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"DAS System Regensburg"

Zeit
January 28, 2016

http://www.zeit.de/2016/03/regensburger-domspatzen-knabenchor-gewalt-missbrauch

[The Regensburg System]

DIE ZEIT: Herr Wallner, Sie kennen das Bistum Regensburg gut: 22 Jahre gehorten Sie dem Diozesanrat an, einem katholischen Laiengremium, das dem Bischof beigeordnet war. Jetzt fordern Sie den Rucktritt des Generalvikars Michael Fuchs. Warum?

Fritz Wallner: Weil die Bistumsleitung schon lange gewusst oder zumindest geahnt haben muss, dass die Zahl der Gewalttaten gegen Domspatzen eklatant war und damit auch die Zahl der Tater. Trotzdem wurde immer wieder so getan, als handele es sich um Einzelfalle. Vor fast sechs Jahren versprach der damalige Bischof Gerhard Ludwig Muller: Was in den vergangenen Jahrzehnten durch einzelne Erzieher, Lehrer und Bedienstete den Chorknaben angetan wurde, muss luckenlos aufgeklart werden. Doch dann wurde die Aufklarung verschleppt, auf Anzeigen nicht reagiert. Erst in den letzten acht Monaten hat der Sonderermittler Ulrich Weber einen Gro?teil der Falle zusammengetragen: Es sind ungefahr dreimal so viele wie bislang behauptet.

ZEIT: Derzeit liegen allein 231 Meldungen uber korperliche Attacken und 64 Meldungen uber sexuellen Missbrauch vor. Und das ist nur der Zwischenbericht. Sind Sie uberrascht vom Ausma? der Gewalt?

Wallner: Ja. Ich bin uberrascht und entsetzt, obwohl ich selber ein betroffenes ehemaliges Chormitglied der Domspatzen kenne. Und obwohl es in meiner Schulzeit noch normal war, dass Lehrer den Stock einsetzten. Aber ich nehme erst jetzt voller Trauer zur Kenntnis, wie viel Unrecht im weltberuhmten Chor passiert ist.

ZEIT: Sie waren zwei Jahre lang Vorsitzender des Diozesanrates. Haben Sie in der Zeit nie von Gewalt gegen Domspatzen gehort?

Wallner: Nein. Allerdings wurde der Diozesanrat, der seit 1968 existierte, bereits im Jahr 2005 vom damaligen Bischof Muller aufgelost. Mir hat er das passive Wahlrecht aberkannt, weil ich angeblich die Meinungsfreiheit uberstrapaziert hatte. Ruckblickend sehe ich es so: Kritik von Laien war dem Bischof suspekt. Man wollte das Heft des Handelns wieder allein in die Hand nehmen. Und das verargerte nicht nur das Kirchenvolk, sondern erwies sich auch fur die innerkirchliche Missbrauchs-Aufklarung als fatal.

ZEIT: 2002 kam die offentliche Debatte uber Missbrauch durch Priester in den USA in Gang.

Wallner: Fur Deutschland begann eine echte Offenlegung erst durch Pater Klaus Mertes im Januar 2010. Aber in Regensburg verhinderte ein System aus klerikaler Selbstherrlichkeit und mangelndem Respekt, dass die Taten schnell ans Licht kamen. Das lag meiner Meinung nach vor allem an Bischof Muller, dem heutigen Kardinal und Chef der Glaubenskongregation. Und sein Generalvikar Fuchs trug als Stellvertreter und Leiter der Diozesanverwaltung eine Mitverantwortung fur die Verschleppung. Deshalb muss er zurucktreten.

ZEIT: Als Regensburger Bischof besuchte Gerhard Ludwig Muller schon im Marz 2010 das Domspatzen-Gymnasium. Er wurde mit Beifall empfangen und nannte Missbrauch und Korperverletzung gro?e Verbrechen. Was lief danach schief?

Wallner: Die Leitung des Chores drangte dem Vernehmen nach auf Aufklarung, aber die Leitung des Bistums bremste. Viele Betroffene waren sonst viel eher gehort worden. Leider: Das System Regensburg verhinderte, dass die Wahrheit ans Licht kam.

ZEIT: Das Bistum zahlte Opfern Entschadigung.

Wallner: Sie sollten 5.000 Euro bekommen, hatte die Deutsche Bischofskonferenz angekundigt. Daraus wurden spater in Regensburg 2.500. Doch die Hohe des Betrages ist nicht entscheidend, sondern der Umgang mit Betroffenen. Wie kann es sein, dass das Bistum vor einem Jahr nur 72 Falle kannte, also zwei Drittel der jetzt ruchbar gewordenen Falle nicht? Webers Bericht zeigt, dass sich Regensburg abgeschottet haben muss. So wurden keinerlei Akten uber polizeiliche Ermittlungen gefunden. Wie ist das moglich, wenn nach neuestem Kenntnisstand zwischen 1945 und 1992 etwa 30 Prozent der Schuler von korperlicher Gewalt betroffen gewesen sein sollen? Wir wissen jetzt von 42 Beschuldigten, und wir wissen auch, dass 14 Tater Jungen sexuell missbraucht haben sollen. Mir erscheint es geradezu als Hohn, wenn Generalvikar Fuchs nun bald einem beratenden Kuratorium angehoren soll, das das weitere Vorgehen plant.

ZEIT: Die Domspatzen haben doch noch einen Sonderermittler bekommen, der sich tatkraftig fur sie einsetzt. Wie ist die Stimmung in Regensburg?

Wallner: Der Unmut im Kirchenvolk uber das Verschweigen und die Betroffenheit uber die Enthullungen sind gro?. Aber es gibt auch eine Erleichterung, dass der Anwalt ohne falsche Rucksichten reinen Tisch macht. Sicher spielte dabei der Bischofswechsel eine Rolle: Bischof Rudolf Voderholzer ist seit 2013 im Amt. Doch der eigentliche Ansto? fur die Offenlegung war aus meiner Sicht erst eine Dokumentation des Bayerischen Rundfunks: Sunden an den Sangerknaben von 2015. Da ist Regensburg aufgewacht.

ZEIT: Dem Stiftungsrat des Chores lag bereits im Jahr 1987 ein Dossier mit massiven Gewaltvorwurfen vor. Der neue Ermittlungsbericht zeigt, dass der Schuldirektor Johann Meier, der von 1953 bis 1992 im Amt war, alles abstritt und keine personellen Konsequenzen zog. Auch nach 1992 wurden Briefe uber korperliche und sexuelle Gewalt von der Direktion zuruckgehalten. Warum kritisieren Sie die Schule nicht?

Wallner: Wie gesagt: weil die heutige Leitung nicht schuld ist. Und weil es mich schmerzt, wenn der wunderbare Chor in der Offentlichkeit Schaden nimmt.

ZEIT: Der Kapellmeister Georg Ratzinger, Bruder des emeritierten Papstes Benedikt, leitete das Ensemble von 1964 bis 1994. Er bestreitet, von den Missbrauchsfallen gewusst zu haben. Ist das glaubhaft?

Wallner: Nein! Ich halte es auch hier mit dem Anwalt Weber, der gefragt wurde, ob Georg Ratzinger von der Gewalt wusste. Antwort: Davon gehe ich aus.

 

 

 

 

 




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