| Papst Franziskus Macht Den Bock Zum Gartner
Die Welt
June 15, 2015
http://www.welt.de/politik/deutschland/article142520193/Papst-Franziskus-macht-den-Bock-zum-Gaertner.html
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Kardinal Gerhard Ludwig Muller, Prafekt der vatikanischen Kongregation fur die Glaubenslehre, war einst selbst an der Vertuschung eines Missbrauchsskandals beteiligt
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Der Papst macht also Nagel mit Kopfen: Franziskus hat verkunden lassen, dass er einen Gerichtshof im Vatikan einrichten will, der sexuellen Missbrauch in der Kirche aburteilen soll. Das Besondere: Nicht die Tater sollen vor den Kirchenrichtern stehen, sondern jene Oberhirten, die Falle von sexuellem Missbrauch durch Priester oder kirchliche Mitarbeiter in ihrem Bistum vertuscht haben, statt sie aufzuklaren.
Doch schon bevor der Gerichtshof uberhaupt eingerichtet ist, gibt es Zweifel gerade unter Opfern, ob es dem Papst wirklich ernst ist mit der Aufklarung. Grund: Der Gerichtshof wird in der Glaubenskongregation angesiedelt, wo mit Gerhard Ludwig Kardinal Muller ein Kirchenfurst sitzt, der einst selbst als Bischof Erfahrung mit dem Vertuschen eines Missbrauchsfalls gemacht hat. Das zumindest bestatigten deutsche Gerichte.
Was ist geplant? Das sogenannte K-9-Beratungsgremium des Papstes, dem neun Kardinale angehoren, unter ihnen der Munchner Kardinal Reinhard Marx, haben dem Papst die Ergebnisse der Kinderschutzkommission des Vatikans vorgestellt – er hat daraufhin die Einrichtung eines eigenen Gerichts gebilligt, das fur Bischofe und deren Verantwortlichkeit in solchen Fallen zustandig sein soll. Doch schon in dem Gremium sitzt ein Kardinal, der selbst vor den Gerichtshof gestellt werden konnte: George Kardinal Pell soll in seiner Zeit als Erzbischof von Sydney 1993 uber einen Missbrauchsfall informiert worden sein, den Fall aber vertuscht haben. Bis heute bestreitet der Kardinal die Vorwurfe.
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Papst Franziskus druckt bei der Aufklarung von Missbrauchsfallen aufs Tempo
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Pikant auch: Der neue Gerichtshof, dem ein Sekretar im Rang eines Bischofs vorstehen soll, wird bei der Glaubenskongregation eingerichtet. An der obersten Spitze der Kongregation und damit auch des neuen Gremiums steht der Deutsche Gerhard Ludwig Kardinal Muller. Opfervertreter auf der ganzen Welt sind entsetzt: Will Franziskus mit Muller den Bock zum Gartner machen?
Muller wird der Umgang mit einem Missbrauchsfall im beschaulichen Ort Riekofen (Landkreis Regensburg) zum Vorwurf gemacht. Im August 2007 hatte das unglaubliche Martyrium endlich ein Ende: 22 Mal hatte sich, in einem Zeitraum zwischen 2004 bis zu seiner Verhaftung 2007, der damals 39-jahrige spatberufene Pfarrer Peter K. an einem zunachst elfjahrigen Ministranten sexuell vergangen. Als der Fall ruchbar und K. in Handschellen abgefuhrt wurde, war das Entsetzen in der Pfarrei riesig: War der Pfarrer ein Padophiler? Er war einer: "Kernpadophilie" hatte ihm ein Gutachter attestiert – und das bereits vier Jahre, bevor er dennoch wieder in der Seelsorge eingesetzt wurde, und acht Jahre vor seiner Verhaftung.
Ein Gesprach mit den Eltern verweigerte Muller
Wie sich bei einem Strafprozess im Jahr 2008 herausstellte, war das in Mullers bischoflichem Ordinariat langst bekannt: Bereits im Jahr 2000 war der Priester zu einer Bewahrungsstrafe verurteilt worden. Er hatte zwei Bruder, damals neun und zwolf Jahre alt, am Rande eines Faschingsballs im Pfarrheim unsittlich beruhrt. Da war K. noch Kaplan. 2004, Muller war da schon Bischof in Regensburg, wurde er als Pfarradministrator in Riekofen eingesetzt, wo er im Keller des Pfarrhofes regelrecht eine Spielwiese fur seine minderjahrigen Opfer eingerichte hatte. K.s Dekan wurde telefonisch vom damaligen Generalvikar gewarnt: "Er sagte mir, dass da was mit Kindern ist und ich ein Auge auf ihn werfen soll", so der Dekan. Und: "Ich sollte Stillschweigen bewahren daruber", gab der Geistliche bei der Polizei zu Protokoll.
Das Bistum Regensburg versuchte bis zum Prozess gegen den padophilen Priester und weit daruber hinaus, jegliche Verantwortung fur das Geschehene abzustreiten. An seiner Spitze stand damals Gerhard Ludwig Muller als Bischof von Regensburg. Heute ist Muller machtiger Glaubensprafekt in Rom – der einstige Pfarrer von Riekofen ist langst laisiert worden, wegen des Missbrauchs des Ministranten wurde er zu drei Jahren Haft und Unterbringung in der Psychiatrie verurteilt. Einen Besuch vor Ort, wo die aufgewuhlten Eltern entsetzt waren daruber, was ihr Pfarrer im Keller des Pfarrhauses mit den Ministranten getrieben hatte, verweigerte sich Muller.
Als zahlreiche Medien, unter anderem die "Welt", 2010 uber die Missbrauche im weltberuhmten Knabenchor der Domspatzen berichteten, sprach Muller kein "Mea Culpa" – im Gegenteil. Der damalige Bischof von Regensburg hatte zwar seinen eigenen Priestern per Erlass das Anrufen weltlicher Gerichte untersagt, er selbst aber erwies sich als klagefreudig. Als die "Welt" berichtete, Muller habe den Fall des Riekofener Pfarrers vertuscht, bemuhte Muller die Justiz – sogar bis zum Bundesgerichtshof.
Doch der BGH bestatigte ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg: Man konne Muller zuschreiben, "dass mit dem Vorwurf der 'Vertuschung' die erneute Verwendung des Priesters im Gemeindedienst gemeint ist, die erfolgte, ohne dass im neuen Umfeld des Kaplans bekannt gegeben worden ware, dass er sich wegen Missbrauchs strafbar gemacht hatte und von ihm moglicherweise eine Gefahr ausgehen konnte."
International gibt es heftige Kritik
Dabei steht der Fall Riekofen geradezu exemplarisch fur den Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Kirche, bevor in Deutschland eine Welle der Emporung die Bischofe zwang, Richtlinien zu erlassen. K. war bereits als Kaplan 1999 in Niederbayern ubergriffig geworden. Eine Amtsrichterin hatte K. zu einem Jahr Haft, ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewahrung, verurteilt.
Auflage damals: Er durfe keinesfalls in der Jugendarbeit eingesetzt werden. Doch bereits 2001 wurde der Kaplan wieder im Bistum Regensburg eingesetzt, Bilder in seiner Personalakte belegten da bereits Ausfluge mit Ministranten – trotz der gerichtlichen Auflage. Das Bistum behauptete damals, die Fotos hatten auch im Nachhinein in die Akte gelangen konnen.
Ist Muller also der Richtige, als oberster Dienstherr bis auf den Papst diesem Gericht vorzustehen? "Er hat nicht die besten Referenzen. Er handelte selbst grausam in einem Fall von sexuellem Missbrauch in Deutschland", sagte Terence McKiernan, Prasident der Organisation BishopAccountability.org, kurzlich der "New York Times".
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