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„Fall neu aufrollen“? Missbrauchsopfer reagiert mit offenem Brief

Regenburg-Digital
January 19, 2015

http://www.regensburg-digital.de/fall-neu-aufrollen-missbrauchsopfer-reagiert-mit-offenem-brief/19012015/

Das Bistum Regensburg hat angekündigt, seinen Fall neu aufrollen zu wollen: Jetzt antwortet der ehemalige Domspatz Georg Auer (hier schildern wir seinen Fall ausführlich) darauf in einem offenen Brief und erklärt, warum er überhaupt den schweren Weg in die Öffentlichkeit gewagt hat. Wir veröffentlichen ihn in kompletter Länge. Post vom Bistum Regensburg hat Auer übrigens schon letzte Woche bekommen: Zwei Jahre nach seinem Kirchenaustritt fordert das Katholische Kirchensteueramt eine Nachzahlung von 7,27 Euro.

Offener Brief an die Leitung des bischöflichen Ordinariats Regensburg

Sehr geehrter Bistumssprecher Clemens Neck und Generalvikar Michael Fuchs,

laut den letzten Medienberichten will das Bistum Regensburg auf die Ausstrahlung der ARD-Dokumentation „Sünden an den Sängerknaben“ meinen Missbrauchsfall bei den Regensburger Domspatzen neu prüfen und neu bewerten, ob nun doch eine Opferentschädigung in meinem Falle infrage kommt. Des Weiteren sprach man davon, dass die Leitung des Bistums in dieser Angelegenheit mit meiner Person erneut Kontakt aufnehmen will.

Hierzu will ich mich nun persönlich und öffentlich äußern.

1. Seit meinem Brief an die Leitung der Domspatzen-Vorschule im Juni 2006 – in dem ich meine Missbrauchs- und Gewalterlebnisse in der damaligen Vorschule in Etterhausen schilderte – hatte ich niemals einen persönlichen Kontakt mit irgendwelchen Personen des Bistums. Meine damaligen Kontakte beschränkten sich nur auf die damalige Missbrauchsbeauftragte des Bistums Regensburg und den damaligen Direktor der Domspatzen-Vorschule. Ohne jemals ein Gespräch mit Vertretern des Bistums geführt zu haben, erhielt ich dann am 23. Januar 2012 auf meinen vorher gestellten Antrag auf Opferentschädigung den von Prälat Michael Fuchs unterzeichneten Bescheid:

„Auch mit Ihren Schilderungen haben wir uns intensiv auseinandergesetzt und sind vielen weiteren Quellen nachgegangen. Wir konnten dabei Ihre Aussagen zur Frage eines sexuellen Missbrauchs leider nicht nachvollziehen. Eine Leistung in Anerkennung von erlittenem Leid erscheint auf diesem Hintergrund deshalb nicht gerechtfertigt.“

Diese Ihre Schlussfolgerung hinsichtlich meiner Missbrauchsschilderungen ist umso mehr unverständlich, so die Staatsanwaltschaft Regensburg in einem Schreiben vom 01.09.2010 mir bescheinigt, dass in meiner Missbrauchsangelegenheit bei den Regensburger Domspatzen von einem „… schweren sexuellen Missbrauch von Kindern…“ auszugehen ist.

All die schon bisher von mir geschilderten Fakten des sexuellen Missbrauchs an mir bei den Regensburger Domspatzen waren der Bistumsleitung schon immer bekannt, davon ausgehend, dass die frühere bischöfliche Missbrauchsbeauftragte das Bistum hierüber unterrichtete.

Wie kann der Bistumsreferent, Herr Neck, nun behaupten, infolge der letzten Fernsehsendung wären nun neue Aspekte bekannt geworden, welche dem Bistum bisher in dieser Form nicht vorlagen?

2. Tatsache ist, dass niemals seit meinem Brief vom Juni 2006 ein kirchlicher Vertreter des Bistums mit mir den persönlichen Kontakt gesucht hat oder gar mich zu einem persönlichen Gespräch gebeten hat. Es gab nur ein einziges Treffen im Jahre 2010 mit dem damaligen Direktor der Domspatzenschule und der Missbrauchsbeauftragen mit mir. Hierbei handelte es sich um eine „Erinnerungs-Begehung“ des ehemaligen Domspatzenheims in Etterzhausen, an das leider – außer dem Straßennamen – wegen neu erbauter Privathäuser an dessen Stelle nichts mehr erinnert. So will ich nochmals betonen, dass ich in den nun vergangenen acht Jahren seit meines Briefes an die Leitung der Domspatzen-Vorschule niemals Kontakt zu Irgendjemanden im Bistum hatte.

3. Das Treffen mit meinem Missbrauchstäter und der Missbrauchsbeauftragten in Neumarkt in der Oberpfalz im Jahre 2010 erfolgte auf meinen Wunsch hin, meinem Missbrauchstäter endlich gegenüber zu stehen und diesen mit meinen Missbrauchserinnerungen zu konfrontieren. Warum dieses Treffen in Neumarkt/Opf. und nicht in Regensburg stattfand, habe ich nie richtig verstanden. Es hieß damals, wegen verkehrsbedingten Problemen was den Täter betraf. Dieses Zusammentreffen mit meinem damaligen Missbrauchstäter forderte von mir alles ab. Kein Mensch kann erahnen, was das für ein Missbrauchsopfer bedeutet und welch innere Kraft und äußere Disziplin es von einem Opfer abverlangt. Mein erster Reflex bei der Begegnung war, dass ich mich hinter dem Rücken der Missbrauchsbeauftragten verstecken wollte. Im dann folgenden längeren Gespräch mit meinem Missbrauchstäter in Anwesenheit der Missbrauchsbeauftragten kam es dann zu dem Vergebungsakt meinerseits für den Täter, da dieser mich unter Tränen mit ausgestreckter Hand um Verzeihung bat. Umso mehr war ich aber dann schockiert und entsetzt, als ich dann später folgendes in Medien zu lesen bekam:

„Der Beschuldigte habe die Vorwürfe eines sexuellen Missbrauchs ausgeschlossen und lediglich allgemein bedauert, ‘wenn es Herrn Auer damals schlecht ergangen sein sollte’“

Infolge dieser Täteraussage musste ich davon ausgehen, dass die Bistumsleitung öfters im Gespräch mit meinem Missbrauchstäter war, hingegen sie mich acht Jahre lang als Missbrauchsopfer einfach ignoriert haben. Dieses war dann auch der Grund, dass ich dann fortan bezüglich meines Missbrauchsfalles in die Öffentlichkeit ging. So erfuhr ich jetzt auch erst über die Medien, dass mein Täter unterdessen verstorben ist. Woher bezogen diese ihre Information hierüber?

Anfang 2013 trat ich dann aus der katholischen Kirche aus, so der neue Bischof Voderholzer alle bisherigen leitenden Diözesanoberen in ihren Ämtern bestätigt hatte. Denn dann war ich erst gewiss, dass ich von dieser Kirche in meinem Missbrauchsfall nichts mehr erwarten kann, außer weitere demütigende Akte zu meiner Person. Auf meinen Kirchenaustritt bekam ich dann einen Brief vom örtlichen Pfarramt, in dem ich auf die Folgen meines Kirchenaustritts hingewiesen wurde. Am Schluss des Briefes wurde ich unter anderem auch daran erinnert:

„Ebenso kann Ihnen, falls Sie nicht vor dem Tod irgendein Zeichen der Reue gezeigt haben, das kirchliche Begräbnis verweigert werden.“

Wissen die Oberen im Bistum Regensburg denn überhaupt, was so ein Satz bei einem Missbrauchsopfer eines kirchlichen Täters an Gefühlen, Emotionen und Demütigungs-Empfindungen auslöst? Soll ich an mir begangene Sünden etwa auch noch gar bereuen? Somit können sie es nicht wissen, oder sie sind einfach nur seelenlose Menschen?

Infolge meines Kirchenaustritts vom 30. Januar 2013 bekam ich nun, zwei Jahre später, letzten Samstag (17.01.2015) ein Schreiben vom Kath. Kirchensteueramt Regensburg, in dem ich aufgefordert werde, infolge meines Kirchenaustritts noch eine Steuerschuld über 7,27 Euro zu begleichen.

Ist dieses Schreiben gar der „erneute Versuch“ des Bistums mit mir wieder in Kontakt zu kommen?

So kann auch ich als Missbrauchsopfer der Kirche den Ausruf meines Mitstreiters, Udo Kaiser, nur wiederholen:

„Wendet Euch nicht an dieses Bistum!“

Georg Auer
Kirchliches Missbrauchsopfer

 




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