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Das Kloster als Hölle

By Jörg Krummenacher
Neue Zurcher Zeitung
May 05, 2014

http://www.nzz.ch/aktuell/schweiz/das-kloster-als-hoelle-1.18296426

Kloster Fischingen: Der am Montag vorgestellte Bericht zeigt, dass Gewalt und Missbrauch in St. Iddazell keine Einzelfälle, sondern Alltag waren und über den ganzen Zeitraum vorkamen (Aufnahme: Dezember 2007).

Ein Bericht der Beratungsstelle für Landesgeschichte zeigt auf, dass im Kinderheim und der Sekundarschule St. Iddazell körperliche und sexuelle Gewalt an der Tagesordnung waren. Die staatliche Aufsicht versagte. Die Institutionen entschuldigen sich.

Das Kloster Fischingen liegt idyllisch in der abgeschiedenen Hügellandschaft des südlichen Thurgaus, nahe der Grenze zum Kanton Zürich. Das 1138 gegründete Benediktinerkloster wurde 1848 aufgelöst und 1977 wieder installiert. Dazwischen, von 1879 bis 1976, diente die klösterliche Anlage unter dem Titel «St. Iddazell» als Waisenanstalt, Sekundarschule, Erziehungs- und Kinderheim. Es war eine der grössten Erziehungsanstalten der Schweiz, geführt von Patres und Ordensschwestern: 6500 Kinder und Jugendliche besuchten St. Iddazell in diesen 97 Jahren. Für manche von ihnen wurde der Aufenthalt zur Hölle.

Während eines Jahrs hat ein Team der Beratungsstelle für Landesgeschichte in Zürich unter Leitung von Thomas Meier die Geschichte von St. Iddazell aufgearbeitet. Auftraggeber war der Verein Kloster Fischingen, der die Anlage heute samt Seminarhotel betreibt. Auslöser waren mehrere Berichte ehemaliger Insassen über Missbräuche durch das Heimpersonal, insbesondere körperliche und sexualisierte Gewalt. Ein ehemaliger Internatsschüler klagte einen noch lebenden Benediktinerpater an, sexuelle, psychische und massive physische Gewalt ausgeübt zu haben. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen: Nach Angaben des Klägeranwalts wird ein Bundesgerichtsentscheid vom Januar an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weitergezogen.

Ort des Sadismus

Der am Montag vorgestellte Bericht zeigt, dass Gewalt und Missbrauch in St. Iddazell keine Einzelfälle, sondern Alltag waren und über den ganzen Zeitraum vorkamen. Das unabhängige Team von Thomas Meier sichtete die Akten des ins Thurgauer Staatsarchiv überführten St.-Iddazell-Archivs und führten mit zwei Dutzend Ehemaligen Interviews. Demnach wurden neun Ehemalige Opfer sexueller Übergriffe, darunter Knaben wie Mädchen. Zu den Tätern gehörten nicht nur mehrere Patres, sondern auch ein Direktor des Kinderheims, ein Lehrer und ein Gärtner. Auch Ordensschwestern scheinen sich, wie Thomas Meier festhält, an Mädchen vergriffen zu haben. Die Vorkommnisse datieren vor allem aus den 1950er und 1970er Jahren.

Darüber hinaus dokumentiert der Bericht exzessive Gewalt, sadistische Handlungen und eine grosse Bandbreite von Bestrafungen: Tatzen, Ohrfeigen, Essensentzug, massive Schläge, Züchtigung mit Gürteln und Knüppeln, stundenlanges Hinknien, Kahlscheren der Kopfhaare, Dunkelarrest bis zu mehreren Tagen. Ein kleines Mädchen sei vor die Feuerungsöffnung eines Heizkessels gehalten worden, und man habe sich an dessen Todesangst ergötzt. Patres wie Ordensschwestern hätten unter ihren Gewändern Gummiknüppel getragen, von denen sie bei jeder Gelegenheit Gebrauch gemacht hätten.

Möglich gewesen sei dies dank einer Kultur von Verschwiegenheit und Vertuschung sowie einem über Jahrzehnte vorherrschenden Betriebsklima von Ausbeutung, Überforderung und starrer Hierarchie.

Fehlende Kontrolle

Der Bericht zeigt auch, dass die Aufsichtsorgane ihre Pflichten vernachlässigten und die Erziehenden relativ unbeaufsichtigt agieren konnten. Das trifft auch auf den Kanton Thurgau zu, dessen Heimaufsicht trotz einer ab 1946 vorhandenen Rechtsgrundlage versagte. Hinzu kommt, dass viele Heimkinder seit den 1960er Jahren auch von der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen behandelt und ihnen Psychopharmaka im Versuchsstadium verabreicht wurden – ein Kapitel, das erst noch aufgearbeitet werden muss.

Die heutigen Verantwortlichen der beteiligten Klöster, so auch der Benediktinerabtei Engelberg, bieten die Betroffenen um Verzeihung. Sie leisten, gewissermassen zur Sühne, 250 000 Franken in den vom Bund gegründeten Fonds zur Soforthilfe für Betroffene.

 




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