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"Die Aufarbeitung Ist Erst Am Anfang"

Sueddeutsche
May 27, 2014

http://www.sueddeutsche.de/panorama/missbrauch-in-der-katholischen-kirche-die-aufarbeitung-ist-erst-am-anfang-1.1976385

Reine Symbolik oder wichtige Geste? Papst Franziskus ladt Missbrauchsopfer in den Vatikan ein. Wie zah allerdings die Reformbemuhungen innerhalb der Kirche verlaufen, zeigt ein Blick auf die vergangenen Monate.

Als am 13. Marz 2013 aus Jorge Bergoglio Papst Franziskus wurde, waren die Erwartungen der Glaubigen an diesen schuchtern lachelnden Mann enorm. Besonders gro? waren die Hoffnungen derjenigen, die in den vergangenen Jahrzehnten in kirchlichen Institutionen zu Opfern geworden waren.

In den Jahren vor Franziskus' Pontifikat war die Kirche von etlichen Missbrauchsskandalen weltweit in ihren Grundfesten erschuttert worden. Vorganger Benedikt XVI. entlie? 2011 und 2012 etwa 400 Priester wegen des Verdachts auf Kindesmissbrauch. Doch Opferorganisationen beklagten direkt nach dem Amtsantritt des neuen Papstes, dass die katholische Kirche nach wie vor zu wenig tue, um die jahrzehntelange Politik der Vertuschung zu beenden. Eine Reform jener Strukturen, die Missbrauchsfalle begunstigen, Auseinandersetzung und Versohnung mit den Opfern, verbesserte Pravention: Franziskus stand von Anfang an vor gro?en Herausforderungen.

Mehrfach hat der Papst seitdem sexuelle Gewalt gegen Kinder aufs Scharfste verurteilt. Zuletzt kundigte Franziskus an, demnachst mit Missbrauchsopfern zusammentreffen zu wollen. Bei einer Pressekonferenz auf der Ruckreise aus dem Nahen Osten versprach der Papst jetzt ein entschiedenes Vorgehen der Kirche gegen Tater. Der Missbrauch Schutzbedurftiger sei "ein Sakrileg" und vergleichbar mit einer "satanischen Messe".

Es sind deutliche Worte, die der Pontifex im Zusammenhang mit den Missbrauchsfallen in der Kirche ausspricht. Franziskus ist erkennbar bemuht, Reformen voranzutreiben und die Aufarbeitung zu intensivieren, doch wie zah dieser Prozess verlauft, zeigt ein Blick auf die vergangenen Monate:

Am 5. Dezember stimmte der Papst einem Vorschlag des Kardinalsrats zu, jenes achtkopfigen Beratergremiums, das er bereits einen Monat nach seiner Amtseinfuhrung berufen hatte. Der Vorschlag der Kardinale sah die Einrichtung einer Kommission zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor und war federfuhrend von Kardinal Sean Patrick O'Malley erarbeitet worden.

Kardinal O'Malley ist fur den Papst eine entscheidende Figur bei der Aufarbeitung. Der Erzbischof von Boston ist mit der Missbrauchsthematik vertraut. 2003 ubernahm der franziskanische Ordensgeistliche ein Bistum, das gerade vom bis dahin gro?ten Missbrauchsskandal der katholischen Kirche in den USA erschuttert worden war. In Folge der preisgekronten Enthullungen des Boston Globe uber die systematische Vertuschung von sexuellem Missbrauch durch geistliche Wurdentrager sahen sich damals, kurz nach der Jahrtausendwende, 150 Priester der Erzdiozese Missbrauchsvorwurfen ausgesetzt, mehr als 500 Opfer hatten Antrage auf Entschadigung gestellt und die Spenden der Bostoner Kirchganger waren um 50 Prozent eingebrochen.

O'Malley machte sich in der Folge einen Namen als Aufklarer und Kampfer gegen die Strukturen in der Kirche, die den Missbrauch begunstigen. Nicht nur in Boston, sondern in ganz USA. Nun wollte er diese Expertise auch an der Spitze der Weltkirche einsetzen.

Heftige Kritik von Vereinten Nationen

Doch nach der Ankundigung vom Dezember geschah zunachst nichts. Ehe O'Malleys Kommission Form annahm, musste der Vatikan im Februar zunachst massive Kritik hinnehmen: Die katholische Kirche verletze die UN-Kinderrechtskonvention, schrieben die Vereinten Nationen. Der Vatikan habe nicht genug getan, um Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche zu unterbinden. Man musse angesichts Tausender Missbrauchsfalle endlich handeln, forderte das UN-Kinderschutz-Komitee in einem Bericht. Aus Rom hie? es, man verbitte sich eine Einmischung in die katholische Lehre.

Von der papstlichen Kinderschutzkommission war nichts zu horen. Erst sechs Wochen spater, am 22. Marz, nahm das Gremium Gestalt an: Neben O'Malley wurden zwei weitere Geistliche und vier Laien in die Kommission berufen. Fur Aufsehen sorgte die Benennung von Marie Collins. Die Irin wurde in den Sechzigerjahren von einem Priester missbraucht und ist eine der Stimmen, die am lautesten eine konsequente Aufarbeitung der Missbrauchsfalle einfordern. In der Kommission ebenfalls vertreten ist der Jesuit und Psychologe Hans Zollner, der als einer der fuhrenden kirchlichen Fachleute beim Thema Missbrauch gilt. Der Zeit sagte er im Marz, man konne Missbrauch nicht vollig verhindern, "aber alles daran setzen, ihn soweit wie moglich zu reduzieren." Die neue Kommission habe "nicht die Macht, den Missbrauch zu unterbinden. Aber sie kann den Bischofen weltweit sagen, dass und wie sie handeln mussen", so Zollner.

Vor wenigen Wochen dann, am 2. Mai, trat das Gremium zu seiner ersten Sitzung zusammen. "Nach Ansicht vieler Menschen ist der Missbrauchsskandal ein amerikanisches Problem, ein irisches oder ein deutsches", sagte O'Malley im Anschluss. "Die Kirche muss sich uberall auf der Welt dem Problem stellen. Da wird so vieles geleugnet. Die Kirche muss antworten und die Kirche fur Kinder sicher machen." Keine Woche spater tagten die Vereinten Nationen im Vatikan, dort fand eine Anhorung des UN-Ausschusses gegen Folter statt. Der anschlie?end verfasste Bericht wiederholte in vielen Punkten die Vorwurfe der Kinderrechtskommission - lobte aber auch Reformbemuhungen durch die Kirche, explizit die Einrichtung der Kommission.

"Wichtige Geste" oder "wunderschone Bilder"?

Kommt die Aufarbeitung durch den Vatikan also nun endlich in Gang, zumal mit Franziskus' jungster Einladung an die Opfer? Oder stimmt es, was der UN-Ausschuss gegen Folter den Verantwortlichen vorhielt, dass namlich "die Null-Toleranz-Beteuerungen nicht immer effektiv in Handlungen ubersetzt" werden?

Matthias Katsch vom Opferverband "Eckiger Tisch" begru?t, dass Franziskus den "Dialog mit den Opfern" suche. Dass er sich, anders als seinerzeit Benedikt XVI., nicht im Stillen mit Opfern treffe, sondern das geplante gemeinsame Gebet offentlich mache, sei eine "wichtige Geste". Norbert Denef, Vorsitzender des Opferverbandes "netzwerkB", sagt, solche Treffen produzierten immer "wunderschone Bilder". Fur glaubige Missbrauchsopfer konne das ein wichtiges Ereignis sein, sagt er, nur: "Wo bleiben diejenigen, die mit Beten nichts mehr zu tun haben?", fragt Denef. Auch Katsch fordert uber das gemeinsame Gebet hinaus einen "Dialog auf Augenhohe". "Ich bin gespannt, inwieweit der zustande kommt." Die Kirche musse "in ihrem eigenen Laden aufraumen".

Klar ist: Die Unordnung, derer die Kirche Herr werden muss, ist enorm, und an vielen Stellen wohl noch gar nicht entdeckt. Klar ist auch - wie Katsch es formuliert: "Die Aufarbeitung ist erst am Anfang."

 

 

 

 

 




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