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Opfer Kirchlichen Missbrauchs: "Holle Kann Nicht Schlimmer Sein"

By Katharina Mittelstaedt
Der Standard
April 9, 2015

http://derstandard.at/2000014027428/Opfer-kirchlichen-Missbrauchs-Die-Hoelle-kann-nicht-schlimmer-sein

Folterahnliche Bestrafungen, unbezahlte Arbeit, Vergewaltigung: Eine 62-Jahrige berichtet von ihrer Kindheit in einem Tiroler Heim

Innsbruck – Sonja Graf will nicht mehr schweigen. Das hat sie lange genug. Nun soll die Welt von ihrer Geschichte erfahren, sagt sie. Von dem Ekel und Schrecken, der Gewalt, dem Missbrauch, der Ausbeutung: von den 14 Jahren ihres Lebens im Tiroler Landeskinderheim Martinsbuhel – und wie Staat und Kirche danach mit ihr umgingen. "Sie hatten keine Skrupel, jetzt habe ich keine mehr", sagt Graf, zupft eine Zigarette aus der vollen Schachtel vor ihr und beginnt zu erzahlen.

Mit sieben Jahren, so ist es auch den Akten zu entnehmen, kam Sonja Graf nach Martinsbuhel, ein Benediktinerinnenkloster mit angeschlossenem Madchenheim und Sonderschule. Ihre Mutter hatte 15 Kinder, von denen bis auf zwei alle fremdversorgt wurden, ihr Vater war zur Zeit ihrer "Inhaftierung", wie sie die Unterbringung in Martinsbuhel nennt, bereits im Altersheim.

Mit blo?en Fu?en das Feld umstechen

Heute ist Graf 62 Jahre alt, doch an gewisse Erlebnisse erinnert sie sich in allen Einzelheiten: etwa daran, wie sie regelma?ig um funf Uhr morgens aus dem Bett gezerrt wurde, um dann mit blo?en Fu?en das Feld umzustechen; an das Gefuhl, vor den anderen Kindern von den Schwestern gedemutigt zu werden; oder auch an das Gerausch, wenn der Pfarrer nachts in Unterhosen vor ihrem Zimmer stand und gegen die verschlossene Ture hammerte.

Graf lie? bei der zustandigen Innsbrucker Ombudsstelle und der Klasnic-Kommission alles exakt dokumentieren: Schlage, Bestrafung mit folterahnlichen Methoden, Vergewaltigungen durch den Pfarrer und Schwestern sowie schwere korperliche Arbeit in Kuche und Garten standen "auf der Tagesordnung", erzahlt Graf. Im Haushalt sei so viel zu tun gewesen, dass sie meist nur zweimal die Woche die Schule besuchen durfte.

"Nur so lassen sich diese Sadismen erklaren"

"Meine schlimmste Erinnerung ist die von dem Tag, als ich meine erste Menstruation bekam", sagt Graf. "Da haben mich vier Ordensschwestern in das Zimmer vom Pfarrer gezerrt und mich aufs Bett geworfen. Jede hielt mich an einer Gliedma?e fest. Dann wurde mir ein Besenstiel eingefuhrt." Als die damals Elfjahrige vor Schmerzen schrie und weinte, habe ihr eine der Schwestern auf den Mund gespuckt und ihn danach mit einem Pflaster zugeklebt.

Graf ist nicht die Einzige, die von solchen Vorfallen berichtet. Der Historiker Horst Schreiber, der in seinem Buch "Im Namen der Ordnung" Missbrauch in Tiroler Heimen erstmals dokumentierte, kennt diese Erzahlungen auch von anderen "Ehemaligen" aus Martinsbuhel: "Dieses Heim war absolut abgeschottet, es gab kein Korrektiv, keine ausgebildeten Betreuer fur die Kinder mit Behinderungen. Die Schwestern waren schwer uberfordert, und die Kinder aus den Unterschichten verkorperten das Bose fur sie. Nur so lassen sich diese Sadismen erklaren."

Bis heute schwere Folgen

Am 31. Dezember 1974, mit 21 Jahren, wurde Sonja Graf aus Martinsbuhel entlassen. Sie hatte zuvor mehrere Male versucht davonzulaufen. Einmal schaffte sie es bis zur Polizeistation, wurde dort aber nicht ernst genommen und wieder zuruckgebracht. "Die Holle kann nicht schlimmer sein", sagt Graf uber ihre Kindheit.

Sie hat mehrere Suizidversuche hinter sich, leidet an Verfolgungsangsten, vier Jahre lang sa? sie wegen psychosomatischer Lahmungserscheinungen im Rollstuhl. Die Klasnic-Kommission hat Graf die Hochstsumme von 25.000 Euro zugesprochen: "Das gleicht nicht einmal das aus, was die mir schulden. Ich wurde fur die Arbeit im Heim nicht entlohnt, Gelder, die fur mich verwahrt wurden, habe ich nie bekommen. Au?erdem war ich mein halbes Leben lang arbeitsunfahig." Sie fordert, dass Missbrauchsopfer eine kleine Pension erhalten. "Ohne meinen Mann konnte ich finanziell nicht uberleben."

Kurzes Treffen mit Bischof Kung

Vor ein paar Wochen hat Graf, wie vonseiten der Klasnic-Kommission angeboten, einen Termin mit Bischof Klaus Kung in Anspruch genommen. Sie fuhr dafur rund 700 Kilometer nach Niederosterreich. "Er lie? mich uber eine Dreiviertelstunde warten", sagt Graf. Als sie ihm ihre Geschichte erzahlen wollte, habe Kung gesagt, dass er das gar nicht so genau wissen wolle. "Nach 15 Minuten hatte er einen anderen Termin."

Die Medienreferentin der Diozese erklart: "Der Termin wurde an den Herrn Bischof mit dem Wunsch von Frau Graf herangetragen, sich bei ihm personlich fur die Entschadigungszahlungen zu bedanken. Daher wurde ein kurzer Termin veranschlagt." Bischof Kung habe Graf aber das Angebot gemacht, ein Schreiben mit ihren Einwanden an ihn zu richten. Darauf hat sie verzichtet. (Katharina Mittelstaedt, DER STANDARD, 9.4.2015)

 

 

 

 

 




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