Bregenz - Zwei ehemalige Mitglieder der direkt dem Papst unterstellten katholischen Gemeinschaft "Das Werk" in Bregenz haben schwere Vorwürfe gegen die geistliche Familie erhoben. Sie sprachen von Missbrauchsfällen und der Einschränkung der persönlichen Freiheit innerhalb der Gemeinschaft, berichtete der ORF Radio Vorarlberg. Der Vatikan soll "Das Werk" ein Jahr lang intensiv untersucht haben.
Einer der beiden Aussteiger, ein heute 35-jähriger Brite, lebte laut ORF ab seinem 18. Lebensjahr sechs Jahre lang in der Gemeinschaft in einem ehemaligen Dominikanerinnen-Kloster in Bregenz-Thalbach. Seit 1983 ist dies der Hauptsitz der geistlichen Familie "Das Werk", rund 100 Schwestern und 30 Brüder und Priester sollen derzeit in dem Gebäude leben. Er sagte, er sei sich zum Schluss vorgekommen, wie in einer Sekte, ständig überwacht und sogar von seinem Beichtvater durchleuchtet. Selbst zur Beerdigung seines Großvaters habe er nicht gehen dürfen, so der Brite im Radio-Interview.
Ein ehemaliger Werkpriester berichtete von mehreren Missbrauchsfällen seiner ehemaligen Mitbrüder an "Werk"-Schwestern. Frauen, die Anschuldigungen erhoben, seien stets selbst als Verführerinnen dargestellt worden. Ein Priester des Ordens soll auch bei der Staatsanwaltschaft angezeigt worden sein. Weil der aber von einvernehmlichem Geschlechtsverkehr sprach, sei es zu keiner Anklage gekommen. Der Priester sei danach in der Kurie im Vatikan an eine zentrale Stelle versetzt worden, obwohl er intern den Missbrauch zugegeben haben soll.
Dementi des VatikansDer vatikanische Pressesprecher, Pater Federico Lombardi, hat am Montag dementiert, dass im Vatikan bereits ein Abschlussbericht der "Apostolischen Visitation" bei der mit Missbrauchsvorwürfen konfrontierten katholischen Gemeinschaft "Das Werk" vorliege. Er habe gegenüber der von der Gemeinschaft veröffentlichten Presseaussendung nichts zu ergänzen.
Die "Apostolische Visitation" wurde von der Kongregation für die Ordensleute geführt, bestätigte Lombardi im Gespräch mit der APA. Er fügte hinzu, dass Visitationen eine normale Aktivität der Kongregation seien. Es sei jedoch nicht auszuschließen, dass bei der Visite bei der Gemeinschaft "Das Werk" auch das Thema der Missbrauchsfälle angesprochen worden sei.
Neues Enthüllungsbuch einer ehemaligen SchwesterEine Stellungnahme der Leitung von "Das Werk" gab es in diesem Zusammenhang nicht. Allerdings äußerte sich die Gemeinschaft gegenüber der APA zu einer am Samstag erschienenen Biografie der ehemaligen "Werk"-Schwester Doris Wagner mit dem Titel "Nicht mehr ich: Die wahre Geschichte einer jungen Ordensfrau". Sie schildert in dem Buch kontrolliert, manipuliert, sexuell missbraucht und unter Druck gesetzt worden zu sein.
Zwar werde "Das Werk" in dem Buch nicht explizit genannt, laut dem Regionalverantwortlichen der Gemeinschaft, Pater Georg Gantioler, sei aus dem Kontext aber leicht zu entnehmen, dass es sich um die geistliche Familie "Das Werk" handle.
In der Stellungnahme heißt es etwa: "Wir bedauern es sehr, dass sie (Anm. Doris Wagner) in einer derartig negativen Weise auf die Jahre in unserer Gemeinschaft zurückblickt und viele positive Dinge, die sie erlebt hat, ausblendet." Der Inhalt des Buches gebe subjektive Darstellungen und Empfindungen der Autorin wieder, Elemente des Gemeinschaftslebens und unserer Lebensordnung seien aus dem Kontext gerissen.
"Apolstolische Visitation" zur Klärung der VorwürfeDie Gemeinschaft bedaure sehr, "dass ein Priester der Gemeinschaft eine kurze intime Beziehung mit der damals 24-Jährigen unterhalten hat". Eine diesbezügliche Anzeige wegen Vergewaltigung sei jedoch sowohl in Deutschland als auch in Österreich zurückgewiesen worden. "Der Priester war stets zu rechtlicher, kirchlicher und persönlicher Klärung des Vorfalls und zu persönlicher Buße bereit", so Gantioler.
Der Regionalverantwortliche der Gemeinschaft räumte in seiner Stellungnahme auch ein, dass es eine "Apolstolische Visitation" zur Klärung der Vorwürfe gegeben habe. Der abschließende Bericht der Kongregation sei jedoch noch ausständig.
"Entwicklungsschritte"Die Gemeinschaft hat nach den am Samstag öffentlich gewordenen Anschuldigungen Fehler eingeräumt. Diese gehörten aber der Vergangenheit an, sagte Sprecher Georg Gantioler im ORF. Er bestätigte etwa, dass die Leitung früher persönliche Briefe noch vor dem Adressaten gelesen und abgefangen habe. Auch sei es vorgekommen, dass dem geistlichen Begleiter persönlich Anvertrautes weitererzählt worden sei. "Da sind die Grenzen manchmal fließend gewesen", sagte der Sprecher. Heute kämen solche Vorfälle in der geistlichen Familie nicht mehr vor.
Explizit als Fehler bezeichnete der Geistliche die Praktiken etwa der Verletzung des Briefgeheimnisses aber nicht. "Man kann das jetzt Fehler nennen. Ich würde sagen, das waren Entwicklungsschritte", so der Geistliche. Diese hätten aus der "pubertären" Gemeinschaft eine "reife" Gemeinschaft gemacht, "auch durch schmerzliche Erfahrungen hindurch."
"Das Werk" ist eine 1938 gegründete katholische Gemeinschaft, die seit 2001 vom Vatikan approbiert und als "Familie gottgeweihten Lebens" anerkannt ist. Der Hauptsitz des in zwölf Ländern aktiven Ordens ist seit 1978 das Bregenzer Kloster Thalbach. In Österreich gibt es Niederlassungen in Schoppernau im Bregenzerwald, in Feldkirch, Innsbruck und Wien. (APA, 8./9.11.2014)