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„in Der Glaubenskongregation Sitzen Tater“

By Robert Werner und Stefan Aigner
Regensburg Digital
June 6, 2015

http://www.regensburg-digital.de/in-der-glaubenskongregation-sitzen-taeter/04062015/

Als Leiter des Canisius-Kollegs trat Pater Klaus Mertes 2010 eine Welle bei der Aufdeckung von sexuellem Missbrauch los. Am Sonntag war er in Regensburg.

Klaus Mertes (li. neben Moderator Professor Johannes Grabmeier) nahm in Regensburg kein Blatt vor den Mund. Foto: Werner

„Sie hatten wir hier gebraucht“, sagt Udo Kaiser, nachdem er eine gute Stunde zugehort hat. „Warum hat man Sie nicht zu Rate gezogen?“ Kaiser ist einer jener missbrauchten Domspatzen, die das Schweigen vor funf Jahren gebrochen haben und seitdem immer wieder auf die fehlende Aufarbeitung im Bistum Regensburg aufmerksam machen.

Pater Klaus Mertes, den Kaiser anspricht, hat dieses Schweigen ebenfalls gebrochen. Nachdem sich ehemalige Schuler 2010 gegenuber dem damaligen Leiter des Canisius-Kollegs als Opfer korperlicher, psychischer und sexueller Gewalt geoutet hatten, schrieb Mertes einen Brief an etwa 600 ehemalige Schuler der Berliner Jesuiten-Schule und trat damit eine Welle des Aufdeckens von Missbrauchsfallen an schulischen Einrichtungen in ganz Deutschland los.

Fur Bischofe ein rotes Tuch

Am Sonntag ist er ins Thon Dittmer Palais gekommen – auf Einladung der kritischen Katholiken, die sich als „Laienverantwortung Regensburg“ zusammengetan haben. Dass Mertes angesichts seiner reichen Erfahrung bei der Aufarbeitung von Missbrauch am Canisius-Kolleg von einem Bischof oder anderen Kirchenoberen zu Rate gezogen werden konnte, steht indes nicht zur Debatte. „Mir wurde ganz klar signalisiert, dass ich fur die ein rotes Tuch bin.“ Er gelte, das fugt er spater noch an, als „Nestbeschmutzer“. Dabei lachelt er etwas verschmitzt und bekommt Beifall von den knapp 100 Anwesenden.

„Wer aufklaren will, muss einen Preis zahlen.“

Denn genau jene Nestbeschmutzer sind es, die es in den Augen von Mertes braucht, um Aufklarung voranzutreiben. „Wer aufklaren will, muss einen Preis zahlen.“ Das Offentlichmachen von Missbrauchsfallen gehe namlich unvermeidlich einher mit der Stigmatisierung oder dem Ansehensverlust einer Einrichtung. „Wer diesen Preis nicht zahlen will, behindert Aufklarung“, betont Mertes mehrfach.

In Regensburg Chefverschleierer, im Vatikan Chefaufklarer: Gerhard Ludwig Muller. Foto: Staudinger

Eine Feststellung, die man in Regensburg in den letzten funf Jahren exemplarisch beobachten konnte. Hier hatte der vormalige Bischof Gerhard Ludwig Muller Missbrauchsfalle zunachst kleingeredet, als Einzelfalle aus alter Zeit abgetan. Anstelle von Aufklarung stand das Verschleiern und Vertuschen. Missbrauchsopfer wurden in Serienbriefen der Luge bezichtigt. Vom Bistum bisweilen veroffentlichte Zahlen trugen eher zur Verwirrung denn zur Aufklarung bei. Flankierend gerierte sich Muller als Hirte, der sich schutzend vor die Domspatzen stelle, oder fabulierte davon, dass die Kirche Opfer einer Kampagne wie zu Zeiten der Nazis sei.

„….letztlich eine Fortsetzung des Missbrauchs“

Auch unter Mullers Nachfolger Rudolf Voderholzer sah es zunachst nicht so aus, als ob es einen Kurswechsel geben wurde. Generalvikar Michael Fuchs, verantwortlich fur die Serienbriefe, ist nach wie vor im Amt. Ebenso Pressesprecher Clemens Neck, der mit der Wahrheit recht kreativ umzugehen versteht. Immer noch zustandig fur die Prufung von Antragen auf Anerkennung des erlittenen Leids ist zudem der Rechtsanwalt Geedo Paprotta. Paprotta hatte Udo Kaiser, der als Kind von seinem Peiniger auf den nackten Hintern geprugelt wurde, wahrend dieser sein Glied am Hinterkopf des Jungen rieb, attestiert, kein Opfer von sexueller, sondern „nur“ von korperlicher Gewalt zu sein.

Auf Kaisers Nachfrage au?ert sich Mertes dazu deutlich: „Was Ihnen passiert ist, ist sexualisierte Gewalt. Das ist gar keine Frage. „ Die Unterscheidung zwischen korperlicher und sexueller Gewalt, die Paprotta in Kaisers Fall getroffen habe, sei „letztlich eine Fortsetzung des Missbrauchs“. “Damit durfen Sie mich zitieren”, sagt Mertes am Sonntag.

Missbrauchstater in der Glaubenskongregation

Am Sonntag ist es aber immer wieder Gerhard Ludwig Muller, der die Anwesenden beschaftigt. Die Zerschlagung der Laiengremien, das Zurechtstutzen unbotma?iger Priester, das Vertuschen und Verschleiern beim Thema Missbrauch. Wie es denn sein konne, dass gerade dieser Muller als Chef der Glaubenskongregation im Vatikan jetzt zustandig sei fur die Aufklarung von sexuellem Missbrauch, will ein Zuhorer wissen. Mertes hat dazu eine klare Haltung. Er verweist auf das Buch „Nicht mehr ich“, in dem die fruhere Nonne Doris Wagner ihren Leidensweg in einem Orden beschreibt. Unter anderem wurde sie uber Monate hinweg sexuell missbraucht. „Einer der Tater ist heute Abteilungsleiter in der Glaubenskongregation. Das kann man nachlesen. Das ist zugegeben“, so Mertes. Das wisse auch Kardinal Muller, aber auch hier sei wieder dieses Schweigen, diese Untatigkeit. „Man muss ganz klar sagen: In der Glaubenskongregation sitzen Tater.“

Regensburger Schweigemauern durchbrechen

In Regensburg sind es die Opfer, missbrauchte Domspatzen, die sich immer wieder offentlich zu Wort gemeldet und zur „Gesellschaft gegen das Vergessen“ zusammengeschlossen haben, die die Aufklarung in den letzten Jahren vorangetrieben haben. Gegen erhebliche Widerstande und Bezichtigungen vonseiten des Bistums.

„Wenn ich sehe, was in Regensburg gearbeitet wurde, um Schweigemauern zu durchbrechen, dann bin ich dafur dankbar“, sagt Mertes zu diesem Einsatz. „Das sind gro?e Leistungen, die hier erbracht worden sind.“

Kehrtwende durch offentlichen Druck

Tatsachlich scheint der offentliche Druck so etwas wie eine Kehrtwende in Regensburg eingelautet zu haben. Wie berichtet, wurde kurzlich der Rechtsanwalt Ulrich Weber damit beauftragt, fur „eine offene und ehrliche Aufklarung der Missbrauchs- und Misshandlungsfalle bei den Regensburger Domspatzen“ seit 1945 zu sorgen. Dabei sei ihm vollig Unabhangigkeit zugesichert worden, so der Jurist.

Und tatsachlich: Bereits kurz nachdem er beauftragt wurde, konnte Weber vermelden, dass es wohl weit mehr Missbrauchsfalle im Bistum Regensburg gebe, als die bislang behaupteten rund 70. Die in der „Gesellschaft gegen das Vergessen“ zusammengeschlossenen ehemaligen Domspatzen haben nach einem ersten Sondierungsgesprach bereits ihren Willen zur Zusammenarbeit mit Weber bekundet.

 

 

 

 

 




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