| Anklage: Padophilie
By Lukas Plewnia
HPD
October 9, 2014
https://hpd.de/artikel/10246
Wesolowski vs. Hartman - der erstgenannte hatte Unmengen von kinderpornographischem Material auf seinem Computer, der zweite ist Philosophieprofessor, der die polnische Gesellschaft gerne mal mit schwierigen Fragen konfrontiert. Wie gehen nun polnische Medien mit diesen zwei - zugegeben ungleichen - Fallen um?
Wenig wird im deutschen Sprachraum uber Polen geschrieben. Auf den Homepages der gro?en Onlinemedien wie FAZ oder SPIEGEL ONLINE sind Ereignisse jenseits der Oder und Nei?e rar gesat. Doch nicht in diesem Fall: Jozef Wesolowski, der ehemalige Nuntius in Santa Domingo (Dominikanische Republik), brilliert auf deutschen Nachrichtenportalen. Da Wesolowski im Suden Polens geboren wurde und dort aufwuchs, ist Polen gleich mit vertreten. Auf diese Prominenz konnte das Land wohl verzichten, das aber ware ein anderes Thema.
Dass auf Wesolowskis Computer Unmengen von kinderpornographischem Material gefunden wurden, er unter Hausarrest steht und wohl bald in einem italienischen Gefangnis einquartiert wird, bedarf keiner naheren Ausfuhrungen mehr. Dieses hat der interessierte Leser in der Frankfurter Rundschau, bei Suddeutsche.de oder bei DIE WELT nachgelesen. Interessant ist allerdings der Beitrag polnischer Medien zu diesem Fall, der international derart Aufsehen erregt. Denn dass in der polnischen Medienlandschaft eine ganz spezielle Demarkationslinie - und zwar zwischen kirchenneutralen und kirchlichen Medien - besteht, lasst nichts Gutes ahnen. Also: Was haben die polnischen Medien aus dem Fall Wesolowski gemacht?
Rechte Medien zieren sich
Traditionell kirchenferne Medien, die nicht kirchenkritisch, aber objektiv gegenuber der Institution und ihren Mitgliedern eingestellt sind, berichten ausfuhrlich uber den 66-jahrigen Beschuldigten. Dazu gehoren Gazeta Wyborcza und tvn24.pl; auch die konservative Rzeczpospolita kommt ihrer Informationspflicht nach. Diese Medien berichten inhaltlich in etwa das, was wir in Deutschland zu lesen gewohnt sind.
Bei den kirchlichen und ultrakonservativen Medien sieht das schon wieder ganz anders aus. Diese namlich scheinen keine Notiz von dem Thema zu nehmen. Der zum Medienimperium von Redemptoristen-Pater Tadeusz Rydzyk gehorenden Tageszeitung Nasz Dzinnik sind in ihrer Onlineausgabe die mutma?lichen padophilen Ubergriffe Wesolowskis keine Erwahnung wert. Und auch dem ultrakonservativen Wochenmagazin Do Rzeczy scheint das Thema nicht wichtig genug zu sein. Unnotig zu erwahnen, dass solche Medien nahezu jede Aussage linker Politiker zu Themen wie der Legalisierung von weichen Drogen oder der offentlichen Finanzierung der In-Vitro-Fertilisation in den Fokus der oft rei?erischen Berichterstattung nehmen.
Debatte uber Inzest
Eigentlich verwundert das Schweigen von den landesweiten, klerikalen Top-Medien nicht. Der kritische Medienbeobachter ist es gewohnt, dass unbequeme Themen totgeschwiegen und ausgesessen werden.
Und loyale Glaubige haben eine ganz eigene Interpretationsmatrix. Immerhin handele es sich um niedertrachtige Angriffe gegen die Kirche. Doch wurden die meisten sexuellen Ubergriffe ehe abseits der Kirchen, im privaten Umfeld passieren. Diese kirchliche Weltsicht, die auf “Einzelfall” hinweist und mit der Vergebung flirtete, stehen im krassen Wiederspruch zur klerikalen Berichterstattung, wenn es um linke Meinungen und Themen geht, was man exzellent an der aktuellen Debatte uber Inzest in den polnischen Medien zeigen kann.
Alles begann mit einem Eintrag von Prof. Jan Hartman auf seinem Blog, in dem er sich zur sexuellen Liebe innerhalb der Familie au?erte. Medienberichten zufolge, denn Hartman hat seinen Eintrag bereits geloscht, schrieb er mitunter: “Wenn das harmonische Verbinden der mutterlichen oder Bruder-Schwester-Liebe mit der erotischen Liebe gelingt, dann erlang man eine neue, hohere Qualitat der Liebe und der Beziehung.” Er habe sich von den letzten Empfehlungen des deutschen Ethikrates leiten lassen, der ein Ende der Bestrafung des einvernehmlichen Beischlafs von Geschwistern nahelegt, erlauterte der Philosophieprofessor in einem Fernsehinterview. Nichtsdestotrotz wurde Hartman kurz nachdem die Affare ausgebrochen war, vom Vorsitzenden von Deine Bewegung (TK) Janusz Palikot aus der Partei geworfen, der selbst mit nicht nur einer kontroversen Aussage fur mediale Aufmerksamkeit sorgte. Ferner distanzierte sich die Jagiellonen-Universitat, auf der Hartman einen Lehrauftrag hat, von seinen Aussagen. Ein Sprecher kundigte ein Disziplinarverfahren an.
Doch trat der laizistische Professor erfolgreich eine emporte gesellschaftliche Diskussion los. Oppositionsfuhrer Jaroslaw Kaczynski, Recht und Gerechtigkeit (PiS), blies zum Angriff auf die Regierung und behauptete, diese wurde Inzest befurworten. Dabei stutzt sich der Volkstribun auf Aussagen der Bevollmachtigten der Regierung fur Gleichberechtigung, Malgorzata Fuszara. Es storte dabei die Rechte nicht, dass Fuszaras Aussagen auf einem Wissenschaftskongress vor zwei Jahren getatigt wurden und es offenbar Probleme mit der Korrektheit ihrer Zitat gibt. Sie sei entschieden gegen inzestose Beziehungen, so distanzierte sich Fuszara kurz darauf und machte dem Geplankel ein Ende.
Indes sprangen auch klerikale Medien auf den Zug auf und berichteten uber Prof. Hartman und seinen “offentlichen Fragen uber den Sinn der Bestrafung von Inzest” (Nasz Diennik) und dem “Baden in Exkrementen” (Do Rzecz). Hier werden Hartmans Aussagen seziert und in bester Propaganda-Manier ausgelegt, man konnte bei vielen “Artikeln” und “Kommentaren” genauso gut die Uberschrift Der Schlachter von Polen wahlen.
Die Moral von der Geschicht!
Und was lernen wir aus diesen sehr unterschiedlichen Fallen? Ein padophiler Priester wird von klerikalen Medien - die ja eigentlich einen hoheren moralischen Anspruch erheben - nicht erwahnt, gleichwohl dieser, und da ist die Beweislast erdruckend, an der Traumatisierung von vielen hundert, am Existenzminimum lebenden Kindern tatkraftig mitwirkte. Und Ursachlich dafur sind wohl seine sexuellen Bedurfnisse, die Wesolowski auf egoistische Weise auslebte. Auf der anderen Seite steht ein laizistischer Philosoph, der sich in seinem Leben keine Straftat hat zuschulden kommen lassen, jedoch von den polnischen Gotteskriegern als Teufel in Person dargestellt wird, nur weil er uber ein gesellschaftliches Tabu reden wollte.
Fur mich, als aufgeklarten Medienbeobachter, stellt sich die Frage: Warum nur fallen so viele Menschen in Polen und in vielen anderen Landern auf derart uberhebliche Propaganda herein? Denn Nasz Diennik und Do Rzecz sind keine Nischenmedien, auch wenn sie vom Mainstream gerne so dargestellte werden. Nein, sie erreichen viele Millionen Menschen und sind meinungsbildend. Ihre Kraft schopfen sie aus der hohen gesellschaftlichen Zustimmung. Warum haben diese Medien derartigen Einfluss?
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