| Auf Der Dunklen Seite
By Heiner Effern
Sueddeutsche
January 23, 2015
http://www.sueddeutsche.de/bayern/missbrauch-im-kloster-auf-der-dunklen-seite-1.2316292
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Fruher galt Kloster Ettal - hier die Kirche - als Eliteschule. Die vielen Missbrauchsfalle ruinierten den Ruf der Einrichtung. (Foto: Johannes Simon)
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Ein bu?ender Monch auf der Anklagebank sieht anders aus. Im dunkelgrauen Anzug, mit wei?em Hemd und blau-gestreifter Krawatte ist Pater Georg ins Landgericht Munchen II gekommen. Aufrecht, den Kopf erhoben, nimmt er vor seinen Verteidigern Platz. Mitgebracht hat er zum Prozessauftakt ein dickes Konvolut, aus dem er gleich nach dem Vortrag der Anklage vorliest. Mit vielen Worten zeichnet er mehr als zweieinhalb Stunden lang das Bild eines Menschen. Einfuhlsam, manchmal unglucklich, konfliktscheu, oft uberfordert. Er beschreibt sich als einen Mann, der sich verirrt hat. Doch nicht auf die Abwege, die ihm die Staatsanwaltin vorwirft. Niemals habe er sich den ihm anvertrauten Schulern als Prafekt des Internats in Kloster Ettal sexuell genahert, sagt der 44-jahrige Pater Georg. Er ist nicht als Bu?er gekommen, sondern um seine Unschuld zu beweisen.
Zwischen den Jahren 2001 und 2005 soll er zwei Schuler sexuell missbraucht haben. Er soll sie mit der Hand am Genital beruhrt und auch gestreichelt haben. Bei zweien ist er des Versuchs angeklagt, sie sollen rechtzeitig gegangen sein. Pater Georg soll seine Position als Vertrauensperson der Kinder dafur schamlos ausgenutzt haben. So steht es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. "Falsch", sagt Pater Georg. "Alle mir zur Last gelegten Vorwurfe sind unzutreffend."
Eine padagogische Ausbildung hatte der Monch nie
Seinem damaligen Verteidiger hatte Pater Georg bei Bekanntwerden der Vorwurfe im Jahr 2010 zwar noch eine Art Gestandnis unterschrieben, so wird beim Prozess bekannt. Der Pater bezeichnet dies aber heute als Fehler, er habe deshalb den Anwalt gewechselt. Die Unterschrift sei ihm mehr oder weniger abgenotigt worden, um ins Gesprach zu kommen mit der Staatsanwaltschaft.
Was er heute eingesteht, sind lediglich Beruhrungen und Streicheleinheiten, die strafrechtlich nicht relevant sind. Er habe zu viel korperliche Nahe zugelassen, sagt er, weil er sich "als Vater- und Mutterersatz" fur die Jungen gefuhlt habe. Noch in der siebten Klasse sa?en diese regelma?ig auf seinem Scho?, auch langere Zeit. Wenn sie Kummer hatten, trostete er sie, "wie es meine Mutter bei mir gemacht hat". Er habe sie am Bauch und am Rucken gestreichelt und gekrault, sagt er. Seine vermeintliche Elternrolle habe ihm "geschmeichelt". Dass ihm die notige Distanz zu den Kindern fehlte, habe er damals nicht reflektiert. "Das tut mir leid, das war ein entscheidender Fehler in meiner Arbeit." Den Grund dafur sieht der Monch in seiner mangelnden padagogischen Ausbildung. Eine solche habe er nie erhalten.
Ohnehin fuhrte sein Weg anfangs in eine andere Richtung. In Frankfurt als Jurgen R. geboren und aufgewachsen, absolvierte er erfolgreich eine Banklehre. In einer Einrichtung der Karmeliter holte er anschlie?end das Abitur nach. Dort habe er "uberzeugende Menschen" kennengelernt, sagt er. Jurgen R. beschloss, in einen Orden einzutreten. Er wahlte die Benediktiner, weil Monche dort nicht standig den Wohnort wechseln mussen. Der bergbegeisterte Novize suchte sich Kloster Ettal aus. 1996 wurde er als Monch endgultig aufgenommen, danach studierte er in Munchen Theologie. Nach Abschluss des Studiums 2001 ubernahm er im Klosterinternat einen festen Posten.
Um die Jungen in den Griff zu bekommen, so beschreibt er es vor Gericht, bastelte er sich selbst eine Art padagogisches Konzept. Das basierte auf vielen Ausflugen zum Wandern, Klettern und Skifahren, um aus der Klasse eine Einheit zu formen. Bei Bedarf gab es Zuwendung, wie er sie von seiner Mutter erlebt hatte.
Zwischen 1960 und 1990 wurden in dem Internat viele Schuler missbraucht
Vier junge Manner berichteten den Ermittlern 2010 aber von einer Art Zuwendung, die weit daruber hinaus ging. Standiges Ziel von Pater Georg war es laut Anklage, mit seiner Hand in deren Hose zu kommen. Einen 13 Jahre alten Jungen soll der Angeklagte unter seinen Boxer-Shorts gestreichelt haben, als er eines Abends bei ihm im Zimmer auf einer Couch eingeschlafen war. Dazu soll es zu einem weiteren, ahnlichen Vorfall auf einer Berghutte gekommen sein, auf der Pater Georg mit Schulern ubernachtete. Der Junge soll sich aus Scham schlafend gestellt haben. Einen 14-Jahrigen soll er mindestens 20-mal in die Hose gefasst haben, als sie gemeinsam im Zimmer des Prafekten vor dem Computer sa?en. Teilweise minutenlang. Der Mann sa? mit seiner Kutte spurbar erregt auf dem Stuhl, der Junge auf seinem Scho?. Zwei andere Schuler sollen sich davongemacht haben, als die Hand des Priesters in ihre Hose zu kommen versuchte.
Die Vorwurfe gegen einen Priester und Prafekten, der als Vertrauensperson fur eine Altersstufe in einem Klosterinternat verantwortlich ist, sind schwerwiegend. Eine besondere Wucht erhalten sie dadurch, dass in diesem Haus der Benediktiner uber Jahrzehnte hinweg Patres ihren Zoglingen noch viel Schlimmeres angetan haben. 15 Monche haben zwischen 1960 und 1990 hinter den Klostermauern unbehelligt mindestens hundert Schuler misshandelt und missbraucht. So steht es im Bericht eines Anwalts, der als Sonderermittler im Auftrag des Munchner Kardinals Reinhard Marx die Vorfalle aufklaren sollte. Er beschrieb ein Terrorregime in Ettal, in dem die Schwacheren Opfer von Gewalt und sexuellen Attacken wurden.
Ein Gutachten uber den Monch brachte kein Ergebnis
Als ehemalige Schuler Anfang 2010 mit ihrem Leid an die Offentlichkeit gingen, brach ein Sturm uber dem Kloster los. Abt und Prior wurden kurzzeitig entmachtet, Patres wurden vernommen, und der Ruf des einstigen Elite-Internats war zerstort. Im Rahmen dieser Ermittlungen, die sich im Wesentlichen auf die Zeit vor 1990 bezogen, wurden auch Vorwurfe gegen Pater Georg erhoben. Bereits im Jahr 2005 war er seines Amtes als Prafekt des Internats enthoben worden, weil sich Schuler uber ihn beschwert hatten. Damals sollen allerdings nicht Vorwurfe in der jetzt angeklagten Form vorgebracht worden sein. Gleichwohl sah sich das Kloster veranlasst, mit Einverstandnis von Pater Georg ein Gutachten zu seinen sexuellen Neigungen erstellen zu lassen, um padophiles Verhalten auszuschlie?en. Das fiel so neutral aus, dass das Kloster dem Monch nach seiner Versetzung nach Wechselburg in Ostdeutschland wieder den Umgang mit Jugendlichen erlaubte. Bis zum Jahr 2010.
Fast alle Straftaten der Monche waren verjahrt, doch das Kloster erkannte nach einigen inneren Kampfen seine Schuld an. Ettal zahlte den Opfern freiwillig Entschadigungen und Therapien in Hohe von insgesamt 700 000 Euro. Zwei Patres erhielten Bewahrungsstrafen, der Prozess von Pater Georg bildet den Abschluss der rechtlichen Aufarbeitung der Vorfalle im Kloster Ettal. Sieben Verhandlungstermine sind angesetzt, das Urteil wird am 26. Marz erwartet.
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