Thema Missbrauch auf dem Katholikentag
By Christine Jeske
MaPost
May 29, 2016
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Bischof Stephan Ackermann auf dem Katholikentag in Leipzig. Photo by Christine Jeske |
Die Farbe Grün leuchtete Besuchern überall entgegen: auf Plakaten, Banderolen, Bändchen, Schals. Grün war das äußere Erkennungszeichen des am Sonntag zu Ende gegangenen 100. Katholikentags in Leipzig. Grün gilt unter anderem als die Farbe des Lebens und der Hoffnung.
Manche sind auch mit der Hoffnung nach Leipzig gekommen, dass ihr Anliegen dort Beachtung findet. Etwa der Themenkreis „Sexueller Missbrauch“, zu dem es zwölf Programmpunkte gab. Insgesamt gab es nach Angaben des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) über 1000 Veranstaltungen.
Die Anzahl allein ist sicher nicht entscheidend, eher das, was gesprochen wird und was dies letztlich bewirken könnte. Um das zu erfahren, mussten Besucher die Veranstaltungen erst einmal finden im dicken Programmheft. Die Onlinesuche auf der Webseite des Katholikentags jedenfalls ergab beim Stichwort „Missbrauch“ null Treffer.
Am intensivsten – aber auch weit entfernt vom wuseligen Treiben im Zentrum Leipzigs, war eine Lesung mit Gespräch in einem Schulgebäude. Wer daran interessiert war, hatte einen längeren Spaziergang vor sich.
In einem kleinen Klassenzimmer erzählte Ursula Schiebel aus Erfurt rund 20 Zuhörern ihre Geschichte: ihre Missbrauchserfahrungen durch ihren Stiefvater, ihre Aufarbeitung, ihre Motivation, darüber zu sprechen. „Scheinbar alles normal?!“ hat sie ihre Lesung überschrieben. Sie schilderte ihre überangepasst Sein als Kind, die „verrückten“ Dinge, die sie als junge Frau tat, etwa wild und ausgelassen tanzen, um wieder herunterzukommen – in eine Mitte, in eine Normalität, die sie so sehr ersehnte.
Ihr Mut und ihre Offenheit erstaunte, ebenso die Verschlossenheit des Organisators der Veranstaltung. Der Pfarrer wollte nicht namentlich genannt werden. Die Opfer seien wichtig. Dazu gehört auch Christina Krüsi aus der Schweiz, die ebenfalls von ihrem Missbrauch, allerdings „im Namen Gottes“, sprach und davon, dass sie kein Opfer mehr sei – vor weit weniger Zuhörern.
Näher am Hauptgeschehen in der Altstadt Leipzigs, dem Veranstaltungszentrum des Katholikentags, gab es eine Podiumsdiskussion. Deswegen und wegen eines prominenten Gastes haben weit mehr Zuhörer den Weg in die Stadtbibliothek gefunden. „Reumütige Kirche. Der schwierige Umgang mit religiös motivierter Gewalt“ lautete der Titel. Unter anderen mit dabei: der Jesuitenpater Klaus Mertes, heute Direktor des Kollegs St. Blasien. Zuvor war er Rektor des Jesuitengymnasiums Canisius-Kollegs in Berlin. Mertes gilt seit 2010 als der Missbrauchsaufklärer im Land.
Konkrete Aussagen,was sich seither getan hat und was noch getan werden sollte, gab es jedoch bei dieser Diskussion in Leipzig nicht. Sie bewegte sich zuweilen mehr in hohen theologischen und abstrakten Sphären. Einzelne Aussagen gab es, die eine Vertiefung verdient hätten. Etwa, der Satz von Pater Mertes: „Opfer fordern Gerechtigkeit, nicht Barmherzigkeit.“
Direkt auf sexuellen Missbrauch ging der Journalist Peter Wensierski ein. Er erwähnte kurz den Fall aus Würzburg, in dem Alexandra Wolf einen hochrangigen Geistlichen beschuldigt. Darüber hatte Wensierski vor zwei Monaten im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtet. An die Adresse von Bischof Stephan Ackermann, Beauftragter der deutschen Bischöfe für alle Fragen sexuellen Missbrauchs, sagte Wensierski, dass vieles nicht geschehen sei was hätte geschehen müssen. Es seien nur schnell Versprechungen gemacht worden.
Bischof Ackermann kam auch selbst zu Wort – direkt an der „Kirchenmeile“ – am Stand der Beauftragten zur Prävention von sexualisierter Gewalt. „Achtsam genug?! Kultur der Achtsamkeit – Prävention schützt und nützt“, unter diesem Motto stand das Gespräch. Die von Gabriele Siegert, Präventionsbeauftragte im Bistum Eichstätt, gestellten Fragen wirkten brav, die Antworten von Bischof Ackermann allgemein. Er sprach von einem Reinigungs- und Veränderungsprozess, der in der Kirche stattgefunden hätte und dass die Achtsamkeit gewachsen sei.
Beiträge aus dem Publikum waren dagegen weniger allgemein. So erinnerte Erika Kerstner, Initiatorin der ökumenischen Arbeits- und Selbsthilfegruppe „Gottessuche“ im Raum Karlsruhe, dass ein Wunsch besteht nach einem strukturierten Dialog zwischen Kirchenverantwortlichen und Opfern. Bischof Ackermann sah diesen Wunsch bereits am Runden Tisch zum Sexuellen Kindesmissbrauch von 2010 und 2011 in Berlin erfüllt und meinte, das es wohl kein Bistum gebe, wo Gespräche mit Betroffenen nicht stattgefunden hätten. Aber es gebe eine unterschiedliche Weise des Betroffenseins, die eine strukturierten Dialog erschwerten.
Erika Kerstner empfang diese Antwort als unkonkret und ziemlich hilflos. Bischof Ackermann habe noch nicht wirklich eine Idee, wie er mit Betroffenen ins Gespräch kommen könnte. Nötig sei zunächst, in Gesprächen zwischen Opfern und Kirchenverantwortlichen die Themen zu erkennen und zu benennen, die Opfern auf den Nägeln brennen. Dann könnten sie vielleicht in Arbeitsgruppen mit Fachleuten und Betroffenen bearbeitet werden.
Bernhard Rasche, Diplom-Theologe aus Bischofsheim in der Rhön und Opfer sexuellen Missbrauchs, sagte dem bischöflichen Missbrauchsbeauftragten, dass Betroffene in keinem Gremium vertreten seien und es keinen strukturierten Dialog gebe. „Wir sind Objekte kirchlichen fachverwalteten Handelns, nicht mehr.“
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