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Missbrauchsopfer von Kirche enttäuscht

Markische Allgemeine
April 8, 2014

http://www.maz-online.de/Lokales/Potsdam/Potsdam-Missbrauch-in-Peter-und-Paul


Rainer Maria Kardinal Woelki traf sich kürzlich mit Stefan Lüttke.

[Summary: Abuse victims are disappointed in the church. Stefan Luttke of Potsdam was abused in 1997 as a 15-year-old by the then chaplain of Sts. Peter and Paul church. The priest was later a pastor in Berlin. He acknowledged the abuse but has not been officially charged because he signed no confession.]

Der Potsdamer Stefan Lüttke wurde 1997 als 15-Jähriger vom damaligen Kaplan von St. Peter und Paul, Stefan M., missbraucht. Obwohl M. – später Pfarrer in einer Berliner Gemeinde – die Tat bei der Befragung einräumte, wurde er offiziell nicht belastet. Der Grund: Er habe kein Geständnis unterschrieben.

Potsdam. MAZ: Eigentlich arbeiten Sie ja als Psychologe an der Universität in Tübingen, sind jetzt aber für einen Abstecher nach Potsdam gekommen. Nur unweit von unserem Treffpunkt ist die Gemeinde St. Peter und Paul, deren damaliger Kaplan Sie missbraucht hat. Was empfinden Sie so in direkter Nähe der Kirchengemeinde?
Stefan Lüttke: Menschen machen Fehler, dafür sollten wir sie nicht verurteilen. Sollte der Missbrauch durch eine psychische Störung bedingt worden sein, würde ich mich freuen, wenn der Betreffende professionelle Unterstützung erhalten würde, auch vom Bistum. Das muss aber ein psychiatrisches Gutachten feststellen, von außen kann man dies nicht bewerten. Ich kann den Missbrauch mittlerweile mit professionellem Abstand sehen. Vom Erzbistum bin ich jeddoch enttäuscht und wütend über seinen Umgang mit dem Fall.

Sie hatten ja sehr lange – auch öffentlich in der MAZ – auf ein Treffen mit Kardinal Woelki gedrungen. Ende vergangener Woche war es endlich soweit. Hat der Kardinal sich bei Ihnen dafür entschuldigt, dass M. trotz der bestätigten Vorwürfe quasi einen Persilschein erhielt? In einer kirchlichen Erklärung hieß es damals ja, er könne weiterhin seelsorgerlich tätig sein.
Lüttke: Der Kardinal hat mir gesagt, dass diese öffentliche Darstellung voreilig und ein Fehler war. Er habe nie die Absicht gehabt, den beschuldigten Pfarrer zu schützen. Allerdings fällt es mir schwer, das zu glauben. Sowohl der Kardinal als auch sein Generalvikar wählen ihre Worte stets mit Bedacht. Zudem werden sie von einer Juristin und einem Pressesprecher beraten. Letztlich muss die Öffentlichkeit entscheiden, welcher Darstellung sie folgt. Ich bin zumindest zufrieden, dass die Wahrheit ans Licht gekommen ist.

In der kirchlichen Erklärung wurde der Missbrauch damals nicht einmal erwähnt.
Lüttke: Ich las die Meldung und war schockiert. Es fühlte sich wie ein zweiter Missbrauch an. Für mich war die Botschaft: Dich – aber auch die Kirchenmitglieder – nimmt man nicht ernst! Insofern ist es für mich eine große Befriedigung, dass die Öffentlichkeit jetzt wirklich weiß, wie alles abgelaufen ist.

Anders als viele Missbrauchsopfer wollten Sie mit Ihrem vollen Namen an die Öffentlichkeit gehen – ein sehr mutiger Schritt. Welche Reaktionen haben Sie erlebt?
Lüttke: Die Reaktionen aus meinem näheren Umfeld waren sehr positiv und unterstützend. Auch die Reaktionen in der Potsdamer Kirche haben mir gezeigt, dass es ein guter Schritt war. Man hat mir Respekt bekundet dafür, dass ich anderen Opfern zeige, dass man sich nicht verstecken darf. Wie Erhebungen gezeigt haben, wird ja nur jeder achtzehnte bis zwanzigste Missbrauchsfall angezeigt.

Nach der Veröffentlichung Ihres Falles gab es auch Stimmen, die sich darüber wunderten, dass Sie erst nach so vielen Jahren an die Öffentlichkeit gegangen sind.
Lüttke: Die meisten Opfer schweigen jahrelang, wenn nicht ihr Leben lang. Meistens geschieht dies aus großer Scham und aus einem falschverstandenen Pflichtgefühl dem Täter gegenüber. Zudem kann man als Kind oder Jugendlicher die Dimension des Geschehenen noch nicht richtig einschätzen. Auch bei mir war das so.

Sie fühlten sich verpflichtet, den Täter nachträglich zu schützen?
Lüttke: Ja, anfangs schon. Aber als ich älter wurde, war da die Überlegung, dass ich vielleicht kein Einzelfall bin und der Priester möglicherweise weitermachen könnte. Das hätte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren können.

Sie fordern vehement eine unabhängige Untersuchungskommission für Missbrauchsfälle im Erzbistum. Ist Kardinal Woelki auf diesen Vorschlag eingegangen?
Lüttke: Hier war der Kardinal sehr klar: Eine unabhängige Untersuchungskommission wird es nicht geben, man habe bereits einen Beraterstab für solche Missbrauchsfälle. Man muss aber ganz klar sagen: Dieser Beraterstab kann zur Aufklärung nicht viel beitragen, da er keine Akteneinsicht in Ermittlungen zu Missbrauchsfällen hat. Er kann sich damit gar kein eigenes Urteil bilden und ist letztlich ein „zahnloser Tiger“. Theoretisch kann sich ein Fall wie meiner also wiederholen. Das ist besonders bedenklich, wenn ein Fall noch nicht verjährt ist und den Strafermittlungsbehörden wichtige Informationen vorenthalten werden. Hier muss sich etwas ändern, auch mit öffentlichem Druck. Selbst Papst Franziskus möchte einen Untersuchungsausschuss, da könnte Kardinal Woelki mit gutem Beispiel vorangehen.

Wie wird es aus Ihrer Sicht jetzt weitergehen?
Lüttke: Dass jemand in der katholischen Kirche – bis hin zu Kardinal Woelki – wegen eigener Fehler die Konsequenzen zieht, wird wohl weiterhin Utopie bleiben. Über die Zukunft von Stefan M. gibt es widersprüchliche Aussagen vom Erzbistum: Einerseits will man das psychiatrische Gutachten abwarten, andererseits sagte mir der Kardinal, er persönlich würde ihn nicht mehr einsetzen wollen. Ich persönlich würde das Gutachten abwarten und nicht vorverurteilen. Bislang hat Rom nur Bußauflagen erteilt, über deren Inhalt allerdings nichts bekannt wird.

Wie sieht Ihre Gefühlslage gegenüber dem Täter aus? Abscheu oder doch der Wunsch, ihn mit dem Vorgefallenen zu konfrontieren?
Lüttke: Ich würde mir schon eine persönliche Entschuldigung von ihm wünschen; zumindest wissen wollen, was er damals gedacht und gefühlt hat. Ein Gespräch kann ich mir durchaus vorstellen.




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