| Die Aufklarung Der Missbrauchsfalle Bei Den Regensburger Domspatzen Lauft
Regensburger Nachrichten
February 11, 2016
https://www.regensburger-nachrichten.de/news/81268-die-aufklaerung-der-missbrauchsfaelle-bei-den-regensburger-domspatzen-laeuft
Sie wurden geprugelt, sexuell missbraucht und gedemutigt. „Ich bin in die Finsternis gekommen. Es war ein Gefangnis mit Schlagen, Tritten und noch viel Schlimmerem“, erzahlt Karsten G. (Name von der Redaktion geandert) von seinen traumatischen Erinnerungen an die Regensburger Domspatzen. Vor sechs Jahren wurden die ersten Missbrauchsfalle in dem beruhmtesten Knabenchor Deutschlands bekannt, mittlerweile wei? man von mehr als 230 Fallen. Die Entschadigung? 2.500 Euro Schmerzensgeld, vielleicht - falls der Antrag vom Bistum nicht abgelehnt wird.
„Wenn die Erzieher, die sogenannten Prafekten, nachts ein Flustern horten, wurde man aus dem Bett geholt und in das Prafektenzimmer gebracht. Ich musste meinen Kopf zwischen seine Schenkel stecken. Bei jedem Schlag auf den Po rieb er sein Glied an meinem Hinterkopf.“ Karsten G. ist noch Jahrzehnte nach diesen Vorkommnissen schockiert, in seinen Augen stehen Tranen. „Es gab kein Entrinnen.“ Der 46-Jahrige schwieg jahrelang, sprach mit niemandem daruber. Seit den 50er Jahren leben die Schuler in dem katholischen Internat der Regensburger Domspatzen, die Regeln waren streng. Erstmals 2010 brach der ehemalige Domspatz Alexander Probst das gro?e Schweigen, er wollte eine Aufklarung und hoffte, damit endlich Frieden zu finden.
Nach ihm meldeten sich immer mehr Opfer und packten aus. Auch Karsten G. ist froh, den Schritt endlich gewagt zu haben. „Prugel gab es nicht nur nachts im Prafektenzimmer, auch im Unterricht, beim Mittagessen, bei dem man nichts sprechen durfte. Wir mussten auf die Empore treten und dann gab es eine Ohrfeige, so dass man alle funf Finger sah. Und der Prafekt konnte das beidseitig. Mehrmals.“ Mit acht Jahren kam Karsten G. zu den Regensburger Domspatzen. Die Konzertreisen gaben ihm Halt, „man war von einem Tag auf den anderen nicht mehr das kleine Kind, sondern ein Star. Man sah die gro?e Welt.“ Es waren solche Momente, die ihm Hoffnung gaben. Doch wie konnte alles so lange geheim bleiben? Wahrend Georg Ratzinger von 1964 bis 1994 Domkapellmeister der Regensburger Domspatzen war, stieg sein Bruder Josef Ratzinger in Rom immer weiter auf, erreichte die dritthochste Stelle im Vatikan bevor er Papst wurde. Er hatte Macht. Macht, die er ausnutze. Laut Medienberichten wies er 2001 alle Bischofe weltweit an, jeden sexuellen Ubergriff in erster Linie dem Vatikan zu melden. Dazu eine Anordnung, die sie strafrechtliche Verfolgung padophiler Geistlicher verhinderte.
Auf die Nachfrage, wie das Bistum zu den Missbrauchsvorwurfen steht, zeigt sich Pressesprecher Clemens Neck betroffen: „Sie durfen mir glauben: Es schmerzt mich und tut mir in der Seele weh: jeder einzelne Fall, hinter dem ja ein Mensch steht, eine Kinderseele in diesen Fallen, schwer gequalt, oft fur das Leben gezeichnet. Ich kann es nicht ungeschehen machen und die Betroffenen nur um Vergebung bitten.“ Au?erdem beteuert er: „ Mein Anliegen war es von Anfang an, mit moglichst vielen Opfern personlich zu sprechen – vorausgesetzt, die Gefahr einer Retraumatisierung kann ausgeschlossen werden – sie anzuhoren und sie auch personlich um Vergebung zu bitten. Ich wollte und will es nicht an die gro?e Glocke hangen, weil es mir um die Menschen selber geht. Aber die Art und Weise, wie die Sache gegenwartig in der Offentlichkeit dargestellt wird, notigt mich, auch offentlich wenigstens ein paar Satze dazu zu sagen. Ich bin Frau Dr. Birgit Bohm sehr dankbar, die – selbst schon todkrank – mich begleitet hat, um Missbrauchsopfer zu besuchen. Leider ist sie schon im Mai 2013 heimgerufen worden. Ich habe dann umgehend, nachdem ihr Nachfolger Dr. Martin Lindner ins Amt gekommen war, auch ihn gebeten, diese Begleitung fortzusetzen und die Besuche auch auf die Opfer von korperlicher Gewalt ausgedehnt.“
Zwei der damaligen Verantwortlichen in Etterzhausen und spater noch in Pielenhofen haben den jungen Buben durch ihr Terrorsystem, dessen einzige padagogische Ma?nahme offenbar die korperliche Zuchtigung war, die Holle bereitet . „Man kann es nicht anders sagen“, so Neck. „Und man wei? nicht, was schwerer wiegt, die Striemen und blauen Flecken am Korper oder die Wunden der Seele, die nicht so schnell, oft gar nicht heilen. Es steht mir nicht zu, uber die Tater zu urteilen oder zu richten. Sie konnen nicht mehr gehort werden, weil sie gestorben sind. Sie mussen sich vor dem Richterstuhl Christi verantworten. Aber es entsetzt und beschamt mich, wenn von so vielen weitgehend Gleichlautendes berichtet wird und dass ihnen nicht geglaubt wurde und somit ihr Leid verdoppelt wurde. Ich mochte heute und an dieser Stelle alle Betroffenen noch einmal ausdrucklich bitten, sich zu melden und Vertrauen zu haben in das Bistum. Uns ist ihr Schicksal nicht egal! Und ich werde weiter, aber im Verborgenen, mit Opfern sprechen und zwar mit moglichst vielen, mit allen, wenn sie es wunschen und wenn ich damit dazu beitragen kann, wenigstens ein wenig an der Heilung mitzuwirken.“
Zur Aufklarung des Falls hat das Bistum Rechtsanwalt Ulrich Weber beauftragt. Er arbeitet unabhangig vom Bistum. „Diese Unabhangigkeit ist von entscheidender Bedeutung fur sein Vorgehen. Deshalb wird das Bistum Regensburg in keiner Weise in diese Arbeit eingreifen.“, erklart Neck. Rechtsanwalt Weber hat das Bistum Regensburg zu Gesprachen eingeladen. Bisher legte das Bistum Regensburg vier Berichte zu Anschuldigungen sexuellen Missbrauchs und korperlicher Misshandlung vor, die auf der Webseite des Bistums einzusehen sind.
Karsten G. kann heute kaum fassen, was ihm und unzahligen anderen Opfern damals passiert ist. „Diesen Blick der Prafekten habe ich nie vergessen. Ein Blick voller Gier.“ - „Ich habe das Bett vor lauter Angst eingenasst. Zur Strafe musste ich den Kopf am urinbefleckten Bettlaken reiben.“ Es waren Demutigungen, mit denen die ehemaligen Domspatzen noch heute zu kampfen haben. „Es gab einen extra Tisch fur die Bettnasser, an dem es nichts zu trinken gab. Manchmal hatte ich so einen Durst, dass ich mich zur Toilette geschlichen und aus dem Wasserhahn getrunken habe. Auch Mahlzeiten fielen weg. Wir hatten standig Hunger und Durst“, erzahlt Karsten G. „An anderen Tagen wurde uns das Betttuch uber den Kopf gestulpt und die anderen Kinder sollten uns auslachen und schikanieren.“ Mit zehn Jahren kam ein Prafekt auf ihn zu und fuhrte ihn in einen Raum, in dem mehrere Schuler Bier trinken, Zigaretten rauchen und Pornos schauen mussten. „Es waren keine Schwulen-Pornos, man sah mal einen Busen, mal eine Schambehaarung.“ Die Prafekten haben genau beobachtet, bei wem die Augen leuchten. „Sie wussten dadurch, bei wem sie leichteres Spiel haben konnten.“ Karsten G. schluckt, das Erzahlen fallt ihm sichtlich schwer. Die Schmerzen sitzen tief. „Irgendwann in der Nacht kam dann ein Prafekt, griff unter die Bettdecke und fasste mir an den Penis. Der wachst und wachst und ich dachte mir nur ‚Oh Gott, was ist da los?‘, naturlich empfindet man das zu einem gewissen Teil auch noch als angenehm. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen soll…“
Zwischen 1945 und 2010 wurden 13 Geistliche wegen sexuellem Missbrauch an Kindern strafrechtlich verurteilt, darunter befanden sich zwei ehemalige Direktoren der Regensburger Domspatzen. Zwei Priester. Das Urteil: Es kam zu Betastungen des Korpers, zu gegenseitiger Onanie, zu Zungenkussen, geschlechtsverkehrahnlichen Handlungen, Schenkelverkehr und einmal auch zu versuchtem Afterverkehr. „Der Direktor hat drei Jungs aus einer Klasse uber mir die Hose ausziehen und seinen Schwanz lutschen lassen. Irgendwann hie? es, die drei Schuler sind von der Schule geflogen. Nach ein paar Monaten ging auch der Direktor.“ Die padophilen Geistlichen hatten leichtes Spiel. „Die konnten tun, was sie wollten. Sie brauchten nur hinfassen. Es war ja alles da“, so Karsten G.
Au?erdem stellt sich die Frage, ob den Schulern Drogen und KO-Tropfen verabreicht wurden. Karsten G. erzahlt au?erdem von einer Behandlung, bei der er sich ohne Kleidung auf einen Stuhl stellen musste, ein Prafekt habe ihn uberall untersucht. Zum Abschluss habe er eine Medizin bekommen, ab diesem Zeitpunkt wei? er nichts mehr. „Es gab Situationen, da wollte man einfach nur noch tot sein.“ Mittlerweile ist der 46-Jahrige seit vielen Jahren in Therapie, er muss ein Leben lang mit den Folgen der Misshandlungen kampfen. „Ich war total einsam, man konnte mit keinem reden. Ich hatte nur in der Kirche beichten konnen. Bei dem Prafekten, der mich misshandelt hat. Er hatte mich von meiner Schuld, ihn verfuhrt zu haben, befreit. Das ist die Ironie an der ganzen Geschichte.“
Karsten G. stellte einen Antrag bei dem Bistum, sein Fall wurde untersucht. In der Zwischenzeit meldete sich der ehemalige Tater bei ihm und bat um ein Treffen. Erst stritt der damalige Prafekt alles ab, dann weinte er. Vor ihm und noch einer Zeugin entschuldigte er sich bei Karsten G.. Trotzdem lehnte das Bistum seinen Antrag ab ohne je personlich mit ihm gesprochen zu haben. „Das Bistum stellte mich als einen Lugner dar. Es ist erniedrigend, beschamend.“ Mittlerweile ist Karsten G. verheiratet, seine Frau gibt ihm Halt, Kraft und ein kleines Stuck Lebensfreude zuruck.
Ganz anders erlebte die Zeit bei den Regensburger Domspatzen Andreas Rauh. Der Journalist und Radiomoderator war selbst in der Zeit von 1990 bis 2001 einer der Schuler. Seine Erfahrungen beschreibt er als durchweg positiv: „Es war die schonste Zeit meines Lebens und dafur bin ich auch heute noch sehr dankbar. Vieles hatte ich ohne die Domspatzen wohl nicht erlebt oder gesehen. Spontan fallen mir da die Fernsehaufnahmen im Euro-Disney Paris mit David Hasselhoff oder die Japanreise 2000 ein.“ Auch die Unterbringung der Kinder habe sich laut Rauh verbessert. „Als ich vor uber einem Vierteljahrhundert zu den Domspatzen kam, da waren wir in der 5. Klasse noch mit sieben Mitschulern auf einem Zimmer, hatten gemeinsame Waschraume fur 30 Personen etc. So ist aus damaliger Sicht das Internat heute ja fast auf dem Standard eines Luxushotels. Die Betreuungsrelation ist auch viel besser. Damals kamen auf einen Erzieher ca. 35-40 Schuler“, merkt Rauh an.
Die fruheren Misshandlungen waren auch unter den Schulern in den 90ern ein Thema. „Auch zu meiner Zeit wurde schon uber Vorfalle in der Vorschule Pielenhofen gesprochen. Das waren aber nie Gesprache mit der Chor-, Schul- oder Internatsleitung. Unter uns Schulern wurde eben erzahlt, dass Direktor Meier wohl sehr streng gewesen sein muss und den ein oder anderen von uns wohl auch mit kraftigen „Watschen“ bestraft haben soll. Wenn man nicht selber dabei war, glaubte man, dass derjenige wohl ein wenig ubertreibt. In Regensburg war man ja auch weit genug von Pielenhofen weg. Mit den heutigen Erkenntnissen erscheinen diese Erzahlungen naturlich in einem vollig anderen Licht. Von sexuellem Missbrauch war aber unter uns Schulern nie die Rede“, erinnert sich der Journalist. Der Umgang in seiner aktiven Zeit war dagegen auf elterlichem Niveau: „Ich glaube nicht, dass sich zu meiner Zeit die Methoden bei den Regensburger Domspatzen sonderlich von denen meiner Eltern unterschieden haben. Sicher gab es Strafarbeiten, dass man mal 3 oder 4 Seiten aus dem Lateinbuch abschreiben musste. Aber von uns wurde nach meiner Kenntnis niemand mehr verprugelt. Auch sexuelle Ubergriffe von Lehrern oder Erziehern habe ich nicht erlebt.“ Unsicheren Eltern empfiehlt er den Gang zu einem Tag der offenen Tur und bestatigt: „Ich wurde meinen Sohn den Domspatzen heute auf alle Falle bedingungslos anvertrauen.“
Eine abweichende Meinung davon hat Michael Sieber, ehemaliger Domspatz und Grunder von intern-at.de, einer Internetseite fur den gegenseitigen Kontakt unter ehemaligen Domspatzen. In einem Interview erzahlt er von seinem Erfahrungsaustausch mit anderen Opfern und schatzt die Lage aus seiner Sicht ein.
1. Wie kam es zur der Grundung von intern-at.de, einer Seite fur den Kontaktaustausch unter ehemaligen Domspatzen?
Das passierte schon im Fruhjahr 2010, als erste Betroffene und ehemalige Mitschuler (als Zeugen) Kontakt untereinander aufgenommen hatten. Es galt Informationen zur Verfugung zu stellen, Unterlagen auszutauschen bzw. allen Beteiligten zuganglich zu machen etc. Es war tatsachlich „intern“, die Seite war nicht allgemein zuganglich. Im Juni 2010 haben sich dann erstmals einige „Ehemalige“ im Altmuhltal getroffen und da entschieden auch einen „offentlichen“ Teil anzulegen, der aber ebenfalls vorerst nicht verlinkt oder in Suchmaschinen eingespeist werden sollte, weil wir abwarten wollten, ob das Bistum Regensburg eine akzeptable Aufarbeitung in Angriff nimmt oder nicht. Deshalb haben wir nach dem Einstellen der ersten Artikel die Adresse der Website auch Vertretern des Bistum Regensburg bekannt gemacht, um zu zeigen, dass wir auch den Weg in der Offentlichkeit gehen werden, wenn wir den Eindruck haben, dass alles wieder unter den Teppich gekehrt werden soll.
2. Welche Rolle spielen Sie dabei, weshalb beschaftigen Sie sich mit dem Fall?
Fur mich personlich war das ein langst abgeschlossenes Kapitel meines Lebens. Ich habe immer offen daruber gesprochen, was ich dort erleben musste. Gemessen an dem was viele andere erlebt haben war es vielleicht wenig – singular als Einzelfall betrachtet, war es schwere Korperverletzung mit lebenslangen Folgeschaden. Was mich 2010 „auf die Palme“ gebracht hat, war das offentliche Bestreiten von sexuellem Missbrauch und Gewalt in den siebziger Jahren – da war ich selber noch in Regensburg und habe einiges mitbekommen. Ich hatte zufallig Alexander Probst im Fernsehen gesehen und in den Tagen danach hie? es in vielen Au?erungen aus Domspatzenkreisen der Tater Sturmius Wagner ware nur ganz kurz bei den Domspatzen gewesen und schon gar nicht zu Zeiten von Alexander Probst. Da ich noch jede Menge Domspatzenunterlagen aus „Familienbestanden“ im Aktenlager hatte, habe ich mich drangemacht diese zu sichten und habe diese dann auch Alexander Probst zur Unterstutzung angeboten. Wie es dann manchmal so geht im Leben, blieb es schlie?lich an mir hangen die Homepage zu organisieren und letztlich bin ich dann in diese Arbeit reingerutscht.
3. Mit wie vielen ehemaligen Domspatzen stehen Sie in Kontakt?
Es gibt keine konkreten Zahlen - aber, nach der Pressekonferenz von RA Weber kann ich so viel sagen, ich habe schon mit erheblich mehr „Ehemaligen“ gesprochen als beispielsweise RA Weber zum Zeitpunkt seiner Pressekonferenz.
4. Sie stehen in sehr engem Kontakt mit den Opfern. Wie erleben Sie diese Zeit mit Ihnen?
Das ist hochst unterschiedlich und hangt zum gro?en Teil vom Befinden meines jeweiligen Gegenubers ab. Aber ich muss ehrlich gestehen, vor jedem Zusammentreffen mit einem „Neuen“ bin ich schon sehr angespannt. Ich wei? ja vorher nie was mich wirklich erwartet, ein Vorgesprach am Telefon sagt nur sehr wenig uber die wirkliche Verfassung eines Menschen aus. In einigen wenigen Fallen ist es ein angenehmes Gesprach uber missliche Begebenheiten in der Vergangenheit. In der ganz gro?en Mehrheit ist es ziemlich anstrengend. Zum einen ist man sich vorher nicht begegnet, muss sich also erstmal kennenlernen, zum zweiten sind die meisten bei einem ersten Gesprach meist nicht in der Lage viel zu erzahlen. Das passiert eher bruchstuckhaft und zusammenhanglos. Ich habe Ehemalige getroffen, die beim ersten Mal nur gesagt haben, dass sie sexuellen Missbrauch erdulden mussten, ansonsten wollten oder konnten sie nicht mehr erzahlen. Es hat manchmal zwei Jahre gedauert, bis sie sich dann wieder gemeldet haben um mehr zu erzahlen. Es braucht gro?es Vertrauen um mit einem „Fremden“ uber solche Themen zu sprechen. Da ist es auch blauaugig vom Bistum Regensburg oder RA Weber zu glauben, man startet einen Aufruf und die Leute greifen zum Telefon machen einen Termin, kommen mal kurz vorbei und legen in einem Aufwasch alles auf den Tisch. Das geht nur bei Leuten, die sich schon Jahre vorher selber um Therapie und Hilfe gekummert haben.
5. Wie schwer ist es fur die Opfer das Erlebte zu verarbeiten?
Das ist sehr unterschiedlich und hat naturlich auch viel mit der individuellen Personlichkeit und ihrem privaten Umfeld zu tun. Es gibt Ehemalige die haben das auch ohne Therapie weitgehend im Griff. Andere brauchen eine Therapie, wieder andere werden ein Leben lang nicht ohne therapeutische Hilfe oder Begleitung auskommen.
6. Wo sehen Sie die gro?ten Schwierigkeiten bei der Aufklarung?
Zum einen gibt es immer noch eine gro?e Zahl Ehemaliger, die aufgrund der letzten sechs Jahre kein Vertrauen in das Bistum Regensburg und seine Beauftragten haben, und das ist auch vollumfanglich nachvollziehbar, wenn man sich das Verhalten des Bistums und den teilweise ruden Umgang mit den Betroffenen anschaut. Da muss sich das Bistum endlich bewegen. Solange das Bistum Aufklarung versucht, ohne die Betroffenen nicht gleichberechtigt einzubeziehen, kann das nicht gelingen. Zum anderen gibt es in den Domspatzeninstitutionen viel zu viele Ehemalige und auch andere Beschaftigte, die zumindest einiges wissen mussten. Die furchten naturlich um Ihr Ansehen, wenn rauskommt, dass sie doch etwas wussten, obwohl sie alle im Jahr 2010, als das ganze offentlich wurde, so taten, als hatte es niemals Gewalt oder sexuellen Missbrauch bei den Domspatzen gegeben.
7. Wie konnte das Schweigen des Bistums so lange halten?
Das fragen Sie mal Herrn Neck (lachend) – Ganz einfach, die jahrzehntelange Taktik wurde wiederholt, hat ja bis dahin immer funktioniert. Aber, diesmal gab es ein neues Medium, dessen Langzeitwirkung das Bistum nicht auf dem Plan hatte – Internet. Ohne Internet ware die Geschichte auch diesmal fur das Bistum beerdigt gewesen. Besorgen Sie sich einfach mal eine alte Ausgabe der Mittelbayrischen, die Wochenendausgabe vom 4./5. November 1989. Ganzseitige Berichterstattung uber Gewalt bei den Domspatzen, vor allem Etterzhausen. Lesen sie die Aussagen des damaligen Vereinsvorsitzenden Werner Wollenweber und Internatsdirektors Winterholler. Dann vergleichen Sie die Aussagen mit dem Bericht von RA Weber – nur zum Thema Gewalt. Ich nenne das Verlogen, was die beiden Herren damals zum Besten gegeben haben. Nehmen Sie die Aussagen von Ratzinger vom „Nichtwissen“ der Gewalt in der Vorschule, spatestens da hat er es gewusst. Das Schreckensregime von Direktor Meier ging aber ungehindert weiter. Auch das Bistum Regensburg hat offensichtlich keinerlei Handlungsbedarf gesehen. Und dann kam Ihnen vier Tage spater der Mauerfall zu Hilfe, keine uberregionale Presse hat sich zu der Zeit noch fur Regensburg interessiert.
8. Warum hullten sich die Opfer so lange in Schweigen?
Ein wesentlicher Grund war, weil Ihnen niemand geglaubt hat, ich habe das oft genug selber erlebt. Viele der Betroffenen haben mir ahnliches erzahlt. Lesen Sie einfach mal nach, wie das Bistum und die Regensburger Domspatzen die ersten offentlichen Au?erungen kommentiert haben. Oder besser noch – fragen Sie einfach mal die Domspatzeneltern, die 2010 bei der Elternberuhigungsveranstaltung im Wolfgangssaal in der Diepenbrockstra?e waren. Normalerweise hatten sich die Deckenbalken durchbiegen und einsturzen mussen, bei dem was da erzahlt wurde. Zum zweiten hatten viele Betroffene lange Jahre das Gefuhl sie waren die Einzigen, die so was erlebt hatten, oder sie wurden sich das alles nur einbilden. Auch hier hat ja erst das Internet die Moglichkeit geboten, andere Betroffene leichter zu finden, Kontakte aufzubauen und wieder den Mut zu finden uber die Geschehnisse zu sprechen. Das ist ubrigens auch eine wichtige Erkenntnis bei unseren Treffen. Es kommen da immer noch neue Leute, die hinterher immer wieder sagen, endlich kann ich mal druber reden, ohne dass gleich jemand zweifelnd unterbricht, endlich wei? ich, dass das doch nicht nur verruckte Einbildungen sind, die da jahrelang in meinem Kopf rumschwirren, da sitzen ja andere, die genau das Gleiche erlebt haben.
9. Josef Ratzinger wusste scheinbar von den Missbrauchsfallen, forderte alle Bischofe weltweit auf, derartige Falle dem Vatikan zu melden und gab au?erdem die Anordnung heraus, dass geistliche Padophile nicht strafrechtlich verfolgt werden. Wissen Sie, inwieweit das stimmt und wie Josef Ratzinger zur Vertuschung derartiger Missbrauchsfalle beigetragen hat?
Ich wei? da auch nur so viel, wie im Laufe der Jahre in der Presse zu lesen war. Nachdem dieser Darstellung aber nie wirklich widersprochen wurde, ist anzunehmen, dass das wohl so richtig ist.
10. Warum wurde so lange nichts unternommen?
Ja es stimmt – es wurde nie wirklich etwas unternommen. Ich will das mal umkehren. Warum sollte das Bistum Regensburg besser oder rechtsstaatlicher korrekt handeln, als der ubrige Rest der katholischen Kirche. Das Vertuschen ist systembedingt. Da konnte man jetzt ein eigenes einstundiges Referat halten. Es sei nur eins erwahnt, noch 2010 erlaubte es sich ein Kirchenvertreter im offentlich-rechtlichen Fernsehen die von sexuellem Missbrauch durch kath. Geistliche betroffenen Kinder als „Verfuhrer“ zu bezeichnen. Das beschreibt das innere Denken der kath. Kirche besser als jeder lange Vortrag
11. Noch immer sind Mitarbeiter der Regensburger Domspatzen in der Chor-bzw. Schulleitung tatig, die die damalige Zeit miterlebt haben. Denken Sie, es konnten sich derartige Falle auch heute noch ereignen?
Bei der systematischen Gewalt mochte ich das ausschlie?en. Einzelfalle von Gewalt konnen Sie nie ausschlie?en, sie sind Bestandteil des taglichen Lebensrisikos, gleiches gilt fur den sexuellen Missbrauch. Die viel gro?ere Gefahr, der von Ihnen beschriebenen Beziehungsgeflechten, liegt im Umgang mit solchen Taten. Da kann man naturlich nicht ausschlie?en, dass sofort wieder alte Vertuschungsmechanismen greifen, zumindest ist die Gefahr dafur bei diesen Verflechtungen ungleich gro?er.
Bis Redaktionsschluss lag keine Stellungnahme von den Regensburger Domspatzen vor.
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