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Limburger Ex-vikar Vereitelte Aufarbeitung Von Missbrauchsfall

By Christiane Florin Und Christiane Grefe
Zeit
April 3, 2014

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Der ehemalige Limburger Generalvikar Franz Kaspar | © Bistum Limburg/dpa

Als Alexander Markus Homes sieben Jahre alt ist, bescheinigen ihm Experten "Schwachsinn leichten Grades". Funf Jahre hat der Junge da schon in Kinderheimen verbracht. Nach der Diagnose kommt er im April 1966 in das katholische Pflege- und Bildungsheim St. Vincenzstift in Aulhausen am Rhein.

Fast zehn Jahre lang durchleidet er mit anderen als geistig behindert eingestuften Kindern und Erwachsenen das Regime der Dernbacher Schwestern. Ein Orden als schlagende Verbindung: Homes wird geprugelt und erniedrigt, der Heimarzt missbraucht ihn sexuell. Andere Behinderte werden in dieser Zeit vom damaligen Direktor des Heimes, Rudolf Muller, sexuell missbraucht. "Es waren Gottes Worte, Gottes aggressive Blicke, Gottes Hande, die uns beschimpften, demutigten, bestraften, prugelten", schrieb Alexander Markus Homes vor mehr als drei?ig Jahren. Sein Buch Prugel vom lieben Gott erschien 1981.

Damals leitete ein gewisser Franz Kaspar das Heim, jener Geistliche, der spater als Generalvikar des Bistums Limburg die rechte Hand von Franz-Peter Tebartz-van Elst werden sollte. Er ist auch jener Mann, auf den der Bischof kurz nach seinem Rucktritt mit dem Finger zeigte. Der Generalvikar sei der Hauptverantwortliche gewesen, lie? der Geschasste und Gescholtene verlauten. Als Bischof sei er weder Bau- noch Finanzexperte. Der Bericht der Prufgruppe zum Limburger Bischofshaus zeichnet allerdings ein anderes Bild. Demnach erfullte Kaspar dem Bischof viele Wunsche, warnte aber auch vor den Kosten.

Wer ist der Mann, auf den Franz-Peter Tebartz-van Elst versuchte, seine Schuld abzuwalzen? Franz Kaspar ist in Dernbach im Westerwald geboren, die Grunderin der Dernbacher Schwestern gehort zu seiner Familie.

"Der Direktor hat nicht geschlagen, er hat es geschehen lassen", sagt Homes uber Kaspar. Als die Vorwurfe gegen das Heim bekannt werden, schlagt der aber doch zu: Er geht juristisch gegen Buch und Autor vor. Er zeigt dem vermeintlich Schwachsinnigen, wer der Schwachere ist: Behinderte Heimkinder haben keine Lobby, Kaspar hat einen Topanwalt. Erst sto?t er ein Strafverfahren wegen ubler Nachrede gegen Homes an, dann erwirkt er eine einstweilige Verfugung gegen die Verbreitung des Buches. Das Strafverfahren wird eingestellt, der Kampf endet in einem Vergleich. Homes darf seine Erinnerungen nicht Dokumentation nennen, muss sie als "literarisch verfremdet" deklarieren. Das nimmt den Vorwurfen die Wucht des Wirklichen.

Kaspar wird Alter Ego des Bischofs

Damals stritten Hessens Politiker heftig uber den Sinn von Heimen, das Stift in Aulhausen galt als reformpadagogische Vorzeigeanstalt. Kaspar habe so reagiert, um Schaden vom Haus und von der katholischen Kirche abzuwenden, sagt ein Vertrauter.

2009 beruft Franz-Peter Tebartz-van Elst Kaspar zu seinem Generalvikar. Als Alter Ego des neuen Bischofs ist der damals 71-Jahrige ideal: ein fast Unsichtbarer hinter einem weithin Sichtbaren. Kaspar hat beste Beziehungen zu Wirtschaft und Politik, sitzt in Aufsichtsraten, auch bei der Josefsgesellschaft, einem Sozialunternehmen, zu dem wiederum das Vincenzstift gehort. Fur seinen Bischof findet er Wege zum Geld, fur ihn kundigt er aufmupfigen Mitarbeitern, fur ihn gibt er seine Flugmeilen her und lasst Presseanfragen von Anwalten beantworten.

Auch diesem Artikel geht Post vom Anwalt voraus. Franz Kaspar hat, wie sein Dienstherr, ein Faible fur Kunst. Einen zumindest "eigenwilligen Umgang mit Stiftungsvermogen" habe Kaspar im St. Vincenzstift an den Tag gelegt, so urteilte der Wiesbadener Kurier. Rund 500.000 Euro investierte der Direktor dort seit Mitte der 1990er Jahre in Einrichtungs- und Kunstgegenstande wie Lampen, Gemalde, Reliefs, Madonnen- und andere Figuren. Und bei einigen Stucken war jahrelang unklar, wo sie stehen.

Zwar habe Kaspar fur diese Anschaffungen keine Mittel aus regularen Betreuungsgeldern verwendet, versichert der Sprecher des Bistums Limburg. Die meist sakralen Objekte finanzierte der Stiftungsdirektor vielmehr aus einem Sonderfonds. Gespeist wurde er aus Spenden und Gehaltsanteilen der Schwestern, die im Vincenzstift arbeiteten.

Einige Kunststucke hangen bei Kaspar zu Hause

Vor allem Kaspar selbst hat das St. Vincenzstift auf diesem Weg uber Jahrzehnte in erklecklicher Hohe unterstutzt. Der Stiftungsdirektor war lange zugleich Leiter des Kommissariats der Bischofe in Hessen, und eines der beiden Gehalter habe er regelma?ig in den Sonderfonds uberwiesen, hei?t es im Bistum Limburg. Nur aus diesen Spenden Kaspars seien Kunstkaufe finanziert worden, teilt seine Anwaltin schon schriftlich mit, ehe man angefragt hat.

Es ist auch legitim und ublich, "der christlichen Tendenz der Institution sichtbar Ausdruck zu geben", wie Kaspar verlautbaren lasst. Ein Gro?teil der sakralen Kunstgegenstande befindet sich am Ort dieser Bestimmung. Eine halbe Million Euro: Das ist allerdings keine geringe Ausgabe. Und Transparenz sieht anders aus.

So behielt sich Kaspar in einer Vereinbarung mit seinem Verwaltungsdirektor vor, uber den Standort der Kunstobjekte mitzuentscheiden – und das hie?, dass er einige Stucke bei sich zu Hause aufstellte. Welche womoglich wertvollen Kunstgegenstande sich wo befinden, das war lange nicht im Detail dokumentiert. Diese Leerstelle mussen Kaspars Nachfolger jetzt erst ausfullen und die "Liste der Objekte hinsichtlich der Standorte aktualisieren und zusatzlich mit Fotos versehen", so formuliert es Kaspars Anwaltin. Sie betont, dass man aber "eine reine private Nutzung der Objekte auf Dauer ausgeschlossen" habe. Auch die heute fur Aulhausen Verantwortlichen versichern, all dies sei rechtlich nicht zu beanstanden. Doch den Sonderfonds haben sie mittlerweile in die Rucklagen des Stiftes uberfuhrt.

Ergebnisse einer Missbrauchsstudie werden vorgestellt

Erst nach und nach wird im Bistum Transparenz moglich. Das betrifft auch die Missbrauchsvorwurfe im Behindertenheim. Dass Alexander Markus Homes die Prugel im Namen Gottes nicht erfunden hat, musste Franz Kaspar im letzten Jahr eingestehen: Da erschien eine Studie zu Gewalt und Missbrauch in Aulhausen. Der Untersuchungszeitraum endet allerdings 1970, just in jenem Jahr, als Kaspar die Leitung des Hauses ubernahm. Gewalt gab es auch danach. Doch erst im Oktober 2013, kurz nachdem Kaspar als Generalvikar in Limburg abgelost wurde, schaltete das Vincenzstift eine Hotline, in der ehemalige Heimkinder von ihren Erlebnissen nach 1970 erzahlen konnten. An diesem Donnerstag wird das Ergebnis in Aulhausen vorgestellt. Jahrzehnte nach dem Regime des Schlagens endet auch das des Schweigens.

Zur literarischen Figur machte den Kirchenmann nicht das ehemalige Heimkind Homes, sondern der Gro?schriftsteller Martin Walser. In seinem Schlusselroman Finks Krieg lasst er Kaspar als Professor Dr. Dr. Degen auftauchen. Der ist, wie dereinst Kaspar, als Leiter des katholischen Buros in Wiesbaden zustandig fur die Beziehungen zwischen Kirche und Politik im Land Hessen und au?erdem Leiter eines Behindertenheims bei Rudesheim. Als er fur einen in Bedrangnis geratenen Beamten der Staatskanzlei aussagen soll, windet er sich heraus. Martin Walser bezeichnet den Kirchenmann auf Anfrage als Randfigur seines Romans. Im Bistum Limburg ruckte Franz Kaspar vom Rand ins Zentrum. Er war der zweite Mann.

Lesen Sie dazu au?erdem in der aktuellen ZEIT: Die klerikale Ara ist vorbei! Ein Gesprach mit Johannes zu Eltz, Stadtdekan von Frankfurt am Main und scharfer Kritiker von ­Tebartz-van Elst. Sie konnen die ZEIT am Kiosk oder online erwerben.

 

 

 

 

 




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