| Die Schande Der Schweizer Kirche
Blick
August 10, 2015
http://www.blick.ch/news/schweiz/graubuenden/gimma-und-fankhauser-sind-nicht-die-einzigen-missbrauchs-opfer-die-schande-der-schweizer-kirche-id4056586.html
|
Bluesmusiker Philipp Fankhauser dankt Gimma und appelliert an Bischof Huonder. SRF
|
|
Steht massiv in der Kritik: Bischof Vitus Huonder. (RDB)
|
Gimmas Pladoyer gegen Schwulenhass und sexuellen Missbrauch in der Kirche hat hohe Wellen geschlagen. Nach den Ausserungen des Churer Bischofs Vitus Huonder, der die Homosexualitat wahrend einer Rede zum Thema Familie als «Graueltat» abstempelte, holte der Rapper zum Gegenschlag aus und setzte wirkliche Graueltaten auf die Agenda - der Kindsmissbrauch in der katholischen Kirche.
Fur seinen offenen Brief an den Churer Bischof – «Lieber Herr Huonder, ich weiss ja nicht, ob Sie das Interessiert, aber ich wurde in meinem Leben von gut und gerne einem halben Dutzend Glaubigen und Wurdentragern sexuell genotigt» – hat Gimma jungst gar von prominenter Seite Zuspruch erhalten.
«Danke Gimma, danke vielmals», schrieb etwa Bluesmusiker Philipp Fankhauser auf Facebook und gewahrte einen nicht minder schockierenden Einblick in den Alltag katholischer Kloster: «Ich war von 1975 (mit 11) bis 1976 im katholischen Collegio Don Bosco in Maroggia bei Lugano», erzahlt Fankhauser. «Der damalige Direktor und viele weitere Priester haben uns alle missbraucht.»
145 gemeldete Missbrauchsfalle im Jahr 2010
Gimma und Fankhauser gehoren sicherlich zu den prominentesten Opfern von sexuellen Ubergriffen durch Geistliche. Sie sind aber nur die Spitze des Eisberg. Alleine im Rekordjahr 2010 wurden der katholischen Kirche 145 Missbrauchsfalle gemeldet. Im letzten Jahr gingen noch immer zwolf Meldungen von Missbrauchsopfern ein.
Fast alle gehen laut der Schweizerischen Bischofskonferenz (SBK) auf die Jahre 1950 bis 2000 zuruck. Ein Fall datiert aus dem Jahr 2013. Von den zwolf gemeldeten Opfern waren zum Zeitpunkt der Ubergriffe acht Kinder und drei erwachsene Frauen. Ein Opfer war ein Jugendlicher. Ferner wurden zehn Tater gemeldet.
Tater bleiben oft ungesuhnt
In den vergangenen Jahren sind immer wieder erschreckende Details uber Missbrauchsfalle von Kirchenleuten ans Licht gekommen. Oftmals blieben die Tater dabei ungesuhnt, obwohl man von ihren Vergehen wusste.
Einer der prominentesten Falle: Im Jahr 2010 gestand der Abt des Klosters Einsiedeln, Martin Werlen, dass sich dort in den 90er-Jahren mehrere sexuelle Ubergriffe auf die Schuler ereignet haben. Funf Mitglieder der Gemeinschaft hatten sich laut Werlen Verfehlungen zu schulden kommen lassen (Blick.ch berichtete).
In einem Fall wurde ein Pater versetzt, nachdem er einem Klosterschuler wahrend einer Busfahrt zwischen die Beine gegriffen haben soll. «Schweiz aktuell» konfrontierte den Abt damals mit konkreten Fallen. So habe sich ein Mitbruder einem Schuler unsittlich genahert, weiss Werlen. Ein weiterer Pater soll Zoglinge zu sich aufs Zimmer bestellt haben. Mit 14 Jahren sollten sie ihm noch immer auf den Schoss sitzen.
Pado-Pfarrer wissentlich angestellt
Brisant: Auch nach Bekanntwerden der Missbrauchsfalle an der Stiftschule Einsiedeln blieben drei der funf Bruder, welche sexuelle Ubergriffe verubt hatten, weiterhin angestellt. Man wolle ihnen eine zweite Chance geben, sagte Werlen damals. Auf eine Anzeige habe man aus Grunden des Opferschutzes verzichtet.
Einsiedeln ist kein Einzelfall. So stellte das Bistum Basel im Jahr 1987 einen Pfarrer ein, obwohl man genau Bescheid wusste, dass sich dieser bei seinen fruheren Einsatzen im Ausland wiederholt an Knaben vergriffen hatte. Es handelt sich um Gregor Muller, den Grusel-Pfarrer von Schubelbach SZ. Erst 2010, als alles aufflog, reagierte die Kirche und entliess Muller.
Wie konnte man nur einen Padophilen als Pfarrer einstellen? «Es gibt keine Entschuldigung dafur. Aus heutiger Sicht war das eine unvertretbare Fehleinschatzung», rechtfertigte sich der Kommunikationsbeauftragte des Bistums Basel, Giuseppe Gracia. «Leider passt sie in die damalige Zeit: Nicht nur in der katholischen Kirche, sondern leider auch in vielen weltlichen Einrichtungen konnten sich Tater im Amt halten, wenn sie ein gutes Beziehungsnetz hatten.»
Ein Klima der Lieblosigkeit
Fur landesweite Emporung sorgte auch ein von Historikern im Jahr 2014 publizierter Bericht, der die Zustande im ehemaligen Kinderheim im Kloster Fischingen beschreibt – 20 Betroffene hatten sich nach einem Aufruf des Klosters gemeldet.
Die Historiker zeigten im Bericht auf, dass es im Kinderheim zahlreiche sexuelle Ubergriffe gegeben hatte. Zudem soll allgemein ein Klima der Lieblosigkeit geherrscht haben. So mussten die Kinder korperliche Gewalt uber sich ergehen lassen, die weit uber Ohrfeigen hinausging. Auch Demutigungen wie das Kahlscheren des Kopfes waren gang und gabe. Zu Hilfe kam den Kindern niemand. Die Vormundschaften bestanden oft nur auf Papier.
Die Vertreter des Vereins Kloster Fischingen und der Kloster St. Engelberg und Fischingen entschuldigten sich in der Folge fur das Unrecht, das man den Kindern und Jugendlichen angetan hatte. Gemeinsam zahlten die Institutionen 250'000 Franken an den Soforthilfefonds fur Opfer fursorgerischer Zwangsmassnahmen.
Von den angeschuldigten Erziehern lebt heute noch ein Pater. Gegen ihn hat ein ehemaliger Zogling Anzeige erstattet. Das Bundesgericht wies die Klage jedoch ab, weil die Tat verjahrt sei.
«Katholische Kirchen schutzen Tater»
Von Erniedrigung und inquisitorischer Strenge berichtet auch der Basler Schriftsteller Claude Cueni in seinem autobiografischen Roman «Script Avenue». Er war in den Jahren 1973 und 1974 wahrend 14 Monaten Internatsschuler im Kollegium Schwyz, das 2001 geschlossen wurde. Ehemalige Mitschuler seien von einem Priester betatscht und gestreichelt worden, schreibt Cueni in seinem Buch.
In einer Stellungnahme im Jahr 2014 betonte Cueni allerdings, dass er kein Interesse daran habe, die Vorkommnisse aufzuarbeiten. Er hielte es fur Zeitverschwendung, da die Verantwortlichen kaum mehr zur Rechenschaft gezogen werden konnen.
Zudem glaube er, dass die katholische Kirche die Tater schutzen wurde. «Falls die Kirche tatsachlich etwas gegen sexuelle Belastigungen durch katholische Priester unternehmen mochte, musste sie sich prioritar um die Gegenwart kummern, damit die heutige Jugend geschutzt wird», sagte Cueni. (gr)
|