzehntelangen Ubergriffe verhandelt, nun kundigte Regensburgs Bischof Rudolf Voderholzer an, die Opfer bis Ende 2017 finanziell zu entschadigen. Je nach Schwere der korperlichen und sexuellen Ubergriffe erhalt jeder Betroffene zwischen 5000 und 20 000 Euro. "Es ist ein Zeichen, dass wir es ernst meinen", sagte Voderholzer.
Als weiteren gemeinsamen Schritt verkundete das Gremium, eine unabhangige Opferberatungsstelle beim Munchner Informationszentrum fur Manner (MIM) einzurichten. Diese Anlaufstelle war eine zentrale Forderung der Opfervertreter, damit Betroffene sich kunftig nicht mehr direkt an die Kirche oder den von der Kirche eingesetzten Aufklarer wenden mussen.
Die Beratungsstelle ist vor allem fur jene Opfer gedacht, die sich bisher noch nicht getraut haben, sich zu melden. Sie bekommen dort auch Hilfe beim Antrag auf finanzielle Entschadigung. Zudem hat das Gremium zwei Studien in Auftrag gegeben. Eine sozialwissenschaftliche Studie soll Mechanismen erforschen, die Missbrauch im Allgemeinen begunstigen. Dazu soll eine historische Studie die internen Strukturen bei den Domspatzen analysieren. Die Ergebnisse der Studien sollen dem Bistum helfen, Ubergriffe kunftig zu verhindern und Fehler im Umgang mit dem Skandal zu erkennen.
"Es schmerzt mich. Mir tut jeder einzelne Fall in der Seele weh", sagte Bischof Voderholzer am Mittwoch. "Ich kann es nicht ungeschehen machen und die Betroffenen nur um Vergebung bitten." Er zeigte sich zufrieden mit den Verhandlungen zwischen Kirche und Opfervertretern. Nun seien "die Weichen gestellt" fur eine vollstandige Aufarbeitung der korperlichen und sexuellen Ubergriffe, sagte Voderholzer. Er betonte allerdings, dass es nur den Opfern und nicht dem Bistum zustehe, "einen Schlussstrich zu ziehen".
Vertreter der Opfer zeigten sich erleichtert uber die Bemuhungen
Zur Rolle seines Vorgangers Gerhard Ludwig Muller wollte sich Bischof Voderholzer aber auch diesmal nicht au?ern. Auf Nachfrage sagte er lediglich: "Wir sind alle in einem Lernprozess. Wir lernen jeden Tag dazu." Im Gegensatz zu Voderholzer hatte sich Muller nie um Aussohnung bemuht, nachdem vor sechs Jahren die ersten Missbrauchsfalle bekannt geworden waren.
Bis zum Ende seiner Amtszeit im Jahr 2012 hatte Muller stets von "Einzelfallen" gesprochen und sein Bistum als Opfer einer Medienkampagne dargestellt. Auch Nachfolger Voderholzer musste sich lange Zeit vorwerfen lassen, die Tater von damals auch heute noch in Schutz zu nehmen. Man habe nicht das Recht von Tatern zu sprechen, weil niemand rechtskraftig verurteilt worden sei, hie? es noch zu Jahresbeginn aus dem Bistum. Zumindest mit Blick auf die Opfer im Domspatzen-Skandal hat sich der Ton unter Rudolf Voderholzer geandert. Das Bistum wolle die Betroffenen "befreien von dem, was geschehen ist" und dafur sorgen, dass sie sich "nicht noch selber rechtfertigen mussen".
Das Aufarbeitungsgremium hatte sich Anfang des Jahres auf Initiative des Regensburger Rechtsanwalts Ulrich Weber gegrundet. Der Anwalt war vom Bistum beauftragt worden, die Vorfalle bei den Domspatzen als unabhangiger Ermittler aufzuklaren. Im vergangenen Januar hatte Webers Zwischenbericht fur Entsetzen gesorgt. Darin war die Rede von mehr als 230 Sangerknaben, die zwischen 1953 und 1992 von Priestern, Lehrern und Erziehern korperlich misshandelt worden waren. Dazu kamen mindestens 60 Falle sexuellen Missbrauchs.
Die neuen Zahlen nahrten damals erneut Zweifel am Aufklarungswillen des Regensburger Bistums. Schlie?lich hatte Anwalt Weber in nur acht Monaten Recherche mehr als doppelt so viele Opfer ermitteln konnen wie die internen Aufklarer des Bistums zuvor in funf Jahren. Am Mittwoch nun sprachen auch die Vertreter der Opfer versohnlich uber das Bistum Regensburg. "Unser Forderungskatalog ist erfullt", sagte Alexander Probst, "die Befriedung ist zum Greifen nahe."
Der heute 56-Jahrige besuchte zwischen 1967 und 1974 zunachst die Vorschule des Domspatzen-Gymnasiums, danach war er Internatsschuler. In dieser Zeit war er mehrfach verprugelt und sexuell missbraucht worden. Auch Opfervertreter Peter Schmitt sprach von einem "Aufbruch" und zeigte sich erleichtert daruber, "dass es nach vielen, vielen Jahren eine Losung gibt fur die vielen Leute, die darauf gewartet haben". Zum Abschluss seiner Arbeit bemuht sich das Gremium nun noch um ein klarendes Gesprach mit Gerhard Ludwig Muller, mittlerweile Glaubensprafekt in Rom.
Unterdessen hat Ermittler Ulrich Weber die Zahl der Betroffenen nach oben korrigiert. Seit Januar dieses Jahres haben sich weitere 129 Betroffene bei ihm gemeldet. Die Gesamtopferzahl steigt damit auf 422; die Dunkelziffer liegt nach Webers Schatzungen bei 600 bis 700 Opfern.
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