| Dr. Dr. Caspar Soling: „wir Sind Traurig Mit Jedem, Der Sich Gemeldet Hat“
The Vincenzstift
April 3, 2014
http://www.st-vincenzstift.de/nc/aktuelles/presseinformationen/details/article/dr-dr-caspar-soeling-wir-sind-traurig-mit-jedem-der-sich-gemeldet-hat.html
Sieben Meldungen uber korperliche, sexualisierte und psychische Gewalt nach 1970 in Sankt Vincenzstift und Jugendhilfe Marienhausen - Ergebnisse der Hotline vorgestellt
Rudesheim, den 3. April 2014.- Sieben Anruferinnen und Anrufer haben im Rahmen einer Telefonhotline uber unterschiedliche Dimensionen von korperlicher, sexualisierter und psychischer Gewalt berichtet, die sie nach 1970 im Sankt Vincenzstift und in der Jugendhilfe Marienhausen erfahren und/oder beobachtet haben. Uber Vorkommnisse in der Jugendhilfe berichtete ein Anrufer, von den sechs Anrufen, die sich auf das Sankt Vincenzstift bezogen, waren vier ehemalige Bewohner, ein Angehoriger und eine ehemalige Mitarbeiterin. Dies ist das Ergebnis einer Erhebung, die im Zeitraum 28. Oktober 2013 bis 28. Januar 2014 von Professorin Dr. Annerose Siebert von der Hochschule Ravensburg-Weingarten geleitet wurde. „Insgesamt lasst sich auf ein hoheres Gewaltvorkommen zu Beginn der 1970er Jahre schlie?en, wobei bis Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre gravierende Vorkommnisse genannt wurden. Spatere Vorkommnisse wurden nicht genannt“, fasste die Wissenschaftlerin anlasslich der Veroffentlichung im Sankt Vincenzstift (3.4.) die Ergebnisse der Hotline zusammen und berichtete uber den damaligen einrichtungsinternen Umgang mit diesen Vor-kommnissen. „Angst und Schweigen sind die Kategorien, die aus den Gesprachen und Materialien deutlich herausgelesen werden konnen. Die Kategorie Intransparenz lasst sich in Bezug auf den Umgang mit Vorfallen aus den Berichten als zentral herausarbeiten. Die im Bericht zusammengefassten und bewusst anonymisierten Daten konnen im Rahmen dieser sehr begrenzten Erhebung als ein kleiner Schritt der historischen Aufarbeitung der genannten Einrichtungen betrachtet werden.“
„Nachdem sich auf die Studie von Bernhard Frings, die die Jahre 1945 bis 1970 beleuchtet hatte, weitere Opfer gemeldet hatten, die uber Gewalt noch nach 1970 berichteten, wollten wir wissen, ob es sich um Einzelfalle handelt oder ob sich die Situation der 50er/60er Jahre fortgesetzt hat“, erlauterte Dr. Dr. Caspar Soling, Geschaftsfuhrer der Sankt Vincenzstift gGmbH, das Ziel der Hotline. „Wir sind traurig mit jedem, der sich gemeldet hat. Wir sind dankbar, dass sie sich gemeldet haben, damit sie nicht mit diesem dunklen Kapitel alleine bleiben.“ Es sei ihm wichtig, ansprechbar fur die Opfer zu sein. Die Hotline habe sich dabei als hilfreiches Medium erwiesen.
„Wir erkennen das erlittene Unrecht an. Ich entschuldige mich bei allen Betroffenen, auch im Namen des JG-Aufsichtsrates, der JG-Geschaftsfuhrung und des Kuratoriums. Diese haben von Anfang an ausdrucklich der Erhebung zugestimmt, sie anerkennen die Ergebnisse der Erhebung und au?ern ihr Bedauern in einem entsprechenden Schreiben“, so Dr. Soling.
Mit den Ergebnissen der Hotline sei es nun moglich, auch einen Blick auf die Situation im Sankt Vincenzstift nach 1970 zu werfen. „Die Hotline ist zwar keine wissenschaftliche Studie, dennoch zeichnet sich in der Erhebung eine deutliche Entwicklung des Sankt Vincenzstiftes ab. Durch die Studie von Frings wissen wir, in welch schwieriger Situation sich das Stift Ende der 60er Jahre befand. Es gab Strukturen, die Ubergriffe ermoglicht oder vielleicht sogar be-fordert haben. Offenkundig wurden diese Strukturen im Laufe der 70er Jahre verandert - und damit auch die Situation der Betroffenen. Das ist keine Entschuldigung fur erlittenes Unrecht, sondern nur der Versuch einer Einordnung dieser Entwicklung.“
Wichtig sei fur ihn, wie aus der Frings-Studie, aus den Ergebnissen der Hotline zu lernen. „Es ist fur alle Seiten von Vorteil, wenn sie sich diesem Thema stellen. Nur der offene Umgang mit dunklen Themen hilft den Betroffenen. Und auch dem Vincenzstift.“ Ihm sei sehr am personlichen Kontakt mit den Betroffenen gelegen. Doch auch Strukturen mussten immer wieder hinterfragt werden. „Es gibt Systeme, die kranken Charakteren eine Plattform bieten. Solche Systeme muss man verhindern. Themen wie Macht, Gewalt und Sexualitat bedurfen einer permanenten Reflexion. Und wir mussen achtsam sein, ob jemandem Unrecht geschieht und Moglichkeiten der Beschwerde und der Verbesserungsvorschlage bieten.“ Dies sehe er als eine wichtige Aufgabe als Leiter des Sankt Vincenzstiftes und der Jugendhilfe Marienhausen. „So etwas darf nie wieder passieren.“
Zur Erlauterung:
Im Rahmen der dreimonatigen Telefonhotline erfolgte im Auftrag des Sankt Vincenzstiftes und der Jugendhilfe Marienhausen eine Bestandsaufnahme zu Vorkommnissen von Gewalt jeglicher Art nach 1970. Menschen, die in den genannten Einrichtungen Gewalt selbst erlebt oder gesehen hatten, konnten dies anonymisiert melden.
Die Erfassung im Rahmen einer telefonischen Befragung wurde dabei pragmatisch gewahlt und die damit verbundenen Herausforderungen in der Konzeption, Durchfuhrung und Berichterstattung umfassend benannt und berucksichtigt. Eine Telefonhotline mit Bereitschaftszeiten stellt aus verschiedenen Grunden eine relativ hohe Schwelle fur mogliche Anruferinnen und Anrufer dar, es konnten konzeptionell zudem nur Personen erreicht werden, die verbal kommunizieren konnen. Zitate im Ergebnisbericht stammen aus den Aufzeichnungen der Interviewerinnen und Interviewer der Hotline. Die Perspektive der Anruferinnen und Anrufer steht im Mittelpunkt.
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