| Zum Abschied Eine Entschuldigung
By Heidi Gmur
Neue Zurcher Zeitung
March 31, 2014
http://www.nzz.ch/aktuell/international/auslandnachrichten/zum-abschied-eine-entschuldigung-1.18274410
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Kardinal Pell bei seiner Abschiedsmesse in Sydney, bei der er noch einmal eine Entschuldigung aussprach. (Bild: Keystone / EPA)
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Der australische Kardinal George Pell tritt im Vatikan seine Stelle als Prafekt des neuen Wirtschaftsministeriums an. Vor der Abreise nach Rom hatte er noch eine letzte, bittere Pflicht in Sydney zu erfullen.
Mit drei Verhoren und zwei offentlichen Entschuldigungen hat Kardinal George Pells 13-jahrige Amtszeit als Erzbischof von Sydney geendet, bevor er am Montag im Vatikan seine neue Stelle als Prafekt des neu geschaffenen Wirtschaftsministeriums angetreten hat. An drei Tagen musste er als Zeuge vor der Royal Commission erscheinen. Die Kommission war Ende 2012 einberufen worden und ist mit Sonderbefugnissen ahnlich einem Gericht ausgestattet, um landesweit den Kindsmissbrauch in kirchlichen, staatlichen und privaten Institutionen zu untersuchen.
Der Fall Ellis
Pell musste Red und Antwort stehen in einem Fall, in dem die katholische Kirche unter seiner Aufsicht besonders hartherzig mit einem Opfer von sexuellem Missbrauch umgesprungen ist. John Ellis war 13-jahrig, ein Ministrant, als er in den 1970er Jahren von einem Priester zu sexuellen Handlungen gedrangt wurde, die sich uber Jahre fortsetzen sollten. Erst in den 1990er Jahren wurde sich Ellis, inzwischen Vater und Anwalt, bewusst, dass es sich um einen missbrauchlichen Ubergriff gehandelt hatte. 2002 wandte er sich an die Kirche. Pell war von Anfang an informiert uber den Fall und er war es auch, der Ellis mitteilte, dass der Priester aus gesundheitlichen Grunden nicht mehr in der Lage sei, auf die Vorwurfe zu antworten; er sehe daher nicht, was die Diozese tun konne, um diese Angelegenheit zu klaren.
Ellis liess nicht locker, verlangte eine Entschadigung von 100 000 australischen Dollar (rund 80 000 Franken), die Kirche aber wollte maximal 30 000 zahlen und forderte den Verzicht auf juristische Mittel. Ellis lehnte das Angebot ab und es kam zum Prozess. Die Kirche setzte alles daran, um die Schadenersatzklage abzuwehren. Schliesslich obsiegte sie mit dem technischen Argument, dass die Stiftung der Kirche fur Fehlverhalten von kirchlichem Personal nicht haftbar gemacht werden konne. Es war ein Prazedenzfall, der zwar nicht die Tater, aber doch die Kirche und ihr treuhanderisch verwaltetes Vermogen vor weiteren Schadenersatzklagen schutzte. Nicht nur im Fall Ellis ist der Tater inzwischen verstorben.
Vor der Royal Commission wurde der Fall nun erneut aufgerollt. Pell bestatigte, dass er die Verteidigung instruiert hatte, die Klage «energisch» abzuwenden, um andere Opfer darin zu bestarken, vom juristischen Weg abzusehen. Er machte zugleich geltend, er sei falsch uber die Forderungen in diesem Fall informiert gewesen, jedenfalls habe er geglaubt, es gehe um «Millionen». Pell, der die Missbrauchsvorwurfe an sich offenbar nie in Frage gestellt hatte, raumte aber auch ein, «dass wir aus christlicher Sicht nicht angemessen gehandelt haben». Bei seinem letzten Auftritt vor der Kommission am Donnerstag entschuldigte er sich bei Ellis «fur die Verletzungen, die wir ihm zugefugt haben durch Fehler, die ich und einige meiner Angestellten begangen haben». Als zustandiger Erzbischof ubernehme er dafur die Verantwortung.
Pells Vermachtnis
Es war ein Eingestandnis, das dem 72-jahrigen Pell umso schwerer gefallen sein durfte, als er sich innerhalb der katholischen Kirche schon relativ fruh fur eine Anderung der Handhabe von Missbrauchsfallen eingesetzt hatte. Wenige Monate, nachdem er 1996 zum Erzbischof von Melbourne ernannt worden war, schaffte Pell die so genannte Melbourne Response, ein institutionalisiertes Vorgehen, um adaquater mit Opfern von sexuellen Ubergriffen umzugehen. Er bleibe, erklarte er zuhanden der Royal Commission, «stolz auf den Beitrag, den dieses Programm geleistet hat – wobei ich nicht behaupte, dass die Verfahren perfekt waren oder sind».
Pells letzter Auftritt in Australien war nicht jener im Zeugenstand, sondern Stunden spater in der Kathedrale von Sydney vor 3000 Glaubigen. Und er nutzte die Messe, um sich ein zweites Mal an diesem Tag offentlich fur das Leid zu entschuldigen, dass den Opfern dieser Verbrechen und deren Familien zugefugt worden sei. Fortan wird sich Pell um die finanziellen und administrativen Belange des Vatikans kummern.
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