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«ich Wurde Niemandem Mit Diesem Problem Raten, Er Solle Heiraten»

By Michael Meier
Berner Zeitung
March 19, 2014

http://www.bernerzeitung.ch/schweiz/standard/Ich-wuerde-niemandem-mit-diesem-Problem-raten-er-solle-heiraten/story/26710662?track

Tobias Siebrecht

Herr Bischof Furer, sind Sie froh, jetzt, wo die Missbrauchsskandale fur Schlagzeilen sorgen, nicht mehr im Amt zu sein?

Wir hatten schon fruher einen Fall im Bistum St. Gallen: Alois F. von Walenstadt, der verurteilt worden ist. Damals war ich Bischof. Die ganze Karwoche 2002 war ich unter Beschuss der Medien. Ich habe dann die Arbeitsgruppe «Sexuelle Ubergriffe in der Pastoral» eingesetzt, die ein Merkblatt herausgab. In allen Dekanaten wurden Tagungen zum Thema Distanz und Nahe in der Seelsorge durchgefuhrt.

Uberrascht Sie heute die Haufung von Missbrauchsfallen?

Ja. Als Jugendlicher war ich in Appenzell im Kollegi und spater in Innsbruck im Priesterseminar. Das Thema Missbrauch von Jugendlichen lag ganzlich jenseits dieser Welt.

Der Zolibat schafft nicht die Padophilen, aber er zieht solche Leute an.

Ich wurde niemandem mit diesem Problem raten, er solle heiraten. Es kann aber sein, dass jemand eine Berufung spurt, Priester wird und dann merkt, dass seine padophile Veranlagung vielleicht eine unbewusste Motivation fur die Berufswahl war. Das ist aber kein bewusster Entscheid: Ich werde Priester, dann kann ich meine Padophilie verdrangen. Die Zusammenhange sind viel nuancierter, als man meint.

Sie sind fur die Freistellung des Zolibats?

Ja. Wir haben viele gut ausgebildete Pastoralassistenten, die zu Priestern geweiht werden konnten. Der Zolibat ist eine kirchliche Vorschrift. Sind aber zu wenig Priester da, sollte man die Vorschrift andern. Wichtiger als der Zolibat ist mir, dass genugend Priester zur Verfugung stehen, um uberhaupt miteinander in den Pfarreien Eucharistie feiern zu konnen.

Befurworten Sie ein zentrales Missbrauchsregister in Rom?

Nein, das kann ich mir nicht gut vorstellen. Wer wurde in einem solchen Register denn figurieren? Nur die gerichtlich verurteilten Priester? Ich bin vielmehr dafur, dass jeder Bischof bei der Anstellung eines Priesters genau pruft, ob gegen diesen etwas vorliegt. Auch beim sexuellen Missbrauch ist es nicht immer die beste Losung, alles auf die hochste Ebene zu bringen.

Eigentlich sind bereits alle Falle von Kindsmissbrauch durch Priester bei der Glaubenskongregation zentralisiert. Darum ist fur Hans Kung der fruhere Kardinal Ratzinger hauptverantwortlich fur die Vertuschung dieser Falle.

Die Geheimhaltung besteht nicht darin, dass man solche Falle nicht an die zivilen Behorden melden darf, sondern dass das Verfahren in Rom unter dem papstlichen Geheimnis steht. In der Tat: Wen man alles zentralisiert, kommt an der Spitze so viel zusammen, dass man dort der Verantwortung gar nicht mehr gerecht werden kann. Das zeigt sich jetzt. Der Papst soll im Prinzip fur alle Pfarrer und ihre Fehltritte verantwortlich sein. Das ist so falsch wie die Meinung, Rom musse nur ideale Richtlinien gegen sexuelle Ubergriffe ausarbeiten, dann sei genugend getan. Die Zentralisierung ist nicht die Losung.

Am romischen Zentralismus scheinen Sie sich stark zu storen?

Papst Benedikt hat von seinem Vorganger einen Zentralismus ubernommen, wie er fruher gar nie moglich war. In einer globalisierten Welt hat eine zentrale Autoritat einen gewissen Sinn. Aber so, wie der Zentralismus unter Johannes Paul II. von der Kurie aufgebaut worden ist, widerspricht er der vom Zweiten Vatikanischen Konzil geforderten Kollegialitat der Bischofe. Ich war ofters bei Johannes Paul II. zum Mittagessen. Einmal hat ihm Kardinal Basil Hume vorgeschlagen, dass die Prasidenten der nationalen Bischofskonferenzen alle zwei, drei Jahre mit dem Papst die wichtigsten Entscheidungen beraten sollen. Zusatzlich konnte dies durch Delegierte der einzelnen Kontinente geschehen. Das nahme die Praxis des ersten Jahrtausends wieder auf, als die Kirche durch die Patriarchen der verschiedenen Regionen geleitet wurde.

Sie hatten sich bei der Wahl Benedikts kritisch geaussert. Muss man jetzt, funf Jahren spater, von einem Katastrophenpontifikat reden?

Nein. Ich bin dankbar fur das Papsttum, fur eine religiose Autoritat auf Weltebene. Aber das Papsttum wurde im Laufe der Zeit verschieden ausgeubt. Ware ich 2005 wahlberechtigt gewesen, hatte ich meine Stimme Kardinal Ratzinger nicht gegeben. Ich befurchtete, dass ein Dogmatiker, der eine bestimmte Theologie vertritt und viel daruber publiziert hat, als Papst seine Theologie als massgebend fur die ganze Weltkirche betrachtet. Ein Historiker oder bewahrter Seelsorger, der wahrend vieler Jahre eine grosse Diozese musterhaft geleitet hat, konnte die verschiedenen theologischen Meinungen besser zusammenfuhren.

Ist die Fixierung auf seine Theologie Grund dafur, dass Benedikt so viele Fehler macht und sich sogar mit einem Holocaustleugner aussohnt?

Mag sein. Er uberlegt kompetent, was fur ihn theologisch stimmt, und ubersieht vielleicht, was das fur die Kirchengemeinschaft als Ganzes heisst. Es fehlt ihm an politischer Sensibilitat. Was die Aussohnung mit den Pius-Bischofen betrifft, weiss ich allerdings nicht, ob ihn nicht vielleicht Mitarbeiter an der Kurie in den Hammer laufen liessen. In seiner Umgebung ist die Begeisterung uber Benedikt nicht eben gross.

Sie haben den konziliaren Aufbruch der Kirche begrusst. Sind Sie enttauscht uber den restaurativen Kurs?

Ich hatte mir die Entwicklung gewiss anders vorgestellt. Bei der Ankundigung des Zweiten Vatikanischen Konzils war ich begeistert; ich durfte als junger Theologe den St. Galler Bischof Joseph Hasler zum Konzil begleiten. Doch traditionsverbundene Kreise hatten grosse Angst, dass die Reformen ins Bodenlose fuhren konnten. Ich bin enttauscht und uberrascht uber die eingetretene Verengung in der Kirche.

Beispiel kollektive Bussfeiern: Warum hat Rom diese schweizerische Praxis verboten?

Der Vatikan hat nicht Bussfeiern als solche verboten, sondern nur Bussfeiern mit sakramentaler Absolution. Fruher meinte man, die Sunden wurden nur durch die sakramentale Einzelbeichte vergeben. Ich finde kollektive Bussfeiern sehr wertvoll. Gerade weil heute in der Frage der Sundhaftigkeit oft die soziale Dimension vergessen geht. Ich denke, es wurde der Gesellschaft insgesamt besser gehen, wenn Politiker offentlich bekennen durften, sie hatten eine Dummheit gemacht, und man wurde es ihnen verzeihen.

In der Schweizer Bischofskonferenz gibt es kaum markante Personlichkeiten, dafur einen Zurcher Weihbischof, der 15 Jahre lang in einer verbotenen Bewegung war und auf Privatoffenbarungen horte. Ist ein solcher Bischof tragbar?

Ich bedauere, dass es keine verbindliche Mitsprache der Ortskirche bei Bischofsernennungen gibt. Ich habe Marian Eleganti zum Priester und zum Abt geweiht. Ich war darum erstaunt, dass ich beim Eignungsverfahren fur den neuen Weihbischof in Zurich nicht gefragt wurde. Ich hatte eine andere Losung vorgezogen. Jetzt gilt es, dem Weihbischof loyal zur Seite zu stehen.

Hat die Kirche eine Zukunft?

Wir sind in einem grossen Umbruch. Noch leben wir sehr stark von fruheren Erfahrungen als Volkskirche, zu der jeder praktisch von Geburt weg angehorte. Ich denke, der Weg des Menschen wird in Zukunft ein anderer sein: Man wird nicht einfach in eine Kirche hineingeboren und kann dann noch Christ werden. Man wachst umgekehrt in den Glauben und in die Kirche hinein.

 

 

 

 

 




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