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"
Man Tut Offiziell So, Als Sei Es Nicht So"
Deutschland Radio February 2, 2014
http://www.deutschlandradiokultur.de/katholische-kirche-man-tut-offiziell-so-als-sei-es-nicht-so.1278.de.html?dram:article_id=276347
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Alois Glück kennt die
"innerkirchlichen Grauzonen" (dpa / pa / Weihrauch)
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[with audio]
Zu vielem, was der Vatikan fordert,
haben Katholiken offenbar eine ganz andere Meinung. Alois Glück,
Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, erklärt
die Widersprüche. Er hofft zukünftig auf einen offeneren Umgang
mit der Wirklichkeit.
Philipp Gessler: Hat der neue Papst
Franziskus eigentlich geahnt, was er da anstellt? Vor ein paar
Monaten hat der Vatikan an alle Bistümer der Welt einen Katalog
von Fragen geschickt. Das Kirchenvolk sollte schildern, was es
etwa von delikaten Dingen wie vorehelichem Sex oder der
Eucharistie für wiederverheiratete Geschiedene hält. Beides
Streitfragen, bei denen der Vatikan eine ziemlich harte Linie
fährt - genauer: Beides ist nach Ansicht Roms nicht möglich.
Gestern nun haben die deutschen Bischöfe eine
Zusammenfassung der Antworten des Kirchenvolks nach Rom
übermitteln müssen, alles gewürzt durch eigene Ansichten zu
diesen umstrittenen Themen, so hört man. Denn das Kirchenvolk, so
ist mittlerweile öffentlich, hat ziemlich deutlich gesagt: Zu
vielem, was der Vatikan fordert, haben wir eine ganz andere
Meinung. Mit Alois Glück, dem Präsidenten des Zentralkomitees der
deutschen Katholiken – er ist so etwas wie der oberste
katholische Laie des Landes – habe ich über die Umfrage des
Vatikan gesprochen. Meine erste Frage an ihn war, was er sich von
dieser nun nach Rom übermittelten Umfrage erwartet.
"Man tut offiziell so, als sei es nicht so"
Alois Glück: Eine auch von der
Kirchenleitung her gesehen menschennähere, situationsnähere
Pastoral. Natürlich kann man jetzt nicht per Umfrage
gewissermaßen Grundfragen kirchlicher Moral oder der Sexualmoral
definieren. Auf der anderen Seite ist aber auch ein
eindrucksvolles Zeugnis, dass sehr, sehr viele Menschen, die sich
jetzt gemeldet hat, die Glauben leben, die Kirchenbindung haben,
gleichzeitig sagen: "Für mein Leben zum Beispiel in unserer Ehe,
in unserer Familie ist nicht maßgeblich und kann nicht maßgeblich
sein, was offizielle Lehrmeinung unserer Kirche ist!"
In der Pastoral haben sich viele darauf eingestellt, auf
der anderen Seite sind das dann immer so innerkirchliche
Grauzonen. Man weiß darum, die überwältigende Mehrheit der
Bischöfe weiß, dass die Realitäten so sind, wie sie jetzt offen
dokumentiert werden, aber gleichzeitig tut man offiziell so, als
sei es nicht so. Und von daher erwarte ich mir durch diese
Umfrage so gesehen schon eine befreiende Wirkung im Hinblick auf
offenen Umgang mit der Wirklichkeit. Und ja, dann auch eine
entsprechende Differenzierung in den kirchlichen Bewertungen. Was
Menschen ja ganz stark oft schmerzt, ist, wenn dann abwertend,
ausgrenzend geredet wird.
Gessler: Das Thema der wieder
verheirateten Geschiedenen ist ja mittlerweile ein ewiges Thema
in der katholischen Kirche und Erzbischof Zollitsch in Freiburg
ist ja auch als Vorsitzender der Bischofskonferenz
vorangeschritten. Glauben Sie denn, dass es in dieser Hinsicht in
Rom auch Bewegung geben wird?
Glück: Ja. Ich denke, es kann nicht
völlig folgenlos bleiben, wenn nun in einer so großen Breite
nicht nur in Deutschland, sondern ja in weiten Teilen der
Weltkirche, ganz Europa aber auch, es scheint, dass in
Lateinamerika die Situationen nicht sehr viel anders sind, eher
unter dem Aspekt, dass doch sehr viel mehr Menschen
zusammenleben, um überhaupt je zu heiraten … Es kann ja nicht
völlig folgenlos bleiben für das kirchliche Leben, wie man dann
mit diesen Situationen umgeht.
Und wenn Papst Franziskus sagt, die Sakramente sind
nicht Belohnung, sondern Stärkung auf dem Weg, dann will ich
jetzt dafür nicht einfach ableiten, und Papst Franziskus meint,
dass so etwas genauso geregelt werden muss, aber es verändert
doch fundamental die Positionen im Zugang zu der Frage, wie gehen
wir dann pastoral damit um.
Es kann nicht darum gehen – und das, denke ich, teilen
alle Einsichtigen –, das kirchliche, katholische Eheverständnis,
Ehe als Sakrament, die Unauflöslichkeit der Ehe aufzuheben, aber
es kann auch durchaus einen anderen Zugang geben zu einer zweiten
Verbindung, wenn Ehe gescheitert ist, die dann verantwortlich
gestaltet wird. Ähnlich wie beispielsweise im Bereich der
orthodoxen Kirchen. Und auf dem Weg hoffe ich doch, dass es in
absehbarer Zeit zu Ergebnissen kommt, sodass dann Menschen in
solch einer Lebenssituation, denen das Leben mit der Kirche
wichtig ist, auch dann ohne jede Einschränkung so mitleben
können.
"Es wird natürlich hier nie eine Automatik geben"
Gessler: Das müssen Sie kurz erläutern:
Wie läuft das denn bei der orthodoxen Kirche?
Glück: Bei der orthodoxen Kirche ist es
so, dass auch eine zweite Beziehung ja kirchlich gesegnet werden
kann, dass sie gewissermaßen kirchlich so weit anerkannt ist,
ohne dass deswegen die erste Ehe aufgehoben wäre. Und damit auch
die Gläubigen voll an diesem kirchlichen Leben teilnehmen können,
also Zugang zu den Sakramenten beispielsweise.
Nun wird es natürlich hier nie eine Automatik geben,
quasi einen Anspruch darauf, weil, es kann ja ganz
unterschiedliche Situationen geben. Um es an einem Beispiel
deutlich zu machen, das mir kürzlich begegnet ist: Eine Frau
trennt sich von ihrem Mann, weil der Mann einen Unfall hatte,
querschnittgelähmt ist und nun sie auf Dauer das nicht mittragen
möchte. Sie wollte aber gleichzeitig eine Aufgabe im kirchlichen
Bereich übernehmen. Ja, es kann die Kirche nicht akzeptieren,
wenn jemand in der Situation aus der Ehe geht.
Aber umgekehrt gilt auch, dass dieser Mann, weil die
Frau ihn verlassen hat, nach heute geltendem Recht, wenn dieser
Mann eine Partnerin findet, die seinen Lebensweg mitträgt,
gleichwohl nie mehr nach gegenwärtiger Regelung etwa zur
Eucharistie und zu den Sakramenten gehen könnte. Und das kann
nicht richtig sein. Aber es kann eben umgekehrt auch nicht
Automatik geben, sondern wir brauchen dafür dann auch Maßstäbe
als Orientierung.
Gessler: Man hatte ja in den letzten
Jahren, eigentlich auch vor der Wahl von Papst Franziskus den
Eindruck, dass die Atmosphäre zwischen Laien und katholischen
Bischöfen ziemlich spannungsreich ist. Hat sich das etwas
entspannt, weil jetzt alle sozusagen bewegt sind durch diesen
Aufbruch?
"Ein Wachstumsprozess, wo noch viel notwendig ist"
Glück: Also, das hat sich nicht erst
mit der Wahl von Papst Franziskus verändert. Es ist da, glaube
ich, in den letzten zwei, drei Jahren in Deutschland viel auch
gewachsen. Sicher im Konkreten oft unterschiedlich in den
einzelnen Vereinen, aber da hat sich etwas verändert. Und da hat
eben das Projekt "Dialogprozesse" sehr stark mitgewirkt. Wiederum
muss man sagen, das alles wäre so nicht denkbar ohne das
Schockerlebnis und die Krise mit der bitteren Erfahrung sexueller
Missbrauch. Aber da hat sich schon viel verändert wieder in einem
mehr an Miteinander. Allerdings, das ist ein Wachstumsprozess, wo
noch viel notwendig ist.
Gessler: Erkennen Sie auch wegen dieses
Schockerlebnisses des Missbrauchsskandals einen bestimmten
Lerneffekt bei den Bischöfen, aber vielleicht auch bei den Laien?
Glück: Ja, zunächst muss man und darf
man schon feststellen, dass die katholische Kirche in Deutschland
– und damit konkret handelnd verantwortlich die Bischöfe – die
ganze Missbrauchsthematik in einer Konsequenz aufgearbeitet haben
wie keine andere gesellschaftliche Gruppe in Deutschland. Und in
weiten Bereichen der Weltkirche ist Vergleichbares auch nicht zu
finden. Dieses Schockerlebnis hat auch dazu geführt, dass man
sich sagte: Wir haben einen so dramatischen Vertrauensverlust,
dass wir überlegen müssen, wie wir Vertrauen zurückgewinnen.
Vertrauen kann man nur zurückgewinnen, wenn man sich
einlässt auf die Sichtweise und die Erfahrung derer, die
Vertrauen verloren haben. Und deswegen kam dann unter anderem der
Dialogprozess des Offenen, des Zuhören. Und diese Haltung auch
des Zuhörens, das hat schon zugenommen. Und von daher hat sich da
schon einiges verändert. Aber eigentlich sind wir am Anfang
notwendiger Entwicklungen, sind bei Weitem nicht dort, wo wir hin
müssen. Die Kirche wird weithin immer noch wahrgenommen als eine
Institution der Verbote, der Reglementierung, der Einengung des
Lebens. Und damit wird das Befreiende der christlichen Botschaft
auch gar nicht mehr erkannt.
Das ist auch die Tragik in besonderer Weise in all
diesen Fragen der Familienpastoral, in diesen Fragen der
Geburtenplanung et cetera, dass das gut orientierende Kirchliche,
Orientierung und Gebote etwa im Sinne des verantwortlichen
Umgangs mit Sexualität, der Bedeutung von Treue und Verantwortung
in menschlichen Beziehungen, dass da vieles sehr hilfreich ist.
Das wird gar nicht mehr wahrgenommen, weil das Gebäude der
Reglementierung, der kleinlichen Nachfragen, der kleinlichen
Bewertungen praktisch das Kirchenbild und die Kirchenhaltungen
prägt. Und genau davon müssen wir weg.
Über den Verdacht, die Kirche wolle nicht aufklären
Gessler: Ist es nicht ein Problem, dass
die Studie über den sexuellen Missbrauch, die Hintergründe
darüber, die mit Professor Pfeifer in Niedersachsen begonnen
wurde, dass die abgebrochen wurde und man immer noch nicht ein
neues Forschungsinstitut hat, dass da wieder der Verdacht
entsteht, die Kirche will gar nicht aufklären?
Glück: Also, die Kirche hat so viel
getan, dass der Verdacht, sie will nicht aufklären, einfach auch
nicht wirklich begründet ist. Die Kirche hat sehr viel getan im
Sinne von Opferschutz, die Kirche hat sehr, sehr viel getan in
der Konsequenz, was die Täter betrifft. Sicher haben wir alle,
aber nicht nur die Kirche, immer noch Nachholbedarf etwa in der
Frage der Opferperspektive, wie Opfer es empfinden, da ist aber
viel dazugelernt worden und die Kirche hat sehr viel getan im
Bereich der Prävention.
Richtig ist, dass es schon noch – es ist aber jetzt in
Angriff genommen – über die Maßnahmen und die Aufarbeitungen, die
in den einzelnen Diözesen erfolgt sind, hinaus zu erforschen ist:
Gibt es denn bestimmte strukturelle Bedingungen, die solche
Entwicklungen fördern oder eher bremsen? Eine Untersuchung, wie
sie dann beispielsweise in einem Benediktinerkloster realisiert
wurde. Und das, glaube ich, ist schon sehr wichtig im Hinblick
auf Präventionsstrategien, weitere Präventionsstrategien im
Hinblick auf die Bewertung, inwieweit bestimmte strukturelle
Gegebenheiten solche Entwicklungen begünstigen oder besser
blockieren.
Also, wir sind nicht am Ende der Erkenntnisse, aber ich
könnte … Ich muss widersprechen, wenn da oder dort behauptet
würde, die katholische Kirche will gar nicht aufklären. Da wäre
zunächst einmal meine Gegenfrage, wo ist denn eine
gesellschaftliche Gruppe in Deutschland oder anderswo, die mehr
getan hat?
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren
eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich
Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und
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