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Von "Hauptfeinden" und "Rädelsführern"

Neue Presse
June 7, 2014

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Sexueller Missbrauch: Die katholische Kirche hat das Thema jahrelang unter den Teppich gekehrt .

[Summary: On theWeihnachtsfeiertag holiday in 1998 there was an uproar in the St. Mary parish in Sonnenfelt. A father got up from his seat, went into the sanctuary and accused the pastor of sexually abusing is son. The boy was an altar boy. The believers were shaken.]

Ein Fall von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche hat zur Jahrtausendwende das Coburger Land erschüttert. Jetzt wird das Geschehen in einem Buch aufgearbeitet.

Coburg/Berlin - Am zweiten Weihnachtsfeiertag des Jahres 1998 kommt es in der katholischen Kirchengemeinde St. Marien in Sonnefeld zu einem Eklat. Ein Vater steht auf, geht in den Altarraum und wirft dem Pfarrer während des Gottesdienstes vor, seinen Sohn sexuell missbraucht zu haben. Der Junge war Messdiener gewesen. Die Gläubigen sind erschüttert.

Am 4. Januar 1999 informiert ein Mitglied der katholischen Kirchengemeinde Ebersdorf/Sonnefeld den Generalvikar der Erzdiözese Bamberg, Alois Albrecht. Es folgen innerkirchliche Prüfungen, und dann schaltet das Erzbischöfliche Ordinariat die Staatsanwaltschaft Coburg ein. Eine Lawine ungeahnten Ausmaßes kommt ins Rollen.

Der beschuldigte Pfarrer geht juristisch gegen Menschen vor, die er als "Hauptfeinde" und "Rädelsführer" bezeichnet, weil sie über den Generalvikar den Bamberger Erzbischof wegen angeblicher Verfehlungen informiert haben, die er vehement abstreitet. Gegen die Familie des Jungen sowie Frauen und Männer, die auf deren Seite stehen, beginnt ein Kesseltreiben. Das führen diejenigen an, die den Priester in seiner Haltung stützen, er habe nichts Unrechtes getan. Der Vater des Jungen weiß sich Wochen später nicht anders zu helfen, als sich in einem offenen Brief über die Attacken derjenigen zu beklagen, die sich auf die Seite des Geistlichen stellen.

Doch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Coburg ergeben einen begründeten Verdacht. Pfarrer W. muss sich im Juli 2000 vor dem Landgericht Coburg unter dem Vorsitz von Richter Gerhard Amend verantworten. Der katholische Priester wird zu einer Haftstrafe von zwei Jahren verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wird.

Zuvor ist bekannt geworden, dass es gegen Pfarrer W. schon einmal ein Verfahren gegeben hat: 1986, vor dem Amtsgericht Obernburg, unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern. Im gleichen Jahr wird der Priester nach Ransbach-Bambach in Rheinland-Pfalz versetzt. Als 1989/90 neue Vorwürfe wegen angeblicher sexueller Übergriffe aufkommen, wechselt er in die Klinikseelsorge nach Frankfurt am Main. 1992 übernimmt er schließlich die Pfarrei Ebersdorf bei Coburg.

Vier Tage nach der Verurteilung, am 10. Juli 2000, teilt Generalvikar Albrecht dem Pfarrer mit, dass dieser zum 1. September aus der Erzdiözese Bamberg ausscheiden wird. Einen Tag später, am 11. Juli 2000, entschuldigt sich Albrecht bei den Opferfamilien und bietet Hilfe an. Einen Tag später macht die Bamberger Bistumskonferenz den Inhalt des Schreibens in einer Pressemitteilung öffentlich. Darin heißt es, mit Erschütterung habe Alois Albrecht zur Kenntnis genommen, welches Leid den Opfern zugefügt wurde. An der Glaubwürdigkeit der dem Urteil zugrunde liegenden Zeugenaussagen gebe es für ihn keinen Zweifel. Der Generalvikar räume ein, dass die katholische Kirche Mitverantwortung für das trage, was Kindern in den Kirchengemeinden Sonnefeld und Ebersdorf angetan worden sei. "Nach ähnlichen Fällen im Bistum Limburg hätte Pfarrer W. nicht mehr in der Pfarrseelsorge eingesetzt werden dürfen", heißt es in der Pressemitteilung. Die Kirche wusste also seit Langem, woran sie mit dem Priester war - und setzte ihn trotzdem in der Seelsorge und Jugendarbeit ein.

Johannes Heibel hat diesen Fall in dem Buch "Der Pfarrer und die Detektive" dokumentiert. Der Sozialpädagoge, der auch Vorsitzender der "Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen e. V." ist, beleuchtet darin, wie die Kirche, aber auch staatliche Einrichtungen, mit Fällen von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen umgehen. In einem Vorwort beschreibt der Theologe Dr. Wunnibald Müller, wie es aus seiner Sicht zu solchen Übergriffen kommen konnte, warum die katholische Kirche so lange sprachlos blieb und auf Geheimnistuerei setzte, obwohl immer mehr Fälle ans Licht kamen.

Im März dieses Jahres hat die Deutsche Bischofskonferenz das interdisziplinäre Forschungsprojekt "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige" vorgestellt. Damit, so Bischof Dr. Stephan Ackermann, wolle man " Klarheit und Transparenz über diese dunkle Seite in unserer Kirche - um der Opfer willen, aber auch, um selbst die Verfehlungen zu sehen und alles dafür tun zu können, dass sie sich nicht wiederholen".

Ziel der auf dreieinhalb Jahre angelegten Studie sei es, "den sexuellen Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche sowohl für die Betroffenen als auch für die Öffentlichkeit so transparent wie möglich aufzuarbeiten", erläutert Professor Dr. Harald Dreßing, der Leiter des Forschungskonsortiums. Dabei sollen nicht nur Daten aus Kirchenarchiven ausgewertet werden, sondern es würden auch externe Datenquellen einbezogen, die eine vergleichende Analyse mit anderen Formen des institutionellen Missbrauchs ermöglichen. Die vielfältigen Facetten der Thematik würden darüber hinaus durch Interviews mit Opfern, Tätern und Kirchenverantwortlichen aufgearbeitet.

Trotzdem ist der Herausgeber des Buches "Der Pfarrer und die Detektive", Johannes Heibel, nicht zufrieden mit dem Umgang seiner Kirche mit sexuellem Missbrauch durch Kleriker. Im Schlusskapitel kündigt er an, mit dem Erscheinen des Buches aus der katholischen Kirche auszutreten. Bereits am 24. März 2009 hat der Würzburger Bischof Dr. Friedhelm Hofmann Pfarrer W. endgültig vom Dienst in der Kirche suspendiert.




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