| Wider Die Theologischen Brandstifter
Christ und Welt
January 22, 2015
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Foto: Evandro Inetti/ZUMA/ddp images
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Der Vatikan wirkt an diesem finsteren Nachmittag im Januar wie verwaist, Papst Franziskus ist auf Reisen. Kurienerzbischof Georg Ganswein (58), Prafekt des Papstlichen Hauses, erscheint im schwarzen Talar. Gerade hat er noch in den Vatikanischen Garten den Rosenkranz mit dem emeritierten Papst Benedikt XVI. gebetet. Mit ihm und vier Helferinnen lebt Ganswein im Kloster Mater Ecclesiae im Schatten des Petersdoms zusammen. Ganswein fuhrt in die ausgestorbenen Gemacher der Prafektur. In Abwesenheit des Papstes hat der Prafekt seinen Mitarbeitern freigegeben. „Als Anerkennung“, sagt er. In seinem Arbeitszimmer mit Blick auf den Petersplatz sind ein ubervoller Schreibtisch und nicht ausgepackte Umzugskisten zu erkennen. Das Interview findet im prachtigen Empfangssaal des Prafekten statt. Monsignore Ganswein wirkt gut gelaunt und zundet vor dem Gesprach noch einmal den Adventskranz an.
Christ & Welt: Vor Weihnachten sorgte Papst Franziskus mit seiner Ansprache uber 15 Krankheiten der romischen Kurie fur Furore. Sie sa?en direkt neben dem Papst. Wann haben Sie aufgehort mitzuzahlen?
Georg Ganswein: Als Prafekt des Papstlichen Hauses sa? ich wie immer bei solchen Anlassen zur Rechten des Papstes. Und wie immer hatte ich eine Kopie der Rede in meiner Mappe, aber keine Zeit, sie vorher zu lesen. Als die Aufzahlung der Krankheiten begann, dachte ich mir: Jetzt wird’s spannend, und es wurde immer spannender. Bis zur neunten Krankheit habe ich noch mitgezahlt …
Was ging Ihnen durch den Kopf?
Normalerweise nutzt der Papst den Weihnachtsempfang fur die Kurie, um Ruckschau auf das abgelaufene Jahr zu halten und auch einen Blick auf das kommende zu werfen. Dieses Mal war es anders. Papst Franziskus zog es vor, den Kardinalen und Bischofen, unter ihnen auch einige im Ruhestand, einen Gewissensspiegel vor Augen zu halten.
Fuhlten Sie sich angesprochen?
Naturlich habe ich mich gefragt: Wo trifft es dich? Von welcher Krankheit bist du infiziert? Was ist korrekturbedurftig? An einer Stelle musste ich an meine vielen Umzugskartons denken.
Meinen Sie die Anekdote vom Umzug eines Jesuiten mit unzahligen
Sachen? Franziskus sagte, Umzuge seien Zeichen der „Krankheit des Anhaufens“.
Genau. Seit dem Auszug aus dem Apostolischen Palast nach dem Rucktritt Papst Benedikts im Februar 2013 lagern nicht wenige meiner Sachen noch in Umzugskartons in einem Abstellraum. Ich kann darin aber keinerlei Krankheitsindiz erkennen.
Was bezweckte Franziskus mit dieser Art von Gei?elung? Das konnte demotivierend wirken.
Diese Frage haben sich viele meiner Kollegen auch gestellt. Papst Franziskus ist jetzt fast zwei Jahre im Amt und kennt die Kurie inzwischen recht gut. Offensichtlich hat er es fur notig gehalten, Klartext zu reden und zur Gewissenserforschung anzuleiten.
Wie waren die Reaktionen?
Medial war das naturlich ein Leckerbissen. Wahrend der Ansprache habe ich schon die Schlagzeilen gesehen: Papst gei?elt Kurienpralaten; Franziskus liest seinen Mitarbeitern die Leviten! Nach au?en ist leider der Eindruck entstanden, dass es einen Riss zwischen dem Papst und der Kurie gibt. Dieser Eindruck trugt, er deckt sich nicht mit der Realitat. Aber die Ansprache hat Wasser auf diese Muhlen gespult.
Wurde die Rede intern kritisiert?
Die Reaktionen reichten von Uberraschung bis hin zu Betroffenheit und Unverstandnis.
Vielleicht muss sich die Kurie mit Franziskus auf dauerhafte geistliche Ubungen einstellen?
Darauf ist sie langst eingestellt. Papst Franziskus macht aus seiner geistlichen Pragung keinerlei Hehl. Er ist Jesuit, durch und durch gepragt von der Spiritualitat seines Ordensgrunders, des heiligen Ignatius von Loyola.
Wie erleben Sie Franziskus zwei Jahre nach seiner Wahl?
Papst Franziskus ist ein Mann, der von vornherein klargemacht hat, dass er Dinge, die er anders sieht, auch anders anpackt. Das gilt fur die Wahl seiner Wohnung, des Autos, das er fahrt, fur den ganzen Audienzbetrieb im Allgemeinen und fur das Protokoll im Besonderen. Man kann sich denken, dass das am Anfang gewohnungsbedurftig war und ein gehoriges Ma? an Flexibilitat verlangte. Inzwischen ist daraus Alltag geworden. Der Heilige Vater ist ein Mann von au?ergewohnlicher Schaffenskraft und lateinamerikanischem Schwung.
Viele fragen sich dennoch, wohin geht die Reise?
Wer aufmerksam auf die Worte des Papstes hort, erkennt darin eine klare Botschaft. Trotzdem taucht immer wieder die Frage auf: Wohin will Franziskus die Kirche fuhren, was ist sein Ziel?
Vor einem Jahr sagten Sie: „Wir warten noch auf inhaltliche Vorgaben.“ Sind diese nun zu erkennen?
Ja, viel deutlicher als vor einem Jahr. Denken Sie an das Apostolische Schreiben „Evangelii gaudium“. Darin hat er einen Kompass seines Pontifikats vorgelegt. Daruber hinaus hat er im
Laufe des Jahres wichtige Dokumente veroffentlicht und bedeutende Ansprachen gehalten, wie etwa in Stra?burg vor dem Europaparlament und dem Europarat. Konturen haben sich deutlich abgezeichnet, und es wurden klare Akzente gesetzt.
Welche?
Der wichtigste Akzent hei?t Mission, Evangelisierung. Dieser Aspekt zieht sich wie ein roter Faden durch. Keine innerkirchliche Nabelschau, keine Selbstreferenzialitat, sondern das Evangelium in die Welt hinaustragen. Das ist die Devise.
Haben Sie Verstandnis fur Francis George, den emeritierten Erzbischof von Chicago, der kritisierte, die Worte des Papstes seien manchmal ambivalent?
Es gab in der Tat Falle, da musste der vatikanische Pressesprecher nach einschlagigen Veroffentlichungen eingreifen, um Klarstellungen vorzunehmen. Korrekturen sind dann erforderlich, wenn bestimmte Aussagen zu Missverstandnissen fuhren und von bestimmten Seiten vereinnahmt werden konnen.
Hat Franziskus die Medien besser im Griff als sein Vorganger Benedikt?
Franziskus geht mit den Medien offensiv um. Er nutzt sie intensiv und direkt.
Auch geschickter?
Ja, er nutzt sie sehr geschickt.
Wer sind eigentlich seine engsten Ratgeber?
Diese Frage geistert stets und bestandig umher. Ich wei? es nicht.
Mit den Synoden zur Familienseelsorge im vergangenen und kommenden Herbst hat Franziskus einen Schwerpunkt gesetzt. Vor allem die Frage der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten sorgt fur Meinungsverschiedenheiten. Manche haben den Eindruck, Franziskus sei mehr an der Seelsorge gelegen als an der Lehre …
Diesen Eindruck teile ich nicht. Da wird kunstlich ein Gegensatz konstruiert, der so nicht existiert. Der Papst ist oberster Garant und Huter der kirchlichen Lehre und gleichzeitig oberster Hirte, oberster Seelsorger. Lehre und Seelsorge bilden keinen Gegensatz, sie sind Zwillinge.
Sind der amtierende und der emeritierte Papst bei den wiederverheirateten Geschiedenen entgegengesetzter Auffassung?
Ich kenne keine lehrma?igen Aussagen von Papst Franziskus, die der Auffassung seines Vorgangers entgegenstunden. Das ware auch absurd. Das eine ist, das pastorale Bemuhen deutlicher zu betonen, weil die Situation es erfordert. Das andere ist, eine Anderung in der Lehre vorzunehmen. Ich kann seelsorgerisch einfuhlsam, konsequent und gewissenhaft nur dann handeln, wenn ich das auf der Grundlage der vollen katholischen Lehre tue. Die Substanz der Sakramente ist nicht in das Belieben der geistlichen Hirten gestellt, sondern vom Herrn der Kirche vorgegeben. Das gilt auch und gerade fur das Ehesakrament.
Gab es den Besuch einiger Kardinale bei Benedikt wahrend der
Synode mit der Bitte, er solle zur Rettung des Dogmas eingreifen?
Einen solchen Besuch bei Papst Benedikt hat es nicht gegeben. Ein vermeintliches Eingreifen des emeritierten Papstes ist pure Erfindung.
Wie reagiert Benedikt auf die Versuche traditionalistischer Kreise, in ihm einen Gegenpapst zu erkennen?
Es waren nicht traditionalistische Kreise, die das versucht haben, sondern Vertreter der theologischen Zunft und einige Journalisten. Von einem
Gegenpapst zu sprechen ist einfach dummlich, aber auch verantwortungslos. Das geht in Richtung theologische Brandstiftung.
Zuletzt gab es Aufregung um einen Beitrag, der im jungst neu aufgelegten vierten Band der Gesammelten Schriften Joseph Ratzingers erschienen ist. Der Autor hat einige Schlussfolgerungen zum Thema der wiederverheirateten Geschiedenen im Sinne einer strikteren Haltung abgeandert. Wollte Benedikt sich damit in die Synodendebatte einmischen?
Keineswegs. Die Uberarbeitung des genannten Aufsatzes aus dem Jahre 1972 war bereits lange vor der Synode abgeschlossen und dem Verlag zugesandt. Es sei daran erinnert, dass jeder Autor das Recht hat, in seine Schriften einzugreifen. Jeder Kundige wei?, dass Papst Benedikt die Schlussfolgerungen des genannten Beitrags spatestens seit 1981 nicht mehr teilt, das sind mehr als 30 Jahre! Als Prafekt der Glaubenskongregation hat er dies in verschiedenen Stellungnahmen klar zum Ausdruck gebracht.
Der Zeitpunkt der Veroffentlichung der Neuauflage zur Synode war dann aber alles andere als glucklich …
Der vierte Band der Gesammelten Schriften, in dem der Aufsatz abgedruckt ist, sollte bereits 2013 erscheinen. Die Erscheinung hat sich aus verlegerischen Grunden verzogert und erfolgte erst im Jahr 2014. Dass zu diesem Zeitpunkt eine Synode zum Thema Familie stattfindet, war bei der Planung der Veroffentlichung der einzelnen Bande absolut nicht vorhersehbar. Die beiden Ereignisse sind zeitlich einfach zusammengefallen. Dahinter steckt keinerlei strategische Absicht.
Benedikt XVI. hatte nach seinem Rucktritt versprochen, „verborgen vor der Welt“ zu leben. Er taucht aber doch immer wieder auf. Warum?
Wenn er bei verschiedenen wichtigen kirchlichen Ereignissen prasent ist, dann deshalb, weil er von Papst Franziskus personlich eingeladen wurde, so etwa zur Teilnahme am Konsistorium im vergangenen Februar, zur Heiligsprechung Johannes Pauls II. und Johannes’ XXIII. im April sowie zur Seligsprechung Pauls VI. im Oktober. Daruber hinaus hat er ein Gru?wort verfasst zur Einweihung des nach ihm benannten Auditorium Maximum der Papstlichen Universitat Urbaniana in Rom. Papst Benedikt war dazu eingeladen, ist dieser Einladung aber nicht gefolgt.
In dem Gru?wort, das Sie damals in seinem Namen vortrugen, machte er allerdings klare theologische Aussagen. „Der Verzicht auf die Wahrheit ist todlich fur den Glauben“, schrieb er etwa.
Das Gru?wort war ein eindrucksvoller Beitrag zum Thema „Wahrheit und Mission“. Man konnte eine Stecknadel fallen horen, so still war es wahrend des Vortrags in dem ubervollen Auditorium. Inhaltlich war es ein theologischer Klassiker. Papst Franziskus, dem Benedikt zuvor den Text zukommen lie?, war sehr beeindruckt und hat ihm dafur gedankt.
Spricht Benedikt manchmal uber seinen Rucktritt? Ist er erleichtert?
Er ist mit sich im Frieden und uberzeugt, dass die Entscheidung richtig und notwendig war. Es war eine durchbetete und durchlittene Gewissensentscheidung, und damit steht jeder Mensch vor Gott allein.
Sie hatten mit Benedikts historischem Rucktritt im Februar 2013 zu kampfen. Wie denken Sie heute uber diesen Schritt?
Es stimmt, dass mir die Entscheidung zu schaffen machte. Es fiel mir nicht leicht, sie innerlich anzunehmen. Ich hatte zu kampfen, um damit fertig zu werden. Der Kampf ist inzwischen langst ausgestanden.
Sie haben Benedikt Treue bis in den Tod geschworen. Das bedeutet auch, dass Sie bis dahin an seiner Seite, also im Vatikan, bleiben werden?
Am Tag seiner Wahl zum Papst hatte ich ihm versprochen, ihm in vita et in morte beizustehen. Mit einem Rucktritt hatte ich damals naturlich nicht gerechnet. Das Versprechen gilt aber und behalt Geltung.
Bischofe sollen Hirten sein. Fuhlen Sie sich als Erzbischof an der romischen Kurie zuweilen wie ein Hirte ohne Herde?
Ja, manchmal schon. Aber inzwischen kommen immer mehr Einladungen zu Firmungen, Jubilaumsmessen und anderen Gottesdiensten. Bisher habe ich darauf recht defensiv reagiert und nur wenige Zusagen gegeben. Das habe ich in letzter Zeit geandert. Der direkte Kontakt mit den Glaubigen ist sehr wichtig. Deshalb nehme ich, wann immer moglich und mit meinen dienstlichen Verpflichtungen vereinbar, pastorale Aufgaben an. Das tut gut und auch not. Au?erdem ist das die beste Medizin gegen eine der von Papst Franziskus aufgelisteten Kurien-Krankheiten: die Gefahr, ein Burokrat zu werden.
Georg Ganswein ist Prafekt des Papstlichen Hauses und engster Vertrauter des emeritierten Papstes Benedikt. Geboren wurde er 1956 in Riedern im Schwarzwald. Mit 18 verspurte er die Berufung, Priester zu werden. Sein Weg fuhrte uber Munchen und Freiburg nach Rom. Seit 2012 ist er Kurienerzbischof.
Das Gesprach fuhrte Julius Muller-Meiningen.
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