| Ehrliche Reue Sieht Anders Aus
TAZ
June 1, 2016
http://www.taz.de/Kommentar-Kirche-und-Missbrauch/%215308107/
Zum vierten Mal stand das Thema sexueller Kindesmissbrauch auf der Agenda eines Katholikentags in Deutschland. Obwohl es bei der Versammlung der katholischen Laienorganisationen in Leipzig einige Veranstaltungen dazu gibt, erscheint sexuelle Gewalt dort vor allem als zu bewaltigendes Einzelschicksal. Auch in Leipzig wird so die Chance verpasst, endlich die systematischen Ursachen der zahlreichen Missbrauchsfalle in kirchlichen Einrichtungen, Heimen, Schulen und Pfarreien zu besprechen.
Zur Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Jungen und Madchen in der Kirche gibt es kein Gesamtbild fur Deutschland – und soll es wohl auch nicht geben. Die von den Bischofen beauftragten Wissenschaftler werden erst im nachsten Jahr erste Berichte vorlegen. Die dabei genutzte Auswertung der von einigen Bistumern zur Verfugung gestellten Akten kann dabei schon jetzt getrost als gescheitert angesehen werden, weil sie, wenig verwunderlich, wenig Neues zu den zentralen Fragen beitragen konnen.
Wie viele Tater haben in den letzten Jahrzehnten in welchen Einrichtungen wie viele Jungen und Madchen zu Opfern gemacht, wie gro? ist dabei wissenschaftlich plausibel das Dunkelfeld? Wo liegen die Ursachen fur die regelrechten Taterkarrieren und die zahlreichen Serientaten? Welche Mechanismen haben an der Verschleierung und dem Verschweigen mitgewirkt? Wer waren die Verantwortlichen? Welche Risikofaktoren lassen sich daraus fur die heutigen Institutionen ableiten? Und durch welche Ma?nahmen lassen sich diese Risiken reduzieren oder neutralisieren? All diesen Fragen weicht die Katholische Kirche beharrlich aus.
Auch wenn inzwischen flachendeckend Praventionsprogramme ausgerollt werden und das Thema sexuller Kindesmissbrauch damit vordergrundig auf der Agenda angekommen ist: Die Ernsthaftigkeit wird zugleich dementiert, wenn Bischofe, die im Umgang mit ubergriffigen und verbrecherisch handelnden Priestern versagt haben, weiterhin im Amt bleiben. Dass in Rom als Verantwortlicher fur alle Missbrauchsfalle weltweit ausgerechnet ein Kardinal steht, der in seiner Amtszeit als Bischof von Regensburg alles getan hat, um die Aufarbeitung von Missbrauch zu behindern, ist ein fortdauernder Skandal. Erst nach dem Weggang von Kardinal Muller beginnt dort endlich die uberfallige Auseinandersetzung mit dem Missbrauchs- und Gewaltsystem bei den Regensburger Domspatzen.
Es geschah wenig
Andernorts wurden Berichte uber Tater und ihre Taten erhoben. Doch uber das Zahlen der Opfer hinaus geschah wenig. Zum Beispiel um das Verstandnis fur die eigenen institutionellen Ursachen bei den Jesuitenschulen zu erhohen, die 2010 Ausgangspunkt der Aufdeckungswelle waren.
Einrichtungen, die gute, wissenschaftlich fundierte Berichte erstellt haben, wie das Kloster Ettal, tun sich bis heute schwer, diese der Offentlichkeit zu prasentieren. Wieder anderen Bistumer haben bis heute keine Berichte vorgelegt.
Zur Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Jungen und Madchen in der Kirche gibt es kein Gesamtbild fur Deutschland – und soll es wohl auch nicht geben
Die Frage der Entschadigung wartet immer noch auf eine befriedigende Losung. Die von den deutschen Bistumern uber die Kopfe der Betroffenen hinweg dekretierte „Anerkennungszahlung“ ist es nicht. Die bekannte Intransparenz setzt sich im Antragsverfahren fort. Bis heute muss jede oder jeder, der wissen will, wie viele Opfer sich bei der Kirche gemeldet haben, wie viele eine Anerkennungszahlung aktuell beantragt haben, wie viele Hilfen beantragen, die Zahlen muhsam zusammen klauben.
Die versprochenen schnellen, unburokratischen Hilfen wurden in Einzelfallen gewahrt, die Beteiligung am staatlich organsierten erganzenden Hilfesystem EHS blieb fast unbekannt und wirkungslos.
Auch in Zukunft aber brauchen die Opfer Hilfen. Dazu muss ein Weg gefunden werden, diese in Anspruch nehmen zu konnen, ohne unnotig mit der Institution der Tater in Kontakt zu kommen. Vielleicht kann eine Stiftung oder ein Opfergenesungswerk, diese Aufgabe in der Zukunft ubernehmen.
Angstlichkeit und Abwehr
Der Umgang mit den Betroffenen der eigenen Institution ist nicht nur bei der Kirche immer noch von Angstlichkeit und Abwehr gepragt. Ein offener Austausch wird verweigert. Stattdessen werden die eigenen Anstrengungen fur die Pravention hervorgehoben. Eine von den Opfern immer wieder angebotene Einbindung in die kirchlichen Initiativen zum Kinderschutz hat fast gar nicht stattgefunden.
Die Fragen nach den systemischen Ursachen und unangehmen Risikofaktoren werden auch auf dem Katholikentag in Leipzig nur am Rande gestellt, etwa im Alternativprogramm der Laienorganisation Wir sind Kirche: Die Uberhohung des mannlichen Priesters und der mannerbundische Klerikalismus; die Ausgrenzung und Abwertung der Frauen, die verbal geschatzt werden, aber von aller Macht ausgeschlossenen sind; die leibfeindliche Moral und das dunkle Verstandnis von Sexualitat, die geradezu zwanghafte Fixierung auf die Sunde im Sexuellen; die durch unlebbare Vorschriften zur Sexualitat von Priestern und Laien erzeugte Doppelmoral. Die mangelnde Transparenz bei innerkirchlichen Vorgangen und der Personalauswahl.
Solchen Themen, die Lehre und die Organisationsform der katholischen Kirche betreffen, wollen sich die Verantwortlichen nicht stellen. Damit dementieren sie ihre Beteuerung, man habe aus dem Skandal gelernt und wahlweise „die Opfer“ oder die „Kinder“ stunden nun im Mittelpunkt allen kirchlichen Handelns.
Ehrliche Reue sieht anders aus. Eine wirkliche Entschuldigung bei den Opfern, die von diesen angenommen werden kann, verbunden mit dem Willen zur Wiedergutmachung, hat es nie gegeben. Der sogenannte Bu?akt der Bischofe von 2012 war an Gott gerichtet, nicht an die vor dem Dom in Paderborn versammelten Heimkinder und die zahlreichen Missbrauchsopfer.
Fragen was war
Wirksame Aufarbeitung muss dreierlei leisten: Erheben was war, die Ursachen fur das Geschehene offenlegen und den Opfern Anerkennung vermitteln. Alles drei ist bislang bei der Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendlichen in Einrichtungen der katholischen Kirche in Deutschland nicht gelungen.
Die Aufarbeitung sexueller Gewalt in der Kirche ist noch nicht gescheitert, denn sie hat noch gar nicht richtig begonnen. Die vom Staat eingesetzte Unabhangige Aufarbeitungskommission wird sicher wichtige Impulse liefern. Aber die Kirche und ihre Mitglieder mussen es auch selber wollen. Vielleicht beim nachsten Katholikentreffen.
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