| „wie Salz in Tiefen Wunden“
netzwerkB
April 25, 2014
http://netzwerkb.org/2014/04/25/wie-salz-in-tiefen-wunden/#comment-202434
orbert Denef wurde von einem Priester missbraucht und kritisiert die Heiligsprechung von Johannes Paul II.
Herr Denef, mit welchem Gefuhl blicken Sie auf die Heiligsprechung von Johannes Paul II. am Sonntag auf dem Petersplatz in Rom?
Denef: Das tut einfach weh. Das ist wie Salz in tiefen Wunden, die immer noch offen sind. Mein Fall beweist, dass Johannes Paul II. hauptverantwortlich fur das Vertuschen und Verschweigen vieler Verbrechen ist.
Was ist Ihnen passiert?
Meine personliche Geschichte ist nicht wichtig, aber ein Fall, der stellvertretend fur viele andere steht. Ich wurde bis zu meinem 16. Lebensjahr von einem Priester sexuell missbraucht, bis ich 18 Jahre alt war auch vom Leiter eines Kirchenchors. Ich habe 35 Jahre lang geschwiegen.
Was ist anschlie?end passiert?
1996 habe ich den ersten Tater angezeigt, erst zehn Jahre spater konnte ich auch den zweiten Tater benennen. Ich war psychologisch blockiert. Als ich 2003 eine Entschadigung von der katholischen Kirche forderte, bot mir das Bistum Magdeburg 25 000 Euro an, unter der Bedingung, dass ich wieder schweigen wurde. Ich konnte aber nie wieder schweigen, auch nicht, wenn sie mir zehn Millionen Euro geboten hatten.
Welche Rolle hatte Johannes Paul II. in Ihrer Geschichte?
In meiner Verzweiflung dachte ich, jetzt wende ich mich an den Chef der gesamten Institution. Ich hatte die ehrliche Hoffnung, dass der Papst den Bischof von Magdeburg ma?regeln konnte, der mich wieder zum Schweigen bringen wollte. Nach einem halben Jahr kam der Brief aus Rom.
Was stand da drin?
Mir ging es damals schlecht, ich war in einer Psychoklinik. Am 27. April 2004, exakt zehn Jahre vor der Heiligsprechung am Sonntag, kam dieser versiegelte, beinahe mystisch wirkende Brief aus dem Vatikan. Der Papst schrieb mir, dass er fur mich beten wurde und ermutigte mich, fur meine innere Heilung und die Kraft der Vergebung zu bitten. Wen sollte ich jetzt noch fragen? Es war, als sei ein Licht ausgegangen. Kurz darauf versuchte ich mir, das Leben zu nehmen. Der Versuch schlug fehl.
Johannes Paul II. wird vorgeworfen, den mexikanischen Priester und Grunder der Legionare Christi Marcial Maciel Degollado, der Dutzende Kinder und Jugendliche missbrauchte, gedeckt zu haben oder auch den ehemaligen Bostoner Bischof Bernard Francis Law. Warum machen Sie Wojtyla personlich verantwortlich?
Auch wenn er damals schon nicht mehr gesund war, hatte er doch die Verantwortung fur seinen Betrieb. Dass er oder seine Leute mich aufforderten, zu beten und alles unter der Decke zu halten, ist der Beweis dafur, dass weiterhin vertuscht werden sollte. Das ist ungerecht. Da kann sich niemand herausreden. Er hat in den 26 Jahren seines Pontifikats verschwiegen, verleugnet und vertuscht, obwohl er genau gewusst hat, was da abgelaufen ist.
Warum sind Sie sich so sicher, dass der Papst Bescheid wusste?
Ich habe 2003 die gesamte Dokumentation meines Falles an den Vatikan geschickt. Es passierte nichts, bis heute. Es ist ein Verbrechen, jemanden zum Schweigen zu zwingen, der schon 35 Jahre lang geschwiegen hat. Und das nur, damit die Kirche keinen Schaden nimmt.
Wieviele Menschen in Deutschland wurden Opfer sexueller Gewalt durch die katholische Kirche?
Serios kann man das nicht beziffern. Ich habe allein 20 000 Zuschriften anderer Opfer bekommen, seit ich an die Offentlichkeit gegangen bin. Die Dunkelziffer ist gigantisch, die meisten nehmen ihre Erinnerungen mit ins Grab.
Was musste aus Ihrer Sicht geschehen?
Die staatlichen Verjahrungsfristen mussen aufgehoben werden, denn die Opfer wagen, wenn uberhaupt, oft erst nach Jahrzehnten, die Taten anzuzeigen. Au?erdem mussten die Verbrechen von externer Seite aufgeklart werden. Wenn die Mafia sagen wurde, wir klaren unsere Verbrechen selbst auf, wurden sich alle an den Kopf fassen. Verbrecher konnen ihre eigenen Verbrechen nicht wirkungsvoll aufklaren, auch die Kirche nicht.
Dabei gibt es doch Bestrebungen zur Aufklarung, auch Benedikt XVI. wurde gelobt, er habe viel bei der Aufklarung bewirkt.
Diese Ansichten werden in den Medien verbreitet. „Benedikt entlasst 400 Priester“, solche Schlagzeilen. Ratzinger war die rechte Hand Wojtylas. Was hat er als Papst denn fur die Opfer getan? In Deutschland speist man die Opfer mit etwa 5000 Euro ab, dann soll Ruhe sein. Das ist nicht einmal die Halfte eines monatlichen Bischofsgehalts. Viele Opfer, von denen eine gro?e Zahl in schlimmen sozialen Schwierigkeiten steckt, nehmen das Angebot an.
Wie sehen Sie die Rolle von Papst Franziskus in der Debatte um die Aufklarung von sexuellem Missbrauch?
Franziskus konnte derjenige sein, der endlich etwas andert. Aber es genugt nicht, eine Kommission zum Thema zu berufen. Die Verbrechen mussen aufgearbeitet werden, auch wenn es weh tut. Vielleicht muss die Kirche ihre Guter fur die Entschadigung der Opfer verkaufen. Aber nur durch die Aufarbeitung der Falle konnte das Vertrauen wieder gestarkt werden und der Glaube an Jesus wieder aufbluhen.
Zur Person: Norbert Denef, Jahrgang 1949, wurde als Kind und Jugendlicher sexuell missbraucht. 35 Jahre nach den Taten sprach er erstmals uber die Verbrechen. 2010 grundete er einen der inzwischen gro?ten Opferverbande in Deutschland, das Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt, kurz netzwerkB. Denef ist Sprecher des Verbands.
Das Interview fuhrte Julius Muller-Meiningen, Italien- und Vatikan-Korrespondent
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