| Die Vergehen Padophiler Priester Auf 15.000 Seiten
Die Welt
November 10, 2014
http://www.welt.de/vermischtes/article134162591/Die-Vergehen-paedophiler-Priester-auf-15-000-Seiten.html
Die katholische US-Kirche veroffentlicht zwolf Jahre nach dem Missbrauchsskandal einen Bericht. Er zeigt, wie dramatisch die Vergehen in Chicago wirklich waren – vieles bleibt trotz allem im Dunkeln.
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Bereits im Januar 2014 hatte Kardinal Francis George die ersten 6000 Dokumente von 30 angeklagten Priestern veroffentlichen lassen. Der 77-Jahrige legte Ende September wegen Krankheit sein Amt nieder
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Als im Jahr 2002 die ersten Falle sexuellen Missbrauchs minderjahriger Jungen und Madchen innerhalb der katholischen Kirche bekannt wurden, ahnte vermutlich kaum jemand in den USA, zu welchem Skandal sich die Vorwurfe ausweiten sollten. Mittlerweile ist bekannt, dass in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Tausend Jugendliche Opfer von Priestern wurden. Allein die amerikanische Bischofskonferenz listet in einem Bericht 6700 Missbrauchfalle auf und klagte 4392 Priester an. Viele der Opfer waren dabei erst elf oder zwolf Jahre alt, keiner uber 17.
Die Falle reichten dabei so weit in die Vergangenheit zuruck, dass eine Aufbereitung nur schwer moglich war. Der gro?te Teil der Tater (etwa 3300) war nach der Aufdeckung bereits gestorben. Nur gegen einen Bruchteil der Beschuldigten (384) wurde ermittelt, und noch weniger, gerade einmal 252 Priester, wurden auch verurteilt. Von den durch die Bischofskonferenz identifizierten Tatern waren das knapp funf Prozent.
Doch der Missbrauchsskandal ist auch zwolf Jahre nach den ersten Enthullungen noch immer nicht ausgestanden. Weiterhin versucht sich die katholische Kirche an einer Aufarbeitung. Erst in der vergangenen Woche veroffentlichte nun die Erzdiozese von Chicago einen neuen umfassenden Bericht.
Sexuelle Ubergriffe auf Minderjahrige
Die Initiative stammt dabei von Kardinal Francis George, der schwerkrank Ende September dieses Jahres sein Amt niedergelegt hatte. Der 77-Jahrige hatte eine Untersuchung in seiner Diozese versprochen und bereits im Januar 2014 die ersten 6000 Dokumente von 30 angeklagten Priestern veroffentlichen lassen.
Die neuen insgesamt 15.000 Seiten langen Berichte, die die Kirche in Chicago online stellte, listet weitere 36 Priester auf, die sich in den vergangenen Jahrzehnten wegen sexuellen Ubergriffen auf Minderjahrige schuldig gemacht haben sollen. Insgesamt 92 Prozent der Falle passierten dabei vor 1988 und gehen bis in das Jahr 1950 zuruck. Insgesamt 14 Angeklagte sind mittlerweile gestorben, keiner von ihnen halt noch heute ein Amt in der Kirche.
"Wir konnen die Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Aber wir hoffen, dass wir durch einen ehrlichen und offenen Dialog neues Vertrauen aufbauen konnen", lie? Kardinal Francis George in einem Statement verkunden. "Kindesmissbrauch ist ein Verbrechen und eine Sunde."
Priester wurden nicht entlassen, sondern versetzt
Schon die fruheren Berichte hatten gezeigt, dass die katholische Kirche offenbar von vielen Fallen wusste, aber nichts unternommen hatte, um einen noch gro?eren Skandal zu verhindern. Die US-Kirche versuchte sogar eher zu vertuschen und versetzte nach Bekanntwerden der Anschuldigungen einfach die Priester in eine andere Gemeinde.
Doch stoppen konnte sie den Skandal mit dieser Taktik nicht. Immer mehr Opfer meldeten sich, nahmen sich Anwalte und zogen vor Gericht. Als letztes Mittel halfen dann nur Wiedergutmachungszahlungen. Bis heute hat die katholische Kirche so mehr als 1,3 Milliarden Dollar an die Opfer sexueller Gewalt von Priestern gezahlt.
Die meisten Glaubigen zeigten sich damals erschuttert von den Vorwurfen. 78 Millionen Katholiken gibt es in den USA, und mit einem Anteil von 25 Prozent an der Bevolkerung stellen sie noch immer die gro?te kirchliche Gemeinde, woran aber auch die Zuwanderung von Menschen aus dem traditionell katholischen Sudamerika einen gro?en Anteil hat.
Die neuen Dokumente zeigen nun, dass auch in der Diozese Chicago die Kirche lange Zeit versucht hatte, die Vorwurfe gegen die Priester zu verheimlichen. Dabei wurden die Beschuldigten nicht entlassen, sondern einfach versetzt. In einigen Fallen half diese Taktik den Priestern, noch lange im Amt zu bleiben.
"Keine signifikante Gefahr fur Kinder"
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Barbara Blaine, Prasidentin des Opferverbandes "Survivors Network of those Abused by Priests", glaubt nicht, dass Akten nicht zuganglich seien
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Ein Beispiel dafur ist Alexander Baranowski, der nach den ersten Anschuldigungen sexuellen Missbrauchs von Kindern insgesamt noch 13 Jahre als Priester weiterarbeiten konnte. Dabei ist bereits in einem Brief von 1963 von "schweren Vorwurfen" gegen Baranowski von Opfern die Rede. Doch anstatt den Geistlichen sofort zu entlassen, wurde er insgesamt zweimal versetzt und musste erst 1976, nachdem weitere Vorwurfe gegen ihn auftauchten, abdanken. Baranowski ist mittlerweile gestorben.
Bizarr ist aber auch der Fall von John Calicott. Der Priester hatte 1994 zugegeben, 19 Jahre zuvor zwei jugendliche Jungen missbraucht zu haben. Er wurde daraufhin von seinen Pflichten innerhalb der Kirche suspendiert; ein Jahr spater jedoch wieder in Amt und Wurden gesetzt. Der damalige Kardinal Joseph Bernardin begrundete die Entscheidung damit, dass John Calicott "keine signifikante Gefahr fur Kinder" darstelle, wenn er seine Therapie fortsetze. Kardinal Francis George suspendierte den Beschuldigten dann 2002 erneut, erst sieben Jahre spater wurde Calicott laisiert.
Vermachtnis schutzen
Die Vertreter der Opfer begru?ten die Veroffentlichung der Dokumente, erklarten aber, dass noch viel mehr Priester wegen Missbrauchs angeklagt seien. "Das macht die Sache verdachtig, luckenhaft und am Ende dann doch nicht transparent", sagte Opferanwalt Jeff Anderson. "Es scheint, dass Kardinal George versucht, sein Vermachtnis zu schutzen."
Die Kritik stutzt sich dabei vor allem auf Falle, die nicht von der Erzdiozese aufgelistet wurden. Dabei geht es um die Priester Daniel McCormack und Edward Maloney. McCormack hatte 2007 zugegeben, "funf Kinder sexuell missbraucht" zu haben. Dafur wurde er 2009 zu funf Jahren Gefangnis verurteilt. Mittlerweile meldete sich ein weiteres Opfer des Geistlichen. Maloney dagegen soll zwei Jungen missbraucht haben und wurde 2009 von der Kirche suspendiert.
Wichtiger Schritt zur Aufbereitung des Skandals
Die Nichtveroffentlichung dieser beiden schweren Falle begrundete die katholische Kirche in Chicago mit "anhangigen Zivilklagen vor Gericht", die verhinderten, Akten zuganglich zu machen.
Barbara Blaine, Prasidentin des Opferverbandes "Survivors Network of those Abused by Priests", nennt das "Haarspalterei". "Sie wollen nur ein Minimum veroffentlichen und uns nicht das ganz Ausma? zeigen", kritisiert sie. Dass Akten nicht zuganglich seien, will Blaine nicht glauben. "Niemand hat heute mehr Macht in der Gemeinde als Kardinal George."
Die Direktorin fur den "Schutz von Kindern und Jugendlichen der Erzdiozese von Chicago", Jan Slattery, bezeichnet die Veroffentlichung der Dokumente dagegen als einen ersten wichtigen Schritt zur Aufbereitung des Skandals. Weitere wurden folgen. "Fur uns ist das eine Gelegenheit, die Wahrheit zu sagen", sagt Slattery.
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