| „aufklarung Wird Behindert“
Frankfurter Rundschau
February 7, 2014
http://www.fr-online.de/politik/missbrauch-in-der-kirche--aufklaerung-wird-behindert-,1472596,26114330.html
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Im Bild halt der "Super-Papst" einen Koffer mit Werten. Doch wie ernst ist es ihm tatsachlich mit der Aufarbeitung? . Foto: REUTERS
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Nicht jede Kritik ist sachlich und sachdienlich. Zum Beispiel kann ich nur den Kopf schutteln, wenn der UN-Bericht immer noch auf einer zwingenden Meldepflicht von Missbrauchsfallen an die staatliche Justiz herumreitet. Daruber sind wir in der Diskussion langst hinweg. Gerade die Opferschutzverbande warnen vor solch einem Automatismus.
Warum?
Man kann nicht an den Opfern und ihren Wunschen vorbei melden. Als die bayerischen Bischofe vor drei Jahren in Panik die Meldepflicht einfuhrten, beklagten sich Missbrauchsopfer bei mir, dass ihnen damit vertrauliche und vertrauensvolle Gesprache mit Kirchenvertretern fast unmoglich geworden seien. Fur einen staatlichen Ermittler steht an erster Stelle die Unschuldsvermutung zugunsten eines mutma?lichen Taters. Das hei?t, er muss die Angaben der Opfer zunachst einmal bezweifeln. Dann kommt die ganze Maschinerie mit Befragungen, Glaubwurdigkeitsgutachten et cetera in Gang. Davor haben viele Opfer Angst. Aber das sieht der UN-Bericht in seiner Naivitat nicht.
"Ein naives Verstandnis von der Kirche"
Naivitat?
Ja, ich entnehme dem Bericht ein naives Verstandnis, auch von der Kirche. Es ist doch skurril, dass sich die UN Gedanken daruber machen, wie bestimmte Textstellen im Alten Testament – etwa das Zuchtigungsgebot – auszulegen sind. Uber ein fundamentalistisch-buchstabliches Bibelverstandnis ist die katholische Kirche langst hinaus. Keiner, der in der Kirche ernst zu nehmen ware, vertritt heute noch eine wortliche Auffassung solcher Texte. Also, was soll das? Die Schieflagen des Berichts gehen aber noch weiter.
Namlich?
Da ist von einer zentralen Hotline im Vatikan fur Missbrauchsopfer aus aller Welt die Rede. Ich wei? nicht, wie die Leute in Genf sich das vorstellen. Als ob das Problem gelost wurde, wenn die Zentrale es an sich zieht. Das hat Papst Johannes Paul II. ja vergeblich versucht. Zentralisierung bringt uns uberhaupt nicht weiter. Im Gegenteil: Zentralisierung ist Teil des Problems. Aber die UN haben da die gleiche zentralistische Wasserkopf-Denke wie der Vatikan selbst. Und wenn dann noch Themen wie Abtreibung oder Homosexualitat in den Bericht einflie?en, kommt endgultig geruhrter Quark heraus.
Warum? Sie haben doch selbst immer moniert, der kirchliche Umgang mit Homosexualitat begunstige und fordere strukturell das Vertuschen und Verschweigen von Missbrauch.
Das stimmt. Aber das muss man dann schon differenzierter entwickeln als die UN. Beim Thema Homosexualitat geht es zunachst einmal um ein Menschenrechts-Thema und erst in zweiter Linie dann auch um die Frage, wie der Umgang der katholischen Kirche mit dem Thema Homosexualitat Gewalt in der Kirche begunstigt.
Bei der Abtreibung hingegen steht das Totungsverbot zur Debatte. Statt solcher Unterscheidungen mixt der UN-Bericht alles zusammen, was an Vorbehalten gegenuber der katholischen Kirche herumwabert. Dabei sind die UN selbst weder interesselos noch ideologiefrei. Die Phrasen bestimmter Gender-Theoretiker bei den UN und Aussagen katholischer Betonkopfe stehen einander in puncto Extremismus in nichts nach.
Also reagiert der Vatikan mit Recht verschnupft?
Ich warne davor, auf beleidigte Leberwurst oder verfolgte Unschuld zu machen. Schlie?lich enthalt der Bericht immer noch genugend berechtigte Kritik. Das Grundproblem ist und bleibt die Aufklarung – nicht nur der Einzelfalle, sondern auch der Strukturbedingungen, die Missbrauch ermoglichen und fordern.
"Der Vatikan muss sich externen Prufern stellen"
Aufklarung funktioniert nicht, wenn sie nach oben verlagert wird, sagen Sie. Aber der Vatikan ist ja „oben“.
Stimmt. Aufklarung funktioniert nur, wenn sie nach au?en verlagert wird. Das gilt auch fur den Vatikan: Er muss sich in den fraglichen Fallen einer externen Prufung stellen, also unabhangigen Ermittlern und Gutachtern. Genauso wichtig ist es, dass die Aufklarung selbst transparent ist. Das ist vor allem fur die Opfer wichtig, um die es der Kirche vorrangig gehen muss. Die Opfer durfen nicht das Gefuhl haben, sie mussten dauernd um Aufklarung kampfen. Sie mussen das Gefuhl haben: Unsere Geschichte wird von der Institution gesehen, unser Leid wird anerkannt. Und es muss endlich disziplinarische Konsequenzen fur Kirchenmanner geben, die vertuscht haben.
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Pater Klaus Mertes. Foto: imago stock&people
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Strafe musse weh tun, haben Sie mit Blick auf die Hohe der Opferentschadigung gefordert.
Die Strafe muss den Tatern, aber auch ihren Beschutzern und der dahinter stehenden Institution weh tun. Das ist bei den Entschadigungen bis heute nicht der Fall. Aber Geld ist nicht alles, und darum gilt auch fur die disziplinarischen Folgen: Sie durfen nicht auf die Tater im engeren Sinn beschrankt bleiben.
Sondern?
Bischofe, die an Vertuschungen beteiligt waren, sollten ihr Amt verlieren oder zurucktreten. Aber stattdessen klettert ein Bischof Muller, der in Regensburg an hochster Stelle vertuscht und vernebelt hat, mir nichts dir nichts auf der romischen Karriereleiter nach oben.
Gerhard Ludwig Muller ist heute Prafekt der Glaubenskongregation und wird demnachst Kardinal.
Da sitzt er als Nummer drei im Vatikan und fabuliert immer noch standig von irgendwelchen „boswilligen Pressekampagnen“ gegen die katholische Kirche. Von Reue keine Spur, und erst recht nicht von der Bereitschaft, sich auf Strukturprobleme der Kirche im Zusammenhang mit Missbrauch einzulassen. Muller macht einfach weiter, als ware nichts gewesen. Er tut so, als hatte es da halt ein paar bose Kleriker gegeben, aber sonst ware in der Kirche alles in Ordnung und konnte so bleiben, wie es immer war. Ich halte das fur unertraglich. Unertraglich vor allem auch fur die Opfer. Wie will dieser Mann ausgerechnet als Chef der Behorde, die ja nicht zuletzt fur das Thema Missbrauch zustandig ist, eigentlich je wieder glaubwurdig sein?
Steht Muller nur fur sich – oder vertritt er die herrschende Meinung im Vatikan?
Ich furchte, dass es in Rom immer noch an der Bereitschaft fehlt, sich dem Problem in seiner ganzen Tiefe zu stellen. Dafur ist Mullers Haltung durchaus typisch.
Auch fur den Papst?
Ich kenne die gesellschaftspolitische Diskussion in Lateinamerika zu wenig, um zu beurteilen, von welchen Denkschemata Franziskus gepragt ist, etwa bei seiner Haltung zur Homosexualitat. Aber es gibt einen Punkt in seiner Erfahrungswelt, der mich hoffen lasst: Der Papst wei?, was das Leben in einem System bedeutet, das Macht missbraucht und den Missbrauch zugleich vertuscht. Er hat erlebt, wie so etwas das Leben bis in die intimsten Beziehungen hinein vergiftet. Das ist die Brucke, uber die er gehen und sich dem Thema der sexuellen Gewalt in der katholischen Kirche noch einmal neu stellen kann.
Wo sehen Sie den Vatikan auf einer Wir-haben-verstanden-Skala von eins bis zehn?
Den Vatikan als Institution? Nicht sehr weit oben, bei zwei bis drei vielleicht. Sicher, Papst Benedikt XVI. hat schon mehr verstanden als sein Vorganger. Und eine der besten Veranstaltungen fand 2011 im Vatikan statt, als Bischofe sich hinsetzen, die Geschichten von Opfern anhoren mussten und nicht vor ihnen davonlaufen konnten. So etwas sollte regelma?ig alle paar Monate passieren. Denn die Teilnehmer haben anschlie?end gesagt: „Wir dachten immer, das sei alles antikirchliche Propaganda. Jetzt merken wir, das sind ja wahre Geschichten!“ So eine Erfahrung verandert Menschen mehr als ein Haufen Papier mit vielen Spiegelstrichen.
"Es gibt immer noch Bischofe, die Aufklarung behindern"
Mit Blick auf die katholische Kirche in Deutschland: Wie beurteilen Sie hier die Aufarbeitung des Missbrauchs-Skandals?
Bei der Pravention und zum Teil auch bei der Aufklarung leistet die katholische Kirche in Deutschland unterdessen Hervorragendes. Was auf der mittleren Ebene – bei den Praventionsbeauftragten, Schulleitern, Kindergartnerinnen, in Jugendverbanden – geschieht, ist erste Sahne. Da hat die Kirche in der Praxis die Nase so weit vorn, dass staatliche Stellen sie inzwischen um Beratung bitten, wie sie es mit der Pravention halten sollen. Das Problem ist nur, dass die Glaubwurdigkeit dieses Bemuhens standig von oben erschuttert wird.
Was meinen Sie damit?
Konkret gibt es immer noch Bischofe, die Aufklarung behindern und ihre eigenen Missbrauchsbeauftragten vor die Wand laufen lassen. Auch im Umgang mit den Tatern gibt es viele ungeloste Probleme. Von Opfern hore ich immer wieder, dass ihnen in ihren Gemeinden die Tater von einst bis heute vor der Nase herumtanzen. Das Kernproblem aber ist und bleibt die Unabhangigkeit der Aufklarung und der Aufklarer.
Wegen der offentlichen Akzeptanz?
Viel wichtiger noch, wegen der Akzeptanz durch die Opfer. An der Unabhangigkeit der Aufklarung entscheidet sich, ob die Opfer das Ergebnis akzeptieren konnen. Und das steht fur mich an erster Stelle – noch weit vor der Wirkung auf die Offentlichkeit oder die Medien. Ohne Unabhangigkeit sind alle Anstrengungen letztlich ins Belieben des einzelnen Bischofs gestellt. Auf diesen Punkt beziehen sich die meisten Beschwerden auch von Missbrauchsbeauftragten, die ich mitbekomme. Nicht zuletzt der Arger um die Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer hat gezeigt, dass der Aufklarungseifer in den Bistumern sehr unterschiedlich ausgepragt ist.
Nun hatten die Bischofe Pfeiffer ja gerade als Unabhangigen mit hoher Reputation geholt. Der Schuss ist schwer nach hinten losgegangen.
Ich habe Zweifel, dass Herr Pfeiffer der richtige Mann war. Aber der Impuls bleibt richtig. Und die komplizierten rechtlichen Fragen der Aufklarungsarbeit – Umgang mit Akten, Wahrung von Personlichkeitsrechten und vieles mehr – mussen eben im Vorfeld sauber beantwortet sein.
"Den Opfern erstmal Vertrauen"
Sehen Sie noch weitere offene Flanken?
Bei der Aufklarung sexuellen Missbrauchs muss man sich davon befreien, alles durch die juristische Brille zu sehen. Die Grundentscheidung hei?t: Glauben wir den Opfern, oder glauben wir ihnen nicht? Wenn die Opfergeschichten als erstes den Hartetest der Unschuldsvermutung zugunsten der mutma?lichen Tater durchlaufen mussen, dann kann man die Aufklarung gleich den Gerichten uberlassen.
Wollen Sie die Unschuldsvermutung etwa au?er Kraft setzen?
Das ist mir oft vorgeworfen worden, weil ich den Opfern erst einmal geglaubt habe. „Sie mussen doch auch die andere Seite horen!“, hei?t es dann. Stimmt. Aber eine Haltung des Vertrauens in die Geschichten der Opfer ist die erste Voraussetzung dafur, dass sie sich offnen. Der Raum des Vertrauens liegt sozusagen vor dem Gerichtssaal. Demgegenuber gibt es bei vielen Bischofen, aber auch in der Gesellschaft immer noch die Tendenz, den Opfern nur Glauben zu schenken, wenn ihre Aussagen juristischen Kriterien standhalten und gerichtsfest sind.
Aber wo bleibt dann die Unschuldsvermutung?
Sie setzt dort an, wo es an die Veroffentlichung von Fallberichten oder Aufklarungsergebnissen geht. Da sind Klarheit im Denken und Handeln dann extrem wichtig – und dazu gehort auch die Unschuldsvermutung. Aber man darf den Opfern nicht schon mit dieser Schere im Kopf zuhoren.
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