| Transparenz Sieht Anders Aus
SWP
March 31, 2015
http://www.swp.de/heidenheim/nachrichten/politik/Transparenz-sieht-anders-aus;art4306,3138973
[Transparency is different.]
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Bei der Aufklarung sexueller Ubergriffe durch Priester hat die katholische Kirche oft vernebelt. Jetzt beginnt die Aufarbeitung im Deutschen Bundestag.
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Als der Jesuitenpater Klaus Mertes Ende Januar 2010 an die Offentlichkeit ging und uber jahrelange Missbrauchsfalle am Berliner Canisius-Kolleg berichtete, brachte er eine Lawine ins Rollen, die allgemeine Emporung ausloste und nachfolgende Erschutterungen in den Kirchen, an Schulen und nicht zuletzt bei den Grunen. Padagogen und Priester gerieten ins Zwielicht, Bischofe mussten zurucktreten, viele Opfer uberwanden ihre Scham und legten Zeugnis ab.
Die schockierenden Enthullungen sorgten zwar fur eine Debatte in Medien und Institutionen, auch gaben betroffene Einrichtungen Untersuchungen des sexuellen Missbrauchs oder - im Fall der Grunen - der Verstrickung in padophile Rechtfertigungsstrategien in Auftrag, mit durchaus respektablen Einsichten. Doch kommt die Aufarbeitung des Missbrauch-Skandals insgesamt nur muhsam voran.
"Es reicht nicht, uber Missbrauch nur zu sprechen", sagt Klaus Mertes, inzwischen Leiter des Internats Sankt Blasien im Schwarzwald, es mangele "trotz unbestreitbarer Erfolge" immer noch an Aufarbeitung, Hilfe und Entschadigung. Auch Johannes-Wilhelm Rorig, seit 2011 Unabhangiger Beauftragter der Bundesregierung fur Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, klagt an: "Kinder werden immer noch nicht ausreichend geschutzt. Pravention muss in Kitas, Schulen, Sportvereinen und Kirchen endlich gelebter Alltag werden." Jedes Jahr werden in Deutschland rund 12 500 Missbrauchsfalle angezeigt - die Dunkelziffer ist hoch.
Die Bemuhungen, Kinder und Jugendliche wirksamer vor Ubergriffen durch Erwachsene zu schutzen, sind vielfaltig. Leitlinien an Schulen und in kirchlichen Einrichtungen wurden verscharft, Hotlines fur Betroffene geschaltet, Beratungsstellen eingerichtet. Vereinzelt sah sich auch der Gesetzgeber zu Reformen und Erganzungen veranlasst. Inzwischen flie?en offentliche Finanzmittel in Aufklarung und Fortbildung sowie in Therapiemodelle. Und doch mahnt Klaus Mertes: "Es bleiben offene Fragen, auch was den Schadenersatz angeht. Da steht eine gesellschaftliche Debatte noch an. Die muss auch im Bundestag gefuhrt werden."
Im Blick hat der Jesuit die zahlreichen Missbrauchsopfer, die sich inzwischen teilweise zusammengeschlossen haben. Einer von ihnen ist Matthias Katsch, Sprecher der Betroffenen-Initiative "Eckiger Tisch" und ehemaliger Schuler am Canisius-Kolleg. Fur ihn ware ein direkter Kontakt zu den Bischofen wichtig, um uber geeignete Entschadigungsma?nahmen zu reden. Derzeit zahlt die Kirche Opfern rund 5000 Euro - fur Katsch nicht angemessen. Akzeptabel seien 25.000 Euro, meint er.
Auch Adrian Koerfer, einst an der Odenwald-"Reformschule" zum Missbrauchsopfer geworden, kritisiert, dass es fur die Betroffenen nach wie vor keine Ansprechpartner in den Institutionen gebe. Diese Sprachlosigkeit der Verantwortlichen mache ihn und andere fassungslos: "Niemand ist uns wirklich wohlgesonnen, auch heute noch nicht." Gro?e Hoffnungen setzen Katsch und Koerfer daher auf jene unabhangige Kommission, die im Auftrag des Bundestages die Aufarbeitung der Missbrauch-Skandale vorantreiben soll. Doch ihre Konstituierung lasst auf sich warten. Zwar gab das Parlament im Januar grunes Licht fur die Auswahl von sieben Mitgliedern "aus unterschiedlichen wissenschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Kontexten". Doch vor Anfang nachsten Jahres wird das ehrenamtliche Gremium seine Tatigkeit nicht aufnehmen.
Wenigstens meldete der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung jetzt Vollzug in einem anderen Fall. Johannes-Wilhelm Rorig berief zehn Frauen und funf Manner in einen "Betroffenenrat", der ihm fortan zur Seite steht. Damit werde die Beteiligung von Betroffenen auf Bundesebene sichergestellt, freut sich Rorig: "Das ist ein wichtiger Meilenstein fur die Anerkennung Betroffener sexueller Gewalt in der Kindheit." Die Mitglieder des Beirats, der an Entscheidungen sowie Stellungnahmen zum Thema Missbrauch mitwirken soll, wurden aus rund 200 Bewerbungen von Rorig und vier Expertinnen aus dem Bundestag ausgewahlt.
Rorig macht sich nichts vor: Die Aufarbeitung der Skandale wie die praktischen Folgerungen daraus stunden "erst am Anfang". Funf Jahre, nachdem die Veroffentlichungen uber die Vorkommnisse an dem Berliner Elitegymnasium die Lawine ins Rollen brachten, konne weder ein Schlussstrich gezogen noch Entwarnung gegeben werden.
Klaus Mertes, der eine gro?e Intransparenz bei der Aufarbeitung in der katholischen Kirche und ein fehlendes Controlling bei den einschlagigen Verfahren in der romischen Glaubenskongregation beklagt, erhofft sich mehr Durchschlagskraft von der unabhangigen Aufarbeitungskommission. Die aber legt erst 2016 los.
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