| Vertuschung „um Der Barmherzigkeit Christ Willen“
The Regensburg-Digital
May 30, 2014
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Fehlender Aufklarungswille und zu viel Toleranz gegenuber Tatern: Bei einer der wenigen Veranstaltungen auf dem Katholikentag zu sexuellem Missbrauch musste sich Bischof Stephan Ackermann scharfer Kritik stellen. Er raumt seine eigene Machtlosigkeit ein.
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„Immer den Verdacht, die Ahnung und leider auch immer wieder die Tatsache, dass um der Barmherzigkeit Christi Willen nicht aufgeklart wird.“ Matthias Katsch, Begrunder des “Eckigen Tisches”. Foto: as
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„Das Sprechen der Opfer ist fur Pravention grundlegend“, sagt Klaus Mertes. „Und die Voraussetzung dafur ist Aufklarung.“ Mertes wei?, wovon er redet. Der Jesuiten-Pater hat 2010 die Aufklarung von sexuellem Missbrauch am Berliner Canisius-Kolleg ins Rollen gebracht. Und heute, vier Jahre spater, steht er beim Katholikentag in Regensburg am Podium, um den ersten Impuls fur die Diskussion zu einer neuen „Kultur der Achtsamkeit“ innerhalb der katholischen Kirche zu geben, zu einer Diskussion daruber, wie korperliche und sexualisierte Gewalt in kirchlichen Einrichtungen verhindert werden konnen.
Es ist eine von zwei Veranstaltungen, bei der das Thema uberhaupt auf den Tisch kommt. Und das Interesse ist gro?. Der Festsaal im Kolpinghaus ist voll am Freitagvormittag. Mertes spricht einleitend von Transparenz, der Notwendigkeit, Machtstrukturen und Sexualmoral innerhalb der katholischen Kirche zu hinterfragen. Und mehrfach wird sein 15minutiges Referat von Applaus unterbrochen.
Kardinal Muller? „Der Fisch stinkt vom Kopf her.“
Man kann nur hoffen, dass Mertes’ Botschaft gerade in Regensburg ankommt. Denn hier sind Aufklarung und Transparenz Fremdworter. Das ist auch au?erhalb der Domstadt bekannt. Mehrfach fallt auf dem Podium der Name des vormaligen Bischofs Gerhard Muller, jetzt Chef der Glaubenskongregation. Matthias Katsch, selbst Opfer am Canisius-Kolleg und Mitbegrunder des „Eckigen Tisches“, in dem sich ehemalige Schuler zusammengeschlossen haben wird mehrfach deutlich.
Dass just Muller, „der vorsichtig ausgedruckt gro?e Schwierigkeiten mit der Aufklarung in seiner Diozese hatte“, jetzt im Vatikan zustandig fur den Umgang der katholischen Kirche mit sexuellem Missbrauch sei, belege: „Der Fisch stinkt vom Kopf her.“ Der 50jahrige erntet lauten Applaus, sogar leise Bravo-Rufe, als er dies sagt. Und fast ebenso laut wird geklatscht, als er herausstellt: „Opfer von Missbrauch wurden meist immer auch Opfer eines zweiten Verbrechens: der Vertuschung.“ Auch unter Papst Fraziskus scheine noch zu gelten, dass der Schutz der Institution Kirche vor dem Schutz der Opfer stehe.
Katsch fordert eine „Null-Toleranz-Politik“ innerhalb der katholischen Kirche: „Wer Kinder sexuell missbraucht hat, darf nicht mehr Priester sein.“ Wieder wird geklatscht.
Ackermann: Einstecken und Betroffenheit bekunden
Kein leichter Stand fur Bischof Dr. Stephan Ackermann, den Missbrauchsbeauftragten der deutschen Bischofskonferenz.Trotz weiterer Podiumsgaste, der Hamburger Praventionsbeauftragten Mary Hallay-Witte und Dr. Barbara Haslbeck vom Portal gottes-suche.de, sind Ackermann und Katsch es, die meist miteinander diskutieren. Heftig, kontrovers, aber immer sachlich und verbindlich im Ton.
Ackermann fallt wahrend der 90 Minuten die Aufgabe zu, einerseits Verstandnis fur die Opfer und den Willen zur Aufklarung zu betonen, ein bisschen einzustecken und Betroffenheit zu bekunden, andererseits aber auch Muller in Schutz zu nehmen und das Fehlen einer Null-Toleranz-Doktrin zu verteidigen.
„Ja zu null Toleranz gegenuber dem Verbrechen, aber nicht gegen die Person“, sagt er. Ein Tater der seine Strafe verbu?t und „aufrichtig bereut“ habe, musse auch noch irgendeine Chance haben. Und mit Blick auf Muller erklart Ackermann: Im Vatikan habe sich nichts zum Schlechteren verandert, seit der Kardinal dort das Ruder ubernommen hat.
Ackermann raumt Machtlosigkeit ein
Die Regensburger Verhaltnisse freilich kennt Ackermann – zumindest zum Teil. Er wei? von den Serienbriefen, mit denen Missbrauchsopfer hier der Luge bezichtigt und abgewiesen wurden. Er wei? von Klagedrohungen und verweigerter Unterstutzung. Die Mutter eines Betroffenen hatte dem Missbrauchsbeauftragten der Bischofskonferenz 2012 einen sehr langen und emotionalen Brief geschrieben und ihn aufgefordert, „mit dem Bistum Regensburg endlich Tacheles zu reden“. Eine ahnlichen Brief erhielt Ackermann von der Schwester eines ehemaligen Domspatzen, den der immer noch amtierende Generalvikar Michael Fuchs mit einem Serienbrief abgespeist und retraumatisiert hatte.
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„Uns fehlt ein ubergeordnetes Monitoring.“ Stephan Ackermann. Foto: as
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Tatsachlich aber haben, das raumt Ackermann am Freitag auf Nachfragen aus dem Publikum ein, weder er noch die Bischofskonferenz als Ganzes eine Moglichkeit, einzugreifen, wenn ein Bischof – wie in Regensburg geschehen (das erwahnt Ackermann nicht) – sich einfach nicht an die Vorgaben der Deutschen Bischofskonferenz halt, sich der Aufklarung verweigert, Serienbriefe verschickt und den sexuellen Missbrauch verharmlost. „Uns fehlt ein ubergeordnetes Monitoring.“ Wenn ein Bischof, das nicht tue, wozu er „gehalten“ sei, dann konne man sich aber immer noch an Rom und die Kongregation wenden, so Ackermann. Und als Katsch darauf erwidert, dass dort dann auch wieder nur „der Muller“ sitze, kommt zynisch-hamisches Gelachter aus dem Publikum.
„Selbstbefriedigung ist kein Thema fur den Beichtstuhl.“
Am Ende ubergibt Katsch dem Trierer Bischof einen Forderungskatalog (hier als PDF abrufbar), uber den man „nun endlich strukturiert diskutieren“ musse. Insbesondere die Sexualmoral musse uberdacht werden. „Selbstbefriedigung ist kein Thema fur den Beichtstuhl“, so Katsch. Aber auch die Macht- und Hierarchiestrukturen innerhalb der katholischen Kirche stehen zur Diskussion, die „Mannerbundelei“, die, das bekraftigt auch Hallay-Witte, sexuellen Missbrauch begunstige.
Tatsachliche Aufarbeitung kann in Katschs Augen ohnehin nur eine unabhangige Aufarbeitungskommission leisten. Hier sei der Staat gefordert. Wenn die Kirche, dies selbst ubernehme, dann gebe es „immer den Verdacht, die Ahnung und leider auch immer wieder die Tatsache, dass um der Barmherzigkeit Christi Willen nicht aufgeklart wird“.
Als die Diskussion vorbei ist und Besucherinnen und Besucher das Kolpinghaus verlassen, treffen sie vor der Tur auf Michael Sieber. Er ist einer von vier ehemaligen Regensburger Domspatzen, gehort zu denen, die am Mittwoch ihre Sprachlosigkeit endgultig uberwunden haben und „gegen das Vergessen, Verschweigen, Verleugnen und Vertuschen“ in der Diozese Regensburg auf die Stra?e gegangen sind. Als er seine Flugblatter verteilt gibt es immer wieder Zuspruch und Respektsbekundungen.
Voderholzer? „Der macht er alles genau so wie der Muller.“
Hoffnung, dass sich unter Bischof Rudolf Voderholzer etwas an der von Sieber kritisierten Praxis etwas andern konnte, haben aber offenbar nicht alle. „Der hat nur einen freundlicheren Ton als Muller“, sagt eine altere Frau. „Ansonsten macht er alles genau so wie der.“
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Wascht seine Hande in Unschuld. Bischof Rudolf Voderholzer. Foto: Staudinger
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Tatsachlich gibt es in der Diozese Regensburg keinerlei Informationen zu Missbrauchsfallen oder Entschadigungszahlungen. Und auch den Dialog mit den vier Domspatzen hat Voderholzer bislang weder gesucht, noch sein Versprechen eingelost, ihre Falle erneut zu prufen. Bei der Veranstaltung am Freitag konnten weder er noch andere Verantwortungstrager der Diozese gesichtet werden.
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