BishopAccountability.org
 
 

Journalismus Im Sterben

By Matthias Greuling
Wiener Zeitung
October 22, 2015

http://www.wienerzeitung.at/dossiers/viennale/782008_Journalismus-im-Sterben.html

Aufdecker: Michael Keaton (links) und Mark Ruffalo spielen in "Spotlight" zwei Journalisten.

Vor rund zehn Jahren, da war die Welt der schreibenden Zunft noch in Ordnung. Da leistete sich ein Blatt wie der renommierte "Boston Globe" eigene Recherche-Teams, die oft monatelang hinter einem Skandal herrecherchierten, ohne auch nur ein einziges Wort daruber zu publizieren. Wenn am Ende dann die Bombe platzte, wurde schnell klar, wieso man solche Medien als "renommiert" bezeichnete: Weil sie die Kernaufgaben einer freien Presse nicht nur wahrnahmen, sondern regelrecht zelebrierten. Im Zeitalter der Blogger-Invasion und oberflachlichen Ja-Sager-Journaille sind solch edle Tugenden rar, weil unwirtschaftlich geworden.

Tom McCarthy (links) mit Mark Ruffalo.

Das befand auch Regisseur Tom McCarthy, der fur "Spotlight" anhand eines handfesten Skandals die Tugenden des aufrechten Journalismus durchdekliniert. Es geht um den sexuellen Missbrauch von Kindern durch katholische Geistliche, den der "Globe" 2001 aufdeckte und der den Bostoner Kardinal Bernard Francis Law schlie?lich den Job kostete. Das spannend inszenierte Drama mit Michael Keaton, Rachel McAdams und Mark Ruffalo zeigt die beschwerliche Handarbeit, die Aufdeckerjournalisten leisten mussen, um hinter die Fassaden zu blicken.

"Wiener Zeitung": Der aufgedeckte sexuelle Missbrauch in Bostons katholischer Kirche gilt als Paradebeispiel fur exzellenten Aufdeckerjournalismus.

Tom McCarthy: Diese Einstellung zum Journalismus stammt im konkreten Fall von Martin Baron (gespielt von Liev Schreiber, Anm.), der 2001 als neuer Chefredakteur zum "Boston Globe" kam und gleich an seinem allerersten Arbeitstag eine Sondertruppe von investigativen Journalisten auf diesen Skandal in der Kirche ansetzt. Es ist sein erster Arbeitstag, 10.30 Uhr, die Morgenkonferenz. Die Kollegen sind erst einmal geschockt. Er hatte eine starke Vision von Aufdeckerjournalismus.

Glauben Sie, dem sexuellen Missbrauch in der Kirche kann man irgendwie beikommen?

Sexuellen Missbrauch gibt es in der Kirche ja seit Jahrhunderten, und das ist nicht von heute auf Morgen zu stoppen. Wenn etwas derart verwurzelt ist in einer Institution, dann kann man den Krebs nicht einfach so herausoperieren. Ich will der Frage auf den Grund gehen: Wie kann es so weit kommen, dass Missbrauch passiert, und niemand redet daruber?

Die katholische Kirche hat sich ja nicht nur durch ihre Mitglieder schuldig gemacht, die den Missbrauch ausgeubt haben, sondern vor allem institutionell dadurch, dass man all diese Falle vertuscht hat und intern regeln wollte. Darin liegt der Skandal. Das Problem ist, dass durch diese Vertuschungen die Gerichte nicht ordentlich arbeiten konnen. Das Problem wurde auch lange bagatellisiert. Man redet einfach nicht druber. Oder man spricht von Einzelfallen. Eine Studie zeigt aber, dass die Missbrauchsfalle in der Kirche mit sechs bis sieben Prozent signifikant hoher liegen als in der ubrigen Bevolkerung. Der Film kommt auch zu einer interessanten Zeit, denn ich glaube, Papst Franziskus hat einen richtigen Weg fur die katholische Kirche eingeschlagen. Es wird nur ein sehr langer Weg sein. Es sieht nach Veranderung aus, und man hofft, dass es nicht nur bei guten Absichten bleibt.

 

 

 

 

 




.

 
 

Any original material on these pages is copyright © BishopAccountability.org 2004. Reproduce freely with attribution.