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Ein „Opferanwalt“ in den Untiefen des Bistums

By Stefan Aigner
Regensburg-Digital
April 27, 2015

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Ulrich Weber: „Ich springe in kaltes Wasser, in ein Becken, dessen Tiefe ich nicht kenne.“

Michael Fuchs: „Mir ist nicht bekannt, dass zu irgendeinem Zeitpunkt Akten vernichtet wurden.“

Katholikentag 2014: Missbrauchte Domspatzen demonstrieren für Gerechtigkeit und Aufklärung.

[The Diocese of Regensburg has yielded to public pressure: An external lawyer will investigate violence and abuse at the cathedral choir. An actual change of course?]

Das Bistum Regensburg hat dem öffentlichen Druck nachgegeben: Ein externer Rechtsanwalt soll Gewalt und Missbrauch bei den Domspatzen aufarbeiten. Ein tatsächlicher Kurswechsel?

Seht her, hier hat sich was geändert. Das scheint man sowohl mit dem Ort, der für die Pressekonferenz gewählt wurde, als auch mit der Besetzung des Podiums zeigen zu wollen. Während den Verantwortlichen der Diözese Regensburg allein der Begriff „Domspatzen“ schwer über die Lippen kam, wenn sie in der Vergangenheit zu ihren vorgeblich aufklärerischen Presseterminen zum Thema sexueller Missbrauch einluden, so ist es dieses Mal der Wolfgang-Saal des Domspatzen-Gymnasiums, in dem man sich den Medien stellt.

„Tiefe Erschütterung und Scham“

Mit Domkapellmeister Roland Büchner sitzt am Montag einer auf dem Podium, dem nachgesagt wird, gegenüber Vertrauten, aber auch Missbrauchsopfern schon häufiger geäußert zu haben, dass er gerne anders mit dem Thema sexueller Missbrauch umgehen würde, als dies im Bistum Regensburg bislang der Fall gewesen ist: offener und öffentlicher. Am Montag bekundet Büchner erneut sei Mitgefühl mit den Opfern und spricht von „tiefer Erschütterung und Scham“.

Gleichzeitig formuliert er die deutliche Forderung: „Die Opfer und auch unsere Schüler, Ehemalige, Eltern, Lehrkräfte und Angestellte haben ein Anrecht darauf, dass das Geschehen der Vergangenheit transparent aufgearbeitet und in den entsprechenden Kontext gestellt wird. Auch in der Öffentlichkeit müssen die Dinge benannt und zeitlich korrekt dargestellt werden, wobei gleichzeitig die Persönlichkeitsrechte zu wahren sind.“

Ein Entschluss, der fast fünf Jahre dauerte

Clemens Neck, Pressesprecher des Bistums, der in der Vergangenheit schon über Unterlassungsklagen gegen Missbrauchsopfer spekulierte und häufiger mit seiner ganz eigenen Interpretation der Wahrheit auffiel, fehlt heute. Auch das wirkt wie ein Signal.

Lediglich Generalvikar Michael Fuchs ist als einziger offizieller Vertreter des Bistums erschienen, um zu bekräftigen: Ja. Es stimmt. Im Jahre fünf nach dem „Missbrauchsskandal“, dem breiten Bekanntwerden sexuellen Missbrauchs innerhalb der katholischen Kirche, hat man sich nun auch in Regensburg entschlossen, eine externe Stelle mit der Aufarbeitung zu beauftragen: Mit auf dem Podium sitzen Günther Perottoni, Leiter der Regensburger Außenstelle des Weißen Rings, und Rechtsanwalt Ulrich Weber, seit 2006 ehrenamtlich für diese Opfer-Organisation tätig.

Vertrag mit Diözese soll Unabhängigkeit garantieren

Dem „Opferanwalt“ Weber soll nun die Aufgabe zukommen, für „eine offene und ehrliche Aufklärung der Missbrauchs- und Misshandlungsfälle bei den Regensburger Domspatzen“ seit 1945 zu sorgen. So steht es auf seiner Internetseite, die der Rechtsanwalt zeitgleich zur Pressekonferenz freigeschaltet hat. Darauf, dass er unabhängig arbeiten werde, legt er besonderen Wert. Rot prangt dieses Wörtchen am Kopf der Seite.

Seit Februar hätten mehrere Gespräche mit der Diözese stattgefunden, „die mich schließlich zu der Überzeugung kommen ließen, dass ich im Rahmen des nun geschlossenen Vertrages wirklich unabhängig arbeiten kann“, heißt es in der Erklärung, die Weber anlässlich der Pressekonferenz veröffentlicht hat. „Nach ausführlichen Gesprächen mit möglichst vielen aussagewilligen Beteiligten und intensivem Studium aller verfügbaren Akten und Unterlagen aus den Jahren 1945 bis heute werde ich in Form eines anonymisierten Abschlussberichtes eine Bewertung der Vorgänge abgeben.“ Ihm sei Zugang zu sämtlichen Akten des Bistums und der Domspatzen garantiert worden, so Weber, der erklärt: „Ich springe in kaltes Wasser, in ein Becken, dessen Tiefe ich nicht kenne.“

Verworrene Aktenlage

Tatsächlich sind es einige Untiefen, mit denen sich Weber auseinandersetzen muss. Das betrifft allein schon die Aktenlage, die in Regensburg bislang recht verworren wirkt. Das zeigt ein Vergleich mit dem Erzbistum München-Freising. Dort beauftragte man bereits im April 2010 eine externe Anwaltskanzlei damit, strukturelle Missstände hinsichtlich „sexueller und sonstiger körperlicher Übergriffe“ ausfindig zu machen und sagte den Zugang zu sämtlichen Akten zu.

Über 13.200 Akten der Erzdiözese München-Freising wurden anschließend von den Rechtsanwälten überprüft. Obwohl die Münchner Diözese nur etwa ein Sechstel mehr Priester und Diakone aufweist als die Regensburger (lt. Wikipedia: 1080 zu 916), war in Regensburg im Rahmen vom Bistum veröffentlichten Berichte bislang nur von 2.315 Akten die Rede. Bleibt die Frage: Wurden weitere Akten bislang lediglich noch nicht gesichtet oder gibt es diese schlicht nicht (mehr)?

Wurden in Regensburg Akten in größerem Stil vernichtet? Ihm sei „nicht bekannt, dass zu irgendeinem Zeitpunkt Akten vernichtet wurden“, sagt Generalvikar Fuchs dazu gegenüber der Mittelbayerischen Zeitung. Die Münchner Anwälte kamen in ihrem Abschlussbericht hingegen zu dem Ergebnis, dass sie – trotz der hohen Zahl an gesichteten Akten – davon ausgehen müssten, dass weitere Akten vernichtet worden seien.

Wie kommt man ins Gespräch?

Ebenfalls bleibt die Frage, wie Ulrich Weber nun mit Betroffenen ins Gespräch kommen will. Auf der dafür eingerichteten Internetseite verweist Weber auf seine Sprechstunden, aber auch an die bundesweiten Beratungsstellen des Weißen Rings. Doch mit dem Warten darauf, dass Betroffene sich bei ihm oder beim Weißen Ring melden, wird es nicht getan sein. Der vom Bistum eingesetzte Missbrauchsbeauftragte Dr. Martin Linder etwa machte die Erfahrung, dass sich innerhalb des ersten Jahres, in dem er diese Aufgabe wahrnahm, nicht ein sexuell missbrauchter Domspatz bei ihm gemeldet hatte. Das räumt er im Interview mit der Filmemacherin Mona Botros ein. Generell spricht Linder von einer recht überschaubaren Zahl an Betroffenen, mit denen er ins Gespräch gekommen sei. Weber wird also nicht umhin kommen, Kontakt mit dem Zusammenschluss ehemaliger missbrauchter Domspatzen aufzunehmen.

Kein Entschluss aus freien Stücken

Dass diese sich von selbst melden werden, darf nahezu ausgeschlossen werden. Zu viel Vertrauen wurde in den letzten fünf Jahren verspielt von einem Bistum, das vor allem Energie darauf verwendet hat, die körperliche, psychische und sexuelle Gewalt in ihren Einrichtungen kleinzureden und Betroffene, die an die Öffentlichkeit gingen, zu brüskieren.

Zu dem Schritt, eine externe Stelle mit der Aufarbeitung zu beauftragen und mit Rechtsanwalt Weber einen (nicht öffentlich bekannten) Vertrag zu schließen, der diesem Unabhängigkeit garantieren soll, wurden die Verantwortlichen vor allem durch diese Betroffenen gezwungen. Frühestens in einem Jahr – Weber rechnet damit , dass seine Arbeit so lange dauern wird – wird zu erfahren sein, ob dieses Projekt mehr ist als die durchsichtigen Beschwichtigungs- und Aussitzversuche in der Vergangenheit.




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