| Erzbistum Koln / Erftstadt (13): "Mein Standpunkt" - Werner Becker Nimmt Stellung Zu Den Vorfallen in Erftstadt
By Claudia Adams
Sexueller Missbrauch durch Angehorige der katholischen Kirche im Bistum Trier
February 26, 2015
http://missbrauch-im-bistum-trier.blogspot.de/2015/02/erzbistum-koln-erftstadt-mein.html
"Mein Standpunkt" aus dem Kolner Stadt Anzeiger von Prof. Becker
"Sexueller Missbrauch ist Seelenmord"
"Professor Dr. Werner Becker lebt und arbeitet in Koln. Er ist Zahnmediziner und Heilpraktiker. Werner Becker, selber Missbrauchs-Opfer, nimmt Stellung zu den Vorfallen in Erftstadt und zu Pfarrer Jansen.
Was sich in Erftstadt abgespielt hat, seitdem am 1. Februar Missbrauchsvorwu?rfe gegen den Pfarrer der katholischen Gemeinde, Winfried Jansen, laut geworden sind, hat mich als Opfer sexuellen Missbrauchs durch einen Geistlichen bis an die Grenze des Ertraglichen aufgewu?hlt. Ich habe von Solidaritats-Gottesdiensten gelesen, von Unterschriftenlisten und heftiger Kritik am Erzbistum Koln. Aber da ging es nicht um das mutma?liche Opfer, sondern um eine Verteidigung des mutma?lichen Taters und um die Sorge vor einer Vorverurteilung. Ich habe auch Bilder von brennenden Kerzen gesehen. Die waren mit dem Konterfei von Pfarrer Jansen versehen. Da hat sich mir fast der Magen umgedreht! Ich habe an das kleine Madchen gedacht, das - heute langst erwachsen - sein Schweigen bricht und u?ber Dinge redet, die es seinerzeit als schrecklich erlebt haben muss. Sind wir uns nicht inzwischen einig, dass sexueller Missbrauch Seelenmord ist? Und dass kein Au?enstehender sich ein Urteil anma?en darf, ob die Vergehen "schlimm" oder "harmlos" waren.
Ich wei?, wovon ich rede. Durch ein streng katholisch gepragtes Elternhaus war ich mit den kirchlichen Begriffen von Ethik und Moral gleichsam impragniert. Ein Priester war eine Autoritat ohne Wenn und Aber. Absolut unangreifbar. Jedes Wort der Kritik an einem Priester, gar der Vorwurf eines Versto?es gegen die Sexualmoral, waren ein bestrafungswu?rdiges "Delikt" gewesen. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was ich u?ber die sexuelle Gewalt hinaus, die mir vom Direktor eines katholischen Internats angetan wurde, noch alles hatte erdulden mu?ssen, wenn ich mich damals als Missbrauchsopfer "geoutet" hatte. Schweigen war Uberlebenstaktik.
Deshalb wei? ich, wie leicht es den Tatern im kirchlichen Raum gemacht worden ist, sich an Schutzbefohlenen zu vergehen. Seit 2010 der systematische Missbrauch am Berliner Canisius-Kolleg
der Jesuiten bekannt gemacht wurde, haben wir alle - nicht nur Katholiken, sondern die ganze Gesellschaft - genu?gend Gelegenheit gehabt, uns mit Taterbiografien und -strategien auseinanderzusetzen oder mit dem begu?nstigenden Einfluss, den kirchliche Strukturen hatten. Es will
mir einfach nicht in den Kopf, dass eine Pfarrgemeinde das alles ausblendet - vor lauter Sympathie fu?r "unseren tollen Pfarrer" und mit dem sattsam bekannten Das-kann-doch-alles-gar-nicht-sein-Reflex. Wie straflich falsch das war, ist binnen kurzem offensichtlich geworden: Inzwischen haben sich noch zwei weitere mutma?liche Opfer gemeldet. Und wer wei?, ob es die letzten gewesen sind. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie schwer den beiden Frauen das gefallen ist. Sie mussten namlich nicht nur innere Hu?rden u?berwinden, sondern auch die Barriere namens "Taterschutz", die von der Pfarrgemeinde aufgerichtet wurde. Ich bin froh, dass das zumindest in meiner Zeitung zu lesen war, aber offenbar auch bei Teilen der Gemeinde in Erftstadt angekommen ist. Erinnerungen und Bilder, die in meinem Inneren eingegraben waren und dort tiefe Risse hinterlassen haben, sind jetzt wieder einmal an die Oberflache gekommen. Sie verursachen bis heute tiefen Schmerz. Uns, den Opfern, ist die Frohlichkeit der Jugend genommen worden, ein Stu?ck Urvertrauen zu anderen Menschen. Unbeschwertheit ist ein Begriff aus fernen Welten. Durch ein ganzes Leben zieht sich die Spur der Angst und des Verdrangens. Und all das deutet nur an, was jedes einzelne Opfer als Last lebenslang mit sich herumtragt. Das in einer offentlichen Debatte auszublenden grenzt fu?r mich an Mittaterschaft. Fu?r die Solidaritatskundgebungen der vergangenen Wochen sollten Organisatoren und Teilnehmer deshalb um Entschuldigung bitten. Ich wu?nsche mir das fu?r die mutma?lichen Opfer des Pfarrers, aber auch fu?r andere Geschadigte, nicht zuletzt fu?r mich selbst. Ich wei?, dass ich fu?r viele Opfer spreche, wenn ich sage: Wir fu?hlen uns geradezu hingerichtet durch ein unreflektiertes Verhalten von Menschen, die ihr leuchtendes Bild vom Tater partout nicht verdunkelt sehen wollen und dabei vergessen, was dieser Kindern - unserem kostbarsten Gut - im Schutze seines Amtes und des kirchlichen Raumes angetan hat.
Mir personlich tut es in der Seele weh, miterleben zu mu?ssen, dass Priester erst unter dem Druck der Enthu?llungen zugeben, was sie getan haben. Wie das Erzbistum Koln vorgegangen ist, halte ich fu?r absolut korrekt - und die Anschuldigungen, namentlich gegen Kardinal Rainer Woelki, fu?r haltlos. Auch ihm gegenu?ber ware ein Zeichen der Reue angebracht.
Bleibt fu?r mich eine bescheidene Empfehlung an die Gemeinde: Machen Sie einen Neuanfang! Bauen Sie neues Vertrauen auf! Trotz allem, was mir widerfahren ist, ist mir klar, dass Priester das Vertrauen ihrer Gemeinden brauchen und es in den allermeisten Fallen auch verdienen. Nur mit blindem - ich mochte fast sagen, blindwu?tigem - Vertrauen ist niemandem geholfen. Mit einer Ausnahme: den Tatern. Das aber kann niemand von uns wollen."
PROF. WERNER BECKER Quelle: Kolner Stadt Anzeiger
|