| Johannes Paul Ii. Hatte in Der Missbrauchskrise Einschreiten Konnen - Doch Er Tat Es Nicht.
The Blitz
May 9, 2014
http://www.pater-roy-mein-weg.de/blog3.html
Gestern fragte die Augsburger Allgemeine, ob Johannes Paul II. mit Schuld am Leid der Missbrauchsopfer habe.
Gleichzeitig meldet sich in der U.S. Zeitschrift National Catholic Reporter ein Insider, der amerikanische Jesuit Tom Doyle, zu Wort. Tom war in den achtziger Jahren in der Nuntiatur in Washington, DC tatig und setzt sich in den letzten 30 Jahren fur die Opfer des Klerikermissbrauchs ein. Er vertritt auch Pater Roy kirchenrechtlich als Anwalt.
P. Tom Doyle schreibt, die die Heiligsprechung von Johannes Paul II. ein Schlag ins Gesicht nicht nur der Missbrauchsopfer ist, sondern auch der von der Kirche bestraften und ausgesto?enen, wie Pater Roy. Ein Beitrag, der sehr nachdenklich macht. Wer sind die wirklichen Heiligen in der Kirche? Aus aktuellem Anlass der Heiligsprechung von Johannes XXIII. und von Johannes Paul II. am 27. April 2014 bringen wir hier seinen Artikel in der Ubersetzung in voller Lange.
National Catholic Reporter
25.4.2014
von Thomas P. Doyle
In dem Bucherregal meines Arbeitszimmer steht, in Leder gebunden, eine Kopie des Kirchenrechts. Nicht irgendeine Kopie. Diese hat Papst Johannes Paul II signiert auf Bitte meines damaligen Chefs, Kardinal Pio Laghi. Der Papst hat es datiert: der 6.6.1983. Da bin ich mir sicher, damals habe ich ihn bewundert.
Am Sonntag, nach der Heiligsprechung von Johannes Paul, wird das Buch fur mich nur ein wertloses Uberbleibsel sein. Ich werde es nicht verehren. Auch werde ich mich nicht den jubelnden Massen anschlie?en.
Die letzten 30 Jahre bin ich zu der Uberzeugung gelangt, dass seine Heiligsprechung eine tiefgreifende Beleidigung der unzahligen Opfer sexuellen Missbrauchs durch katholische Kleriker auf der ganzen Welt ist. Eine Beleidigung der anstandigen, gut-meinenden Manner und Frauen, die von der Glaubenskongregation wahrend seiner Herrschaft angeklagt wurden, und es beleidigt das Andenken an Papst Johannes XXIII., der das Ungluck hat, mit ihm zusammen heilig gesprochen zu werden.
Das Buch ist fur mich ein Symbol der Schande und des Versagen der kirchlichen Gesetze dieses Buches, und des Papstes, der es unterzeichnet hat. Andere, die sich weitaus gewandter ausdrucken konnen als ich, haben offentlich die vielen Grunde dargelegt, warum dies so ist. Ich will dies hier nicht wiederholen. Doch ich denke, dass es wichtig ist, einige der bizarren Behauptungen der beiden Hauptprotagonisten von Johannes Paul II. richtig zu stellen.
George Weigel (kath. U.S.-Theologe, Intellektueller und Autor "Das Leben von JP2") behauptet, dass es 2002 ein Informationsgefalle zwischen den U.S.A. und dem Vatikan gab. Das ist Unsinn. Es gab damals kein Gefalle. Auch 1984 gab es kein Gefalle, als das Missbrauchsthema in der Offentlichkeit hochkochte. 1984 arbeitete ich in der vatikanischen Botschaft und hatte selbst Einblick in die Ubermittlung von Informationen an den Vatikan.
Der papstliche Nuntzius Laghi, damals Erzbischof, erhielt im Sommer 1984 einen Brief des Generalvikars von Lafayette, Louisiana, der ihn informierte, dass ein Ehepaar, dessen Sohn von Gilbert Gauthe missbraucht worden war, Gauthe, den Bischof, die Diozese, den Erzbischof von New Orleans, den papstlichen Nuntzius und den Papst verklagt. Kurz danach erhielt der Nuntzius die Anklageschrift. Von diesem Zeitpunkt an gab es einen standigen Informationsfluss von Lafayatte zum Nuntzius und von einer anderen Diozese, die aus dem gleichen Grund ins Rampenlicht geraten war - Providence, Rhode Island.
Ich war die Mittelsmann fur die meisten dieser Informationen und verfasste tagliche Memos fur Erzbischof Laghi. Eigentlich hatte ein Bericht an den Vatikan verfasst werden sollen, doch das geschah zu diesem Zeitpunkt nicht. Laghi telefonierte mit verschiedenen hochrangigen Vertretern des Vatikans, einschlie?lich dem Amt des Staatssekretars (Au?enministerium). Das war genauso gut, als ob er direkt mit dem Papst gesprochen hatte. Wenn wir uber die Probleme sprachen sagte er oft "Ich habe mit meinen Vorgesetzen in Rom gesprochen" oder "Meine Vorgesetzen in Rom haben mich angewiesen das und das zu tun".
Ende Februar schlug ich dem Erzbischof vor, dass wir den Papst bitten, einen U.S. Bischof zu benennen, der als Sonderermittler nach Lafayette geht, um aus erster Hand einen Eindruck zu gewinnen, was da los war, und um zu versuchen, dieses chaotische Durcheinander irgendwie in den Griff zu bekommen. Ich schlug den inzwischen verstorbenen Bischof Quinn aus Cleveland vor. Obwohl ich das Richtige tun wollte, war dieser Vorschlag ein Fehler. Es wurde bald offensichtlich, dass Quinn ein Teil des Problems war und nicht Teil einer Losung.
Laghi stimmte mir damals zu und bat mich einen Bericht mit dieser Empfehlung zu erstellen. Der Bericht sollte die Situation in Louisiana schildern. In kurzester Zeit stellte ich einen 35-seitigen Bericht zusammen, der viele Details und Fakten, Namen und Datumsangaben enthielt. Ich beschrieb auch was, wir uber die bisherigen Vertuschungsbemuhungen wussten und gab eine explizite, sehr grafische Beschreibung der Verletzungen, die den Opfern zugefugt worden war, die ich aus den medizinischen Berichten zusammenstellte, die mir vorlagen.
Der Nuntzius sagte mir, dass dies ein dringliche Angelegenheit ware, die er direkt dem Papst und nicht uber eine vatikanische Kongregation ubermittelt haben wollte. Kardinal John Krol aus Philadelphia, ein enger Freund des Papstes, reiste am darauffolgenden Montag nach Rom. Ich wurde beauftragt, den von Laghi unterzeichneten Bericht bis Sonntag Abend an Krol zu ubergeben. Die beiden hatten schon daruber gesprochen und Krol hatte zugestimmt, dass dies direkt dem Papst ubergeben werden sollte. Der Bericht wurde per Express nach Philadelphia gesandt. Am Dienstag hatte ihn der Papst in seinen Handen und Donnerstag Abend erhielten wir ein Fax, dass der Papst Quinn beauftragt hatte, so wie Laghi ihn gebeten hatte.
Von diesem Zeitpunkt bis zum Fruhjahr 1985 schrieb ich weiterhin Memos an Laghi, der weiterhin seinen Vorgesetzen im Vatikan berichtete. Es gab auch einige schriftliche Berichte, die versandt wurden - wie viele wei? ich nicht mehr. Einer dieser Berichte war der inzwischen bekannt und beruchtigt gewordene Bericht der von Pfarrer Michael Peterson, dem Rechtsanwalt Ray Mouton und mir verfasst worden war. Dies ist derselbe Report, von dem die Vertreter der Bischofskonferenz sprachen und von dem sie sagten, dass sie ihn nicht zu lesen brauchten, weil sie alles, war drin stande, schon wussten.
Es folgte dann das beruhmte Treffen in Collegville, Minnesota, bei dem die Bischofe einen ganzen Tag damit zubrachten, sich hinter geschlossenen Turen uber klerikalen Missbrauch berichten zu lassen. Wenn man sich die langfristige Entwicklung ansieht, haben sie damals uberhaupt nichts begriffen. Doch springen wir vorwarts zum Juni. Mitte Juni besuchte Kardinal Silvio Oddi die Nuntiatur. Damals war er Prafekt der Kongregation fur den Klerus. Oddi erinnerte mich an den Charakter des "Kleinen Konigs" aus der gleichnamigen Karikaturserie. Der Stein auf seinem bishoflichen Ring war so gro? wie ein Golfball.
Es bat Laghi uber die sexuelle Missbrauchskrise informiert zu werden. Der Nuntius beauftragte mich ein Briefing fur den Kardinal vorzubereiten. Seit Februar war eine Menge geschehen. Der Nuntius hatte von vielen weiteren Fallen klerikalen Missbrauchs in einer Anzahl weiterer Diozesen Kenntnis bekommen. Ich wusste genug um daruber detailliert und mit allen Fakten, in manchen Fallen auch sehr explizit, zu berichten. Oddi sa? zwei Stunden lang still, wahrend ich ihm meinen Bericht vorlas, ab und zu etwas von meiner Vorlage abwich, um noch weitere Details hinzuzufugen.
Der Kardinal, der normalerweise sehr freundlich war, war erkennbar dusterer Stimmung als wir fertig waren. Er stellte eine Reihe gezielter Fragen uber die Tater und uber die Opfer und fragte, warum die angeklagten Priester nicht sich nicht nach dem Kirchenrecht angeklagt worden waren. Nie werde ich seine abschlie?ende Bemerkung vergessen. "Ich werde daruber mit dem Heiligen Vater sprechen. Wir werden ein Meeting mit den Prafekten aller Ministerien einberufen und wir werden einen Beschluss fassen." Nachdem er abgefahren war versicherte mir Laghi, dass etwas geschehen wurde, weil Oddi bestimmt dem Papst berichten wurde. Was dann wirklich geschah, daruber kann man nur spekulieren. Es gab keinen Beschluss. Doch selbst wenn es einen gegeben hatte, dann hatte es nicht viel genutzt.
Das war 1985 und nicht 2002. Ich kann wirklich nicht glauben, dass dieser Papst, der einer der klugsten Kopfe seiner Zeit gewesen sein soll, nicht hatte verstehen konnen, wie schwerwiegend es war, dass eine bedeutende Anzahl von Priestern kleine Kinder vergewaltigen und missbrauchen. Als Entschuldigung wird manchmal vorgebracht, dass der Papst nichts tat, weil er so "rein im Geist" war, oder dass er das Priestertum, das fur ihn ein so gro?e Bedeutung hatte, erhalten wollte. Als Entschuldigung ist beides absurd.
Joaquin Navarro-Valls, der Pressesprecher des Papstes, sagte letzten Freitag, dass er nicht denke, dass der Papst oder irgendjemand anders verstanden hatte, wie schwerwiegend die Situation war. Auch diese Behauptung ist absurd. Viele in der Kirche, die Mutter und die Vater, der Kinder die missbraucht wurden wussten Bescheid und selbst in der Offentlichkeit wurde schon damals, Mitte der achtziger Jahre, der Ruf laut, dass etwas geschehen musse.
Navarro-Valls sagte nach 2002, dass Papst Johannes Paul sofort etwas unternommen hatte. Doch au?er dass er neun offentliche Erklarungen abgab, so vorsichtig formuliert, dass sie vollkommen unverfanglich waren, und dass er ein Treffen der U.S. Kardinale einberief, an dem er ihnen erzahlte, was alle schon wussten, unternahm der Papst nichts Konstruktives.
Er tat jedoch eine Reihe von Dingen, die das ganze noch schlimmer machten. Er war letztendlich dafur verantwortlich, dass die Ermittlungen gegen Pfarrer Marcial Maciel Degollado eingestellt wurden. Er weigerte sich gegen den Wiener Kardinal Hans Hermann Groer ermitteln zu lassen. Er unterstutzte die Karrieren und beforderte einige der Bischofe und Kardinale, die in voller Absicht den Opfern unglaublichen Schaden zufugten und Unmengen von Spendengeldern ausgaben, um die Ermittlungen der Justiz zu behindern, wie zum Beispiel die Kardinale Bernard Law (Boston), Roger Mahony (Los Angeles) und George Pell (Sydney), um nur einige zu nennen.
Seine wahrscheinlich himmelschreienste Unterlassung war es, die Apelle Tausender von Opfer, die direkt an ihn schrieben, zu ignorieren. Einzelne Opfer und Vereinigungen, in denen sich Opfer zusammengeschlossen hatten, uberhauften den Vatikan mit Briefen, wollten mit dem Papst sprechen oder zumindest vom ihm ein Zeichen erhalten, dass er von ihrer Existenz Kenntnis nahm, sie wurdigte, besonders wahrend der Weltjugendtage. Ihre Anfragen wurden nicht nur ignoriert, keiner erhielt jemals eine Bestatigung, dass ihre Schreiben beim Vatikan eingangen waren.
Der Skandal sexuellen Missbrauch ist gegenwartig der schlimmste Albtraum der Kirche und das geht nun schon seit 30 Jahren so. Das Ausma? dieser ganzen Sache ist so enorm, dass man gar keine Worten finden kann, es zu beschreiben. Die Bandbreite dieses Skandals, die gro?e Anzahl von Priestern, Bischofen und sogar Kardinalen, die Kinder sexuell missbraucht haben, eines der niedertrachtigsten Verbrechen vorstellbar, ubersteigen unsere Fahigkeiten uns so etwas ungeheuerlich Boses vorzustellen. Doch ist es passiert, und es wurde moglich gemacht von denjenigen, die sich verpflichtet haben, nach dem Evangelium zu leben und andere auf diesem Weg zu leiten.
Am Sonntag wird die Amtskirche ihre hochste Ehrung einem Mann zukommen lassen, der mehr als irgendjemand sonst in der Lage gewesen ware, diesen Alptraum zu beenden und der unzahlige unschuldige und verwundbare Opfer hatte retten konnen. Doch das tat er nicht. Dass er es gekonnt hatte, steht au?er Frage, doch er tat es nicht.
Das Buch auf meinem Regal ist fur mich eine Erinnerung an diese sehr dunkle Seite der Amtskirche, eine Seite, die uns Johannes Paul gezeigt hat.
Thomas P. Doyle is Priester, Kirchenrechtler, therapiert Abhangige und ist seit langem Unterstutzer von Gerechtigkeit und Solidaritat mit den Opfern sexuellen Missbrauchs durch Kleriker.
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