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Die katholische Kirche und der Missbrauchsskandal

By Birgit Wärnke, Sebastian Bellwinkel
Das Erste
March 09, 2015

http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/ndr/titelthesentemperamente100.html

Aufarbeitung der Missbrauchsfälle: Blick auf die dunkle Seite der katholischen Kirche.

[with video]

[The Catholic Church and the abuse scandal.]

Gut fünf Jahre ist es her, dass Missbrauchsfälle in großem Umfang in der katholischen Kirche bekannt wurden. Die Kirche hat seit dem "Aufklärung und Transparenz" versprochen. Sie wolle den Opfern gerecht werden und den Kindesmissbrauch rückhaltlos aufklären. Aber tut sie das wirklich? Hält sie ihr Versprechen? Die Dokumentation "Das Schweigen der Männer" (Montag, 16. März, um 23.30 Uhr im Ersten) hat mit Missbrauchsopfern, Bischöfen und Wissenschaftlern gesprochen.

Matthias Katsch war Mitte der 70er Schüler am Berliner Canisius-Kolleg, unter der Obhut katholischer Patres vom angesehenen Jesuitenorden. Er war 14 Jahre alt, als er von einem Pater missbraucht wurde. Für die ARD-Dokumentation besucht er seine ehemalige Schule. "Wir haben den ganzen Tag hier drinnen verbracht," erinnert sich Katsch, "er hat mich mit verschiedenen Gegenständen und auch mit der bloßen Hand geschlagen. Ich musste mich ausziehen, hab mich über so eine Bank da gebeugt. Das war der finsterste Ort für mich."

Was  Matthias Katsch als Kind erlebte, verdrängt er aus Scham – jahrzehntelang. Erst im  Herbst 2009 schreibt er mit zwei Mitschülern an Pater Mertes, den damaligen Leiter des Kollegs. Mertes glaubt den ehemaligen Schülern, und der Missbrauch wird 2010 öffentlich. Plötzlich trauen sich auch andere Betroffene zu berichten, viele Missbrauchsfälle werden bekannt.

Der sexuelle Missbrauch an Kindern geschah flächendeckend

Wie viele Täter Kinder in den vergangenen Jahrzehnten missbraucht haben, ist bis heute nicht bekannt. Auch nicht die Zahl der Opfer. 27 Bistümer bilden die katholische Kirche in Deutschland. Inzwischen ist klar: Der sexuelle Missbrauch an Kindern geschah flächendeckend. Dazu kommen Hunderte selbständige Orden, und auch in vielen ihrer Schulen, Heime und Internate vergingen sich Patres und Nonnen an Kindern. 

Doch erst 2011 nimmt die Deutsche Bischofskonferenz ein Angebot des Kriminologen Christian Pfeiffer an, den Missbrauch aufzuarbeiten. Doch Bischöfe und Wissenschaftler kommen anderthalb Jahre nicht überein. Pfeiffer kritisiert, "dass die Kirche faktisch Zensurrechte beansprucht hat".

Wieder vergeht mehr als ein Jahr, bis die Bischöfe einen neuen Aufarbeitungsversuch starten. Im März 2014 stellen sie ein Forschungskonsortium vor. Sie versprechen erneut "Klarheit und Transparenz". Ergebnisse frühestens 2017.

Zentraler Punkt für eine wirkliche  Aufarbeitung sind die Personalakten. Doch bekommen die Wissenschaftler überhaupt Zugang? Für Kirchenrechtler  Prof. Norbert Lüdecke ist das eine entscheidende Frage: "Kann ich selber an die Akten? Das scheint mir nicht der Fall zu sein. Das heißt, die Auswahl des Materials und die Zuordnung des ausgewählten Materials zu den Fragen im Erhebungsbögen läuft, soweit ich das sehe, nicht unter Aufsicht der verantwortlichen Wissenschaftler. Denn es sind kirchliche, also bischöflich ausgesuchte Menschen, die diese Zuordnung vornehmen."

Kirchliche Mitarbeiter sind ihren Bischöfen zu Gehorsam verpflichtet. Außerdem gibt es die wichtigen Geheimarchive – zu denen nur der Bischof den Schlüssel hat – und damit die Entscheidung, was davon an die Öffentlichkeit kommt.  Bischof Stephan Ackermann, Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz, betont jedoch: "Wir Bischöfe haben dieses Projekt angestoßen, wir wollen das!"

Aktenvernichtungen

Ein weiteres Problem sind Aktenvernichtungen. Im Erzbistum München und Freising sind Fälle sexuellen Missbrauchs systematisch vertuscht worden. Der damalige Erzbischof Reinhard Marx hat 2010 eine Gutachterin beauftragt, die Missbrauchsfälle seit 1945 zu untersuchen. Fazit: es habe "Aktenvernichtungen in erheblichem Umfang" gegeben. 

Anders als viele Bischöfe ist Pater Mertes ein schonungsloser Aufklärer. Der Jesuit hat  die Vergangenheit seines Ordens aufarbeiten lassen und hatte als Leiter des Canisius-Kollegs die ersten  Fälle öffentlich gemacht: "Das Projekt muss ja für die Betroffenen selbst glaubwürdig sein, damit sie sich daran beteiligen, weil sie sonst das Gefühl haben, sie beteiligen sich hier ja nur an einer PR-Aktion der Kirche, damit die am Ende sagen kann, wir haben auch die Opfer gefragt."

Auch der ehemalige Canisius-Schüler Matthias Katsch ist mit der Aufarbeitung unzufrieden, denn die Missbrauchsopfer sind bei der Planung des Forschungsprojektes lange nicht einbezogen worden. "Sie haben seit 2010 alles dafür getan, dass eben keine Aufarbeitung zustande kommt. Wenn sie wirklich daran interessiert wären, dann hätten sie den Kontakt mit den Betroffenen suchen müssen."

Erst  nachdem die Bischöfe alles festgelegt hatten, wurde er für eine Mitarbeit im Beirat des Forschungskonsortiums angefragt. Für den ehemaligen Canisius-Schüler ist absolut unverständlich, dass die Orden nicht Teil der Aufarbeitung sind.

Die Dunkelziffer ist sicher höher

Denn nach ARD-Recherchen gibt es allein an über 60 Tatorten Hinweise auf Missbrauch durch Patres und Nonnen. Die Dunkelziffer ist sicher höher. Der Forschungsauftrag bezieht sich aber nur auf die Bistümer. Die Bischöfe haben die selbständigen Orden gar nicht erst gebeten teilzunehmen. So bleibt der Missbrauch an vielen Schulen und Internaten unaufgeklärt.




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