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Belgiens Kirche braucht einen Neuanfang

Luxemburger Wort
May 11, 2015

https://www.wort.lu/de/lokales/primas-leonard-wird-75-wachabloesung-steht-womoeglich-bevor-belgiens-kirche-braucht-einen-neuanfang-554b3dfa0c88b46a8ce58cbe

André Joseph Léonard, wurde 2010 zum Erzbischof von Mecheln-Brüssel ernannt.

[Belgian Church needs a fresh start]

Seine Amtszeit stand zu keiner Zeit unter einem guten Stern. Von einem „großen Missverständnis“ war gar die Rede; Torten flogen. Brüssels Erzbischof André Léonard wurde nicht Kardinal – und könnte nun bald abgelöst werden.

Er selbst macht kein Hehl aus der Sache. „Ich hoffe nicht, dass mein Amt um ein paar Jahre verlängert wird“, sagte Andre Joseph Leonard kürzlich in einem Interview mit dem Privatsender VTM. Er wolle auch gar nicht bleiben, bis ein Nachfolger gefunden sei. Leonard ist Erzbischof von Mechelen-Brüssel, Vorsitzender der Belgischen Bischofskonferenz und Militärordinarius für Belgien. Am Mittwoch (6. Mai) wurde er 75 Jahre alt; eine Altersgrenze, an der Bischöfe dem Papst ihren Amtsverzicht anbieten. Dass Franziskus diesen schon bald annehmen könnte, ist nicht unwahrscheinlich.

Die Amtszeit Leonards stand zu keiner Zeit unter einem guten Stern. Schon als Benedikt XVI. den betont konservativen Bischof von Namur Anfang 2010 zum Nachfolger der liberalen Lichtgestalt Godfried Danneels als belgischen Primas machte, zogen viele die Augenbrauen hoch. Und bereits kurz darauf fand sich der neue Brüsseler Erzbischof nach umstrittenen Aussagen zu Moral, Homosexualität und HIV/Aids einer beispiellosen Welle innerkirchlichen Protests gegenüber.

Unverhohlen forderten etwa die renommierte Universität Löwen und Chefredakteure der katholischen Presse seinen Amtsverzicht. Leonards Pressesprecher nannte seinen Chef einen „Geisterfahrer“, der sein Navi nicht benutze, und kündigte fristlos. Auf dem Höhepunkt der Krise drückte ein Gottesdienstbesucher dem Erzbischof eine Sahnetorte ins Gesicht.

Auch ohne diese Vorfälle war 2010 ein regelrechtes Seuchenjahr für Belgiens Kirche. Der Bischof von Brügge, Roger Vangheluwe, musste auf öffentlichen Druck zurücktreten, weil er seinen Neffen über zehn Jahre sexuell missbraucht hatte. Im Zuge immer neuer Enthüllungen bekam auch das Saubermann-Image des einstigen Medienlieblings Danneels Flecken. Ein Tonbandmitschnitt dokumentierte einen verunglückten Vermittlungsversuch des Kardinals, der einer Vertuschung gleichgekommen wäre. Danneels räumte „Fehler“ ein.

Kurz darauf dann eine spektakuläre Razzia. In der „Operation Kelch“ stürmten staatliche Missbrauchsermittler kirchliche Einrichtungen und beschlagnahmten Akten, Rechner und Handys der versammelten Bischöfe: eine Demütigung ohnegleichen. Noch in den letzten Tagen dieses „annus horribilis“ mussten Erzbischof Leonard und Kardinal Danneels vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Thema Missbrauch aussagen.*

Seitdem blieb Leonard – Primas eines katholischen Landes und einer einstigen Kolonialmacht – weltkirchlich quasi unsichtbar. Zwar wurde seine Kardinalserhebung seit dem 80. Geburtstag des Vorgängers Danneels im Juni 2013 eigentlich als sicher erwartet – allein der Wille von Franziskus fehlte. Denn ein größerer Gegensatz zwischen dem neuen „Papst der Barmherzigkeit“ aus Lateinamerika und dem glücklosen Knochenkonservativen aus dem alten Europa lässt sich wohl kaum denken.

Schlimmer noch: In den vergangenen Jahren fand Belgiens Kirche in der öffentlichen Wahrnehmung immer weniger statt. Auch deshalb ist der moderierende und mediengewandte Danneels bis heute in den Köpfen vieler Belgier präsent. Sinnbildlich der erste Auftritt des neuen Königspaares nach der Krönung 2013 in der kirchlichen Residenzstadt Mechelen: Während der Emeritus, „der Kardinal“ Danneels, auf der Ehrentribüne neben Königin Mathilde und König Philippe Platz nahm, musste der amtierende Erzbischof ganz am Ende der Reihe neben der Treppe sitzen.

So war seine Rolle: im Schatten des Platzhirschen Danneels – und wohl auch in Ungnade des amtierenden Papstes. Leonard selbst sagte bereits, er würde gern als einfacher Seelsorger an einem Wallfahrtsort arbeiten, am liebsten in Frankreich. Und auf keinen Fall wolle er in seiner derzeitigen Diözese wohnen bleiben.

Für einen Kurswechsel böte sich der als progressiv geltende Antwerpener Bischof Johan Bonny (59) für das Primasamt an. Bonny verlangte zuletzt mehr kirchliche Offenheit im Umgang mit Wiederverheirateten und Homosexuellen. Auch der Lütticher Bischof Jean-Pierre Delville (64, [ab 29. April!]) wird als Kandidat gehandelt. Beide stünden für einen neuen Wind, den Belgiens Kirche dringend braucht. En tout cas – in jedem Fall. (KNA)

* Ende April wurde Erzbischof Leonard von einem Berufungsgericht in Lüttich zur Zahlung von 10.000 Euro Schadenersatz an ein heute 42-jähriges Opfer sexuellen Missbrauchs verurteilt. Als Bischof von Namur hatte er demnach 1991 den konkreten Verdacht gegen einen Priester seiner Diözese nicht den Behörden gemeldet.




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