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Der Schmale Grat Der Redlichkeit

Katholisch
March 27, 2015

http://www.katholisch.de/de/katholisch/themen/kirche_2/150327_kirche_missbrauch_medien.php

[The Thin Red Line of honesty]

Funf Jahre nachdem die katholische Kirche in Deutschland, ausgehend vom Berliner Canisius-Kolleg, ihrer schwersten Demuts- und Wahrhaftigkeitsprobe unterzogen wurde, ist offensichtlich: Der Skandal des sexuellen Missbrauchs an Schutzbefohlenen wird uns noch lange beschaftigen. Die jungst in der ARD gezeigte NDR-Dokumentation "Das Schweigen der Manner" und der Kinofilm "Verfehlung" machen dies gerade in den Tagen der vorosterlichen Bu?zeit klar.

Zwei Reflexe erschwerten von Beginn an eine angemessene Aufarbeitung. Auf der einen Seite der apologetische: Er lasst sich vom Leid der Opfer nicht wirklich tief beruhren und stellt diese nicht ins Zentrum aller Uberlegungen. Der typische Apologet fallt nach dem pflichtschuldigen Abscheu-Lippenbekenntnis rasch in den Modus der Schadensbegrenzung fur das Ansehen der Kirche. In der guten Absicht, ihre moralische Autoritat als Hort der Wahrheit und der Liebe nicht zu sehr beschadigen zu lassen, schreiben manche das "Ja" zur Schande klein und das "Aber" gro?. Besonders ausgepragt ist diese Versuchung unter Konservativen, die eine gewisse Tendenz haben, das Interesse von Institutionen hoher zu stellen als das von Individuen. Denn diese seien ja verganglich, jene aber von Dauer. Gerade die Kirche habe einen unverzichtbaren Glaubensschatz und moralische Grundnormen zu tradieren fur Generationen. "Drum gilt’s, das Ordnung-Schaffende zu schutzen", bringt Kreon gegen Antigone diese Prioritatensetzung auf den Punkt.

Besonders entlarvend wurde uns der apologetische Reflex im Limburger Bischofsskandal vorgefuhrt, als selbst langjahrige, bewahrte Kampfer gegen den Relativismus schlagartig selbst zu Relativisten mutierten, um einen meineidigen, verschwenderischen Oberhirten im Amt zu halten, weil er ihnen zum Idol der Orthodoxie und Kirchendisziplin geworden war. Von der "totalen Redlichkeit", die Papst Benedikt XVI. in seiner Freiburger "Entweltlichungs"-Rede forderte, sind die Dauerapologeten weiter entfernt als sie ahnen.

Forderte die "totale Redlichkeit": Papst Benedikt XVI.

Ihr Lieblingspapst wies auf die "Skandale" und "Unbotma?igkeit der Verkunder des Glaubens" hin und distanzierte sich von Versuchen, blo? "eine neue Taktik zu finden, um der Kirche wieder Geltung zu verschaffen. Vielmehr gilt es, jede blo?e Taktik abzulegen und nach der totalen Redlichkeit zu suchen, die nichts von der Wahrheit unseres Heute ausklammert oder verdrangt, sondern ganz im Heute den Glauben vollzieht (…), ihn ganz zu sich selbst bringt, indem sie das von ihm abstreift, was nur scheinbar Glaube, in Wahrheit aber Konvention und Gewohnheiten sind".

Provoziert und verstarkt wird der apologetische Reflex von den Umtrieben der Gegenseite: den Trittbrettfahrern des Skandals. Auch sie scheinen nicht in erster Linie – vielleicht sogar noch weniger – durch Mitgefuhl fur die Opfer und durch moralische Motive inspiriert. Sie instrumentalisieren die offentliche Emporung fur ihre alte Agenda: die Kirche generell in Misskredit zu bringen, um sie leichter aus dem offentlichen Leben verdrangen zu konnen (laizistische Variante) – in Berlin forderten sie nach Bekanntwerden der Missbrauche am Canisius-Kolleg die Schlie?ung katholischer Schulen – oder den Druck auf die Kirche zu nutzen, um sie ihren Praferenzen entsprechend umzugestalten ("reformkatholische" Variante). Eine Talkshow-Redakteurin nahm bei einer Politiker-Geburtstagsfeier am 2. Marz 2010 in Berlin zu fortgeschrittener Stunde kein Blatt vor den Mund: "Jedenfalls hilft das, die katholische Kirche nach und nach kaputt zu machen."

„Wichtigste Gemeinsamkeit der beiden Trittbrettfahrer-Varianten ist der "Anti-Zolibats-Reflex"“

Was als mediale Aufklarung antrat, brachte denn auch bald Verwirrung hervor: Wahrend Wissenschaftler wie der forensische Psychiater Hans-Ludwig Krober den Tateranteil unter Priestern und Kirchenmitarbeitern "verbluffend gering" nannten, lie? sich die Bevolkerung vom Medientenor einreden, dass Missbrauch "vermehrt in der katholischen Kirche geschieht" (Maybritt Illner). So vertraten im Juni 2010 laut Allensbach 47 Prozent der Befragten die irrige Meinung: "Kindesmissbrauch ist unter Priestern in der katholischen Kirche weit verbreitet"; nur 36 Prozent sahen richtigerweise "nur eine kleine Minderheit" der Priester betroffen.

Suggestive Medienberichte

Durch die Schieflage der Medienaufmerksamkeit avancierten die von katholischen Geistlichen Missbrauchten faktisch gleichsam zu einer "Opferklasse Eins" und alle anderen zu Opfern zweiter Klasse, die offenbar – vielleicht mit Ausnahme der Odenwaldschule –weniger Aufmerksamkeit und Rechercheaufwand verdienten. Krober kritisierte zudem, in den Medien habe man "sexuellen Missbrauch und Prugelpadagogik, die es damals unstreitig an allen Schulen gab, so oft vermischt, dass man das Gefuhl hatte, man will die Zahlen strecken". Jedenfalls wird bis heute nicht klar genug zwischen Opfer- und Taterzahlen unterschieden, so dass sich bei nur oberflachlich interessierten Medienkonsumenten der Eindruck falscher Massenhaftigkeit festsetzen kann: die katholische Kirche als globaler Kinderschanderring.

Wichtigste Gemeinsamkeit der beiden Trittbrettfahrer-Varianten ist der "Anti-Zolibats-Reflex": Den Kirchenallergikern gilt die priesterliche Ehelosigkeit als ultimativer Ausdruck katholischer Sexual-, wenn nicht gleich Menschenfeindlichkeit, Kirchentraumern als Grundubel aller Gemeindeversorgungsnotstande in der mannerdominierten Klerikerkirche. So wundert es nicht, dass genau dies der "Dreh" war, den Sebastian Bellwinkel und Birgit Warnke ihrer NDR-Funfjahresbilanz "Das Schweigen der Manner. Die katholische Kirche und der Kindesmissbrauch" gaben: "Namhafte Wissenschaftler" – prasentiert wurde nur der Sexualpsychologe Christoph Ahlers – wiesen darauf hin, "dass der Zolibat Manner mit gestorter Sexualitat anziehe und selbst bei psychisch gesunden Priestern zu einer ‚seelischen Unterernahrung’ fuhren konne" (daserste.de).

Zu Krobers statistisch begrundeter Feststellung, man werde "eher vom Kussen schwanger als vom Zolibat padophil", passt die These nicht. Dass Ahlers eher "Praferenztater" als "Ersatzhandlungstater" am Werk sieht, widerspricht daruber hinaus einer Auswertung von 78 Gutachten uber auffallig gewordene Priester durch den Essener Gerichtspsychiater Norbert Leygraf. Also was nun? Dass die Opfermehrheit von heranwachsenden Jungen auf einen erhohten Anteil von "gestorten" Priestern im Sinne homosexueller Praferenz schlie?en lasse, wurden die Filmautoren und der Experte, den sie zum Beleg ihres Vorurteils fanden, gewiss weit von sich weisen. Vollmundig angetreten, "hinter die Mauern der katholischen Kirche" blicken zu lassen, verheddern sie sich bei der Ursachenforschung selbst im Irrgarten der Tabus, Klischees und Spekulationen und lassen den Zuschauer ratlos zuruck.

Schlimmer noch: Der ebenfalls fur die Sendung interviewte Pater Klaus Mertes , vom Apologetenblock als Nestbeschmutzer verachtet und als typischer Zolibatsgegner verdachtigt, wurde mit dem Satz: "Dem kann ich hundertprozentig zustimmen" so an Ahlers heran geschnitten, als ob er mit dessen Theorie ubereinstimme. Der Jesuit, dem seine Kirche wohl erst in Jahrzehnten dafur danken wird, dass nicht "kirchenfeindliche Journalisten", sondern ein Gottesmann aus ihrer Mitte die himmelschreienden "Verfehlungen" auf die Tagesordnung setzte und als glaubwurdiger Ansprechpartner der "Taterseite" fur die Opfer zur Verfugung stand, stellt klar: "Dieser Satz von mir bezog sich aber nicht auf die Au?erung des Experten, sondern erschlie?t sich aus dem Zusammenhang des Interviews mit mir. Meine Kernaussage war und ist: Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen Zolibat und Missbrauch; es gibt nur das – in der Priesterausbildung und -auswahl zu minimierende – Risiko, dass der Zolibat attraktiv sein kann fur Manner, die sich dem Leben in liebevollen Beziehungen zu Menschen entziehen wollen. Die nicht gelebte Beziehungsdimension im Zolibat ist ein Problem. Der Sinn des Zolibates besteht jedoch gerade nicht darin, weniger in Beziehungen zu leben."

Hermeneutik der Verdachtigung

Der Vorstellung, sexuelle Enthaltsamkeit sei eine nicht lebbare Zumutung, hatte schon in der aufgeregten Stimmung des Fruhjahrs 2010 die ganzlich "unverdachtige" Alice Schwarzer widersprochen: "Ich glaube, es gibt Menschen, Manner oder Frauen, die sich in der Tat nicht fur Sexualitat interessieren. In unserer vollig hochgeheizten Gesellschaft kann man sich das gar nicht mehr vorstellen. Ich respektiere das durchaus. Ich glaube ganz ehrlich gesagt auch nicht an den Zusammenhang von Zolibat und Missbrauch, uberhaupt nicht." Doch ins Konzept der Filmautoren passte so eine Gegenposition nicht. Sie unterstutzten lieber eine Hermeneutik der Verdachtigung:

Durch semantisch doppeldeutige Begriffe wie den der "Taterorganisation" (Institution von Tatern oder nur im Sinne des Gegenubers zur Opferseite?).

Durch die Abqualifikation der von der Bischofskonferenz zuletzt 2013 uberarbeiteten "Leitlinien" zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch als "Luge", nur weil diese nicht in allen Diozesen gleicherma?en umgesetzt worden seien.

Durch die Suggestion, die beauftragten Wissenschaftler konnten nicht wirklich frei arbeiten, weil Kirchenangestellte die Akten heraussuchten – der Film selbst aber lasst den Leiter des interdisziplinaren Forschungskonsortiums, Professor Harald Dressing, gar nicht zu Wort kommen.

Durch die weitgehende Ausblendung realisierter Ma?nahmen wie der Telefonhotline, der Entschadigungszahlungen, der Leygraf-Studie und der flachendeckenden Pravention. Vom Interview mit der Vorsitzenden der Praventionsbeauftragten der Bistumer wurde nichts ausgestrahlt.

So lasst sich leicht das Misstrauen schuren, "die gro? angekundigte wissenschaftliche Aufarbeitung sei nicht viel mehr als eine PR-Aktion der Bischofe", was laut ARD-Geraune "manche befurchten" (daserste.de), in Wirklichkeit aber wohl die sich selbst bestatigende Arbeitshypothese der Autoren umschreibt.

Strukturelle Sunde "Image-Denken"

Solch ein Strickmuster medialer "Aufklarung" ist naturlich Wasser auf die Muhlen derer, die am liebsten den ganzen Skandal zur "Kampagne" oder zum "Hoax" erklaren und die Kirche zu weiterer Selbstviktimisierung verleiten wollen. Soweit sie uberhaupt Papst Franziskus’ Vision einer Kirche als "Lazarett" anzunehmen bereit sind, sollen darin vor allem die eigenen Wunden verbunden und bejammert werden. Uber strukturelle Sunden einer jahrzehntelang vertuschenden Kirche und deren Ursachen, etwa "die Verstrickung ins Image-Denken" und einen "institutionellen Narzissmus" (Mertes), wurden sie am liebsten gar nicht reden, weil die Kirche fur sie nur heilig ist.

Vortrag von Pater Klaus Mertes zum Thema sexueller Missbrauch.

Eingekeilt zwischen zwei voreingenommenen Parteien, die sich gegenseitig provozieren und bestatigen, aber beide der Devise folgen: "Wenn meine Ideen nicht mit der Wirklichkeit ubereinstimmen – Pech fur die Wirklichkeit", gilt es also wachsam auf dem schmalen Grat der Redlichkeit zu wandeln und die zugleich empathische wie nuchtern analysierende Mitte stark zu machen. Es ist dabei durchaus erlaubt, auf die Heuchelei einer Gesellschaft zu verweisen, die offenbar erst die Verstrickung der aus ganz anderen Grunden unbequemen katholischen Kirche brauchte, um sich dem Massenphanomen Kindesmissbrauch zu stellen. Die Kirche hat sich im Unterschied zu organisierten Humanisten und linkslibertaren Grunen allerdings nicht vorzuwerfen, die eigensuchtige "Padophilie" ideologisch uberhoht, offen toleriert oder gar propagiert zu haben. Das kann uber ihr praktisches Versagen allerdings ebenso wenig hinwegtrosten wie der Hinweis auf die defizitarere Aufklarung des Missbrauchs in anderen gesellschaftlichen Bereichen.

Ein Stuck "Stellvertretung" der Kirche

Bei jenen, die gern die kirchlichen Fassaden polieren, konnte die heilsame Verunsicherung zu der Einsicht beitragen, dass die Unterscheidung von Gut und Bose weder am geistlichen Gewand noch an Kirchlichkeit und Rechtglaubigkeit ablesbar ist und dass Moralvorschriften und Bu?verfahren alleine nicht ausreichen, um sach- und menschengerecht mit sexuellen Dispositionen umzugehen.

So konnte die Kirche aus ihrer offentlichen Demutigung am Ende gesunder und kluger hervorgehen. Vor allem durften die manchmal ma?losen Angriffe gegen sie dazu beigetragen haben, zukunftiges Leid potentieller Missbrauchsopfer abzuwenden und die moralische Sensibilisierung der Gesellschaft insgesamt bei diesem Thema zu verbessern. Man darf in der verdachtigen Einseitigkeit der Skandalisierung theologisch durchaus ein Stuck "Stellvertretung" der Kirche sehen – und einen Hinweis auf das Wirken "jener Kraft, die stets das Bose will" und dabei unfreiwillig "Gutes schafft".

Von Andreas Puttmann

 

 

 

 

 




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