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Gewalt in Katholischen Behinderten-heimen War Alltag

Deutsche Welle
June 23, 2016

http://www.dw.com/de/studie-gewalt-in-katholischen-behinderten-heimen-war-alltag/a-19350272

"Weinen war nicht erlaubt. Und wenn doch, gab's auch dafur Schlage", erinnert sich die Bewohnerin eines katholischen Behindertenheims. Und ein anderer berichtet: "Da wurden wir in einen dunklen Raum gesperrt (...) das war fur mich das Schlimmste, was es gab."

Erstmals geht eine Studie einem dunklen Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte nach: dem Alltag und dem Leid vermeintlicher oder tatsachlich geistig behinderter und psychisch kranker Kinder und Jugendlicher, die zwischen 1949 und 1975 in katholischen Heimen der Behindertenhilfe aufwuchsen.

Experten der Katholischen Hochschule Freiburg befragten unter Leitung der Sozialpadagogin Annerose Siebert mehr als 300 Personen, die in den Heimen Westdeutschlands aufwuchsen. Und horten viele erschutternde Berichte. So gaben 70 Prozent an, korperliche Gewalt erduldet zu haben. Dabei reichte die Bandbreite von Ohrfeigen uber Schlage mit Hand, Gurtel oder Rohrstock bis zum Herausrei?en von Zehennageln als Strafe fur einen Fluchtversuch.

Jeder Dritte wurde Opfer sexueller Gewalt

Rund 60 Prozent berichteten von Erfahrungen, die die Studienmacher als psychische Gewalt einordnen: Erzieherinnen stellten Kinder wegen Bettnassens vor der Gruppe blo? oder sperrten angstliche Kinder in dunkle Keller. Jugendliche wurden gezwungen, ihr Erbrochenes zu essen.

Caritas-Prasident Peter Neher kundigte an, aus den Studienbefunden Konsequenzen zu ziehen

Jeder Dritte der Befragten sprach uber sexualisierte Gewalt: So lie? sich ein Einrichtungsleiter und Pfarrer im wochentlichen Pflicht-Beichtgesprach ausfuhrlich uber "Verfehlungen gegen das Keuschheitsgebot" erzahlen. Bei Gesundheitsuntersuchungen mussten sich Pubertierende die Geschlechtsorgane abtasten lassen. Eine Frau berichtete den Wissenschaftlern von Zwangssterilisationen.

Hinzu kommt, dass fast ein Viertel der Befragten angab, bis heute nicht zu wissen, warum er oder sie eigentlich in das Heim gebracht wurde. Haufig kam es zu Fehleinweisungen: Verhaltensauffallige oder schwer erziehbare Kinder wurden kurzerhand als psychisch krank oder geistig behindert eingestuft und zwangseingewiesen.

"Studie bestatigt Erfahrungen und Leiden"

Der Geschaftsfuhrer der Caritaskommission der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Stucker-Bruning, sagte, die Studie sei ein wichtiger Schritt zur Rehabilitation der Betroffenen. Sie bestatige ihre Erfahrungen und ihr Leiden. Er begru?te die Einigung von Bund und Landern uber die Stiftung "Anerkennung und Hilfe". Diese hatten sich in der vergangenen Woche darauf geeinigt, gemeinsam mit den Kirchen den neuen Fonds fur Betroffene zu finanzieren. Ehemalige Heimkinder sollen eine pauschale Anerkennungssumme von 9.000 Euro erhalten. Fur Rentenleistungen werden bis zu 5.000 Euro ausgezahlt.

Berechnungen zufolge leben noch rund 97.000 ehemalige Heimkinder in Deutschland, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe waren oder sind. Bis in die 1970er Jahre waren 95 Prozent der Heime in kirchlicher Hand. Rund 40 Prozent wurden von der katholischen Kirche und Ordensleuten gefuhrt, 60 Prozent von evangelischen Tragern. Von der evangelischen Kirche gibt es noch keine derartige Studie.

Bitte um Vergebung

Caritas-Prasident Peter Neher bat die Betroffenen um Vergebung "fur das Leid, das ihnen in Einrichtungen der Caritas wiedererfahren ist". Sein Verband werde alles tun, um "aus den bedruckenden Befunden der Studie" Konsequenzen fur die fachliche und politische Arbeit zu ziehen.

Die Munsteraner Ordensfrau Katharina Kluitmann erklarte, die Orden seien "beschamt uber das vielfache Leid, das Menschen, die besonderen Schutz gebraucht hatten, gerade dort - auch von Ordensleuten - angetan wurde". Neben Einzelnen, die ihre Macht eindeutig missbraucht hatten, habe es Strukturen der Uberforderung gegeben, die zu Handlungen gefuhrt hatten, "die auch den damaligen strafrechtlichen und padagogischen Standards nicht genugt hatten", so Kluitmann, die im Vorstand der Deutschen Ordenskonferenz ist.

Fur die Studie des Bundesverbands Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) befragten Freiburger Sozialwissenschaftler in den vergangenen drei Jahren ehemalige Bewohner von katholischen Einrichtungen der Behindertenhilfe. Die Interviewpartner wurden in leichter Sprache oder mit Hilfe von Gebardendolmetschern befragt. Alle leben bis heute in einer katholischen Einrichtung.

 

 

 

 

 




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