| Gute Nachricht, Schlechte Nachricht
The Zeit
October 10, 2014
http://www.zeit.de/2014/42/sexueller-missbrauch-katholische-kirche-reaktion
In den vergangenen Wochen ging es Schlag auf Schlag. Zuerst kam die Nachricht von der Verhaftung des ehemaligen Erzbischofs Jozef Wesolowski wegen sexuellen Missbrauchs von Jungen in seiner Zeit als Botschafter des Vatikans. Dann wurde bekannt, dass Wesolowski Unmengen kinderpornografischen Materials auf seinen Computern gespeichert hatte. Zwischendurch war ein Bischof in Paraguay abgesetzt worden, der einen in den USA verurteilten Missbrauchstater in ein wichtiges Amt seiner Diozese befordert hatte. Mal wieder bad news fur die katholische Kirche und good news fur Presse?
Die bad news waren good news fur die Kirche, denn beide Verhaftungen sind Schritte zu einer einheitlichen Rechtskultur. Der Vatikan agiert mit nie da gewesener Konsequenz, ohne bad news zu furchten. Zwar kommen die Anklagen um Jahrzehnte zu spat. Und in der Weltkirche mit ihren 1,2 Milliarden Mitgliedern gibt es noch keinen Konsens zu Missbrauchsaufklarung und Pravention. Aber in Landern wie den USA, Australien, Irland oder Deutschland gibt es nun flachendeckende Leitlinien zum Umgang mit Opfern und Tatern. Leider gilt in Teilen Osteuropas und Westafrikas der Missbrauch Minderjahriger noch als "Problem des Westens". Doch die wichtigsten Entscheider im Vatikan haben begriffen, was nottut. Franziskus schuf eine Papstliche Kommission zum Schutz von Minderjahrigen, die nicht nur den Papst berat, sondern auch die romischen Amter, die Ortskirchen und Ordensgemeinschaften. Zwar hat die Kommission keine direkten rechtlichen Befugnisse, denn entsprechende Organe gibt es schon. Doch nun wird uberpruft, ob sie funktionieren. Die Kommission soll Gerechtigkeit fur die Opfer erwirken, Pravention, Ausbildung von Personal und eine theologisch-spirituelle Auseinandersetzung mit dem Missbrauch.
Schon wurden die Rechtsnormen deutlich verscharft: die Verjahrungsfrist verdoppelt; der Besitz von Kinderpornografie zum Straftatbestand erhoben. Unmissverstandlich hei?t es, das Straf- und Zivilrecht des jeweiligen Staates sei einzuhalten. Die Glaubenskongregation fordert von den 112 Bischofskonferenzen und auch von den Orden, Praventionsstrategien zu formulieren. Nur einige Bischofskonferenzen in Westafrika haben das noch nicht getan.
Franziskus macht klar: Es geht nicht um den Schutz von Kirchenmacht, sondern von Menschen. Erzbischof Wesolowski wurde in erster Instanz mit der kirchenrechtlichen Hochststrafe, der Laisierung, belegt. Nun wird ihm auch der strafrechtliche Prozess nach den verscharften Gesetzen des Vatikanstaates gemacht. Das ist das Ende einer (Un-)Rechtskultur, die Missbrauchstaten fruher als hochnotpeinliche Vorfalle unter der Decke hielt. Wenn heute der Vatikansprecher Federico Lombardi offentlich uber Details der Anklage und das mogliche Strafma? (drei bis sieben Jahre Gefangnis) spricht – dann sind das good news im Sinne von Franziskus. Nicht nur Barmherzigkeit, auch Gerechtigkeit liegt ihm am Herzen.
Anfang Juli lud Franziskus Betroffene sexueller Gewalt nach Rom ein und traf sie in der Casa Santa Marta, wo er wohnt, gegenuber dem Petersdom, im Herzen seiner Kirche. Er gab ein Beispiel fur alle Bischofe und Priester: sich der Trauer, Wut, Enttauschung und Einsamkeit der Opfer zu stellen. Nur so kann sich eine Tur offnen: Weicht das unheimliche und unmenschliche Dunkel ein wenig, sind seelische und korperliche Schmerzen leichter zu tragen, wachst Hoffnung auf Heilung. Diese good news wurden zum Erstaunen der Opfer von deutschen Medien kaum beachtet. Good news scheinen uninteressant, was bei Betroffenen den Eindruck erweckt, dass sie von den Medienmachern ausgenutzt werden.
Auch deshalb gilt es den neuen Kurs der Kirche zu starken. Er orientiert sich an den amerikanischen Bischofen und ihrer Null-Toleranz-Strategie. Kann das gelingen? Die katholische Kirche als gro?te Religionsgemeinschaft der Welt ist wie ein Tanker: Jede Wende braucht Zeit. Das riesige Schiff fahrt aus Tragheit oft noch auf altem Kurs weiter, ehe es ganz in eine andere Richtung dreht. Doch die good news sind: Der neue Kurs bringt alle naher zum Heimathafen.
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