Schweizer stimmen für harten Kurs gegen Pädophile
By Elisalex Henckel
Die Welt
May 18, 2014
http://www.welt.de/politik/ausland/article128151370/Schweizer-stimmen-fuer-harten-Kurs-gegen-Paedophile.html
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Bei der Volksabstimmung in der Schweiz fällt das Ergebnis klar aus: Die Mehrheit der Bürger will Pädokriminelle strenger bestrafen |
[Summary: The Swiss have voted to tighten laws against sex offenders. Among the new measures: A person convicted of sexually abusing children lose the right to pursue professional or voluntary work with minors or dependents.]
Erfolg für die "Pädophilen-Initiative" in der Schweiz: Beim Referendum stimmte die Mehrheit dafür, Pädokriminellen Tätigkeiten mit Minderjährigen zu verbieten. Betroffen dürften aber auch andere sein.
Christine Bussat hat als Einzelkämpferin begonnen. Ihr erstes Volksbegehren lancierte die 43 Jahre alte gelernte Schmuckverkäuferin aus Genf vor zehn Jahren ganz ohne politische Erfahrung und ohne Expertenwissen, "praktisch aus dem Nichts heraus", wie es die "Basler Zeitung" einmal formulierte. Erfolgreich war die Initiative "Für die Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern" trotzdem: Knapp 52 Prozent der Schweizer stimmten 2008 für Bussats Vorschlag.
Nun hat die dreifache Mutter und Gründerin der Kinderschutzorganisation Marche Blanche eine weitere Verschärfung der Schweizer Gesetze gegen Sexualstraftäter durchgesetzt. 63,5 Prozent von Christine Bussats Landsleuten stimmten laut Auskunft des Regierungssprechers für die von ihr lancierte "Pädophilen-Initiative".
Sie verlangt, dass "Personen, die verurteilt werden, weil sie die sexuelle Unversehrtheit eines Kindes oder einer abhängigen Person beeinträchtigt haben" für alle Zeiten das Recht verlieren, "eine berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeit mit Minderjährigen oder Abhängigen auszuüben".
Furcht vor politischer "Schrotflinte"
Die zuständige sozialdemokratische Justizministerin Simonetta Sommaruga betonte nach Veröffentlichung des Abstimmungsergebnisses, wie Bussat und ihre Mitstreiter nach dem bestmöglichen Schutz für Kinder vor pädosexuellen Straftätern zu streben. Dennoch bedauere sie die Annahme des Volksbegehrens. Die darin geforderte Verfassungsänderung berücksichtige weder die Schwere der Tat noch Alter oder Motive des Täters, kritisierte Sommaruga am Sonntagabend erneut. Der strikte Automatismus des vorgesehenen Berufsverbots widerspreche der Verhältnismäßigkeit und damit einer anderen zentralen Bestimmung der Verfassung. "Wir stehen damit bei der Umsetzung vor einem Dilemma", sagte die Ministerin. "Wir wissen noch nicht, wie wir damit umgehen werden."
Sommaruga verwies zu dem darauf, dass ein Gesetz, das Kinder und wehrlose Erwachsene ihrer Meinung nach präziser und umfassender schützt, bereits verabschiedet sei und 2015 in Kraft treten werde. Es bietet mit Kontaktverboten und Platzverweisen auch Maßnahmen für den familiären Bereich – also jenem Umfeld, in dem die meisten Verbrechen passieren.
Es sieht darüber hinaus ebenfalls Verbote für verurteilte Pädokriminelle vor, weiter mit Kindern tätig zu sein. Diese können wenn nötig auch lebenslang sein, der Richter behält aber einen gewissen Ermessensspielraum.
Nachdem sich die große Kammer des Parlaments, der Nationalrat, trotz der Ablehnung der Regierung überraschend für das Volksbegehren ausgesprochen hatte, gab es lange Zeit kaum Gegenwind für die Initiative. Erst Mitte März kündigte der junge FDP-Politiker Andrea Caroni den Aufbau eines sogenannten Nein-Komitees an. Ihm liege der Kinderschutz ebenso am Herzen wie Christine Bussat und ihren Unterstützern, betonte der Vater einer drei Monate alten Tochter dann bis zur Abstimmung unermüdlich. Er wolle aber auch den Rechtsstaat schützen – und deshalb eine politische "Schrotflinte" verhindern, die "reihenweise die Falschen" treffe.
Nicht nur Pädophile müssten Strafen befürchten
Längst nicht nur Pädokriminelle müssten im Falle der Annahme der Initiative ein lebenslanges Tätigkeitsverbot fürchten, warnte Caroni in zahlreichen Talkshows und Podiumsdiskussionen. Betreffen könnte es etwa auch illegale "Jugendlieben", beispielsweise zwischen einer 15- und einem 21-Jährigen, aber auch Sexualdelikte, die nichts mit Pädophilie zu tun hätten – wenn beispielsweise ein 21-Jähriger in der Disco eine 15-Jährige anlange.
Das gehöre zwar bestraft, argumentierte Caroni sinngemäß – aber nicht so drakonisch. Das sei auch nicht im Sinne der Initiative, konterten Bussat und ihre Unterstützer, medial meist vertreten durch Natalie Rickli von der rechtskonservativen SVP. Derartige Fälle würden entweder schon jetzt nicht verurteilt und dadurch auch nicht von der Initiative erfasst – andernfalls könnte das im "Ausführungsgesetz", mit dem die Initiative umgesetzt wird, entsprechend geregelt werden.
Das Engagement von Andrea Caroni und den 106 Parlamentariern, die er schließlich gegen die "Pädophilen-Initiative" mobilisieren konnte, blieb nicht ganz ohne Folgen: Zu den Jugendverbänden, die sich der "NZZ" zufolge geschlossen gegen die Initiative ausgesprochen haben, und mehreren Opferberatungsstellen gesellten sich der Dachverband der Lehrer und alle großen Parteien außer der SVP, auch in der Bevölkerung sank die Zustimmung. Das hob der FDP-Politiker nach seiner Niederlage am Sonntag hervor: "Ich bin stolz, dass wir nach den ersten Umfragen noch 20 Prozent dazugewinnen konnten und dass wir eine Debatte um die Rechtsstaatlichkeit der Initiative ausgelöst haben."
International eines der härtesten Gesetze
Nach dem deutlichen Ja der Bürger wird die Schweiz nun ein Berufsverbot für Pädokriminelle bekommen, das international zu den härtesten gehört. Das geht aus einem Vergleich der Rechtslage in sieben europäischen Ländern und Kanada hervor, den die Regierung in Bern in Auftrag gab.
Ein obligatorisches Verbot von beruflichen oder ehrenamtlichen Tätigkeiten mit Minderjährigen oder schutzbedürftigen Erwachsenen sei in den untersuchten Staaten die Ausnahme, heißt es in einem Bericht vom Januar 2011. In der Regel werde der zuständigen Behörde ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt oder das Verbot von einer negativen Prognose abhängig gemacht.
Den Mitstreitern von Christine Bussat reicht das nicht. Natalie Rickli forderte nach der Debatte über den Fall Edathy in Deutschland etwa, den gewerbsmäßigen Handel mit Nacktbildern von Kindern unter Strafe zu stellen. Sie will sich außerdem für zwei eben erst lancierte Volksbegehren einsetzen – das eine fordert, Richter und Gutachter nach Fehlentscheiden künftig stärker zur Verantwortung zu ziehen, bei dem anderen geht es um ein nationales Register für verurteilte Sexual- und Gewaltstraftäter, dessen Einträge nicht gelöscht werden dürfen.
Christine Bussat äußerte sich am Sonntag nur knapp zu ihrem Sieg: "Ich war überzeugt, dass wir mit unserer Initiative durchkommen", sagte sie der Schweizer Nachrichtenagentur SDA. Sie will sich nun aus der Politik zurückziehen. 13 Jahre sind vergangen, seit eine Fernsehreportage über Kinderpornografie im Internet sie so empört hat, dass sie Marche Blanche gründete. Nach der Abstimmung über die "Pädophilen-Initiative" werde der Verein sich auflösen, hatte Bussat bereits 2008 angekündigt: Ihre Mission sei nun beendet. Außerdem habe sie genug von den politischen Auseinandersetzungen.
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