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«der Staat Muss Die Kirche Zum Handeln Zwingen»

Kipa
January 17, 2014

http://www.kipa-apic.ch/index.php?pw=&na=0,0,0,0,d&ki=250765

Zurich, 16.1.14 (Kipa) Damit die Opfer sexuellen Missbrauchs durch Kirchenleute endlich zu ihrem Recht kommen, muss der Staat die Kirche zum Handeln zwingen. Dies betont im Kipa-Interview Jacques Nuoffer, Psychologe und Prasident des Westschweizer Vereins Sapec, der Missbrauchsopfer unterstutzt. – Nuoffer, in jungen Jahren selber Missbrauchsopfer, ist von der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) im Dezember zum Mitglied des SBK-Fachgremiums «Sexuelle Ubergriffe in der Pastoral» ernannt worden.

Frage: Seit zwei Jahren warte man vergeblich auf uberarbeitete Richtlinien der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) zur Frage sexuellen Missbrauchs, und die Frage der Entschadigungszahlungen sei immer noch unbeantwortet. Das sagt der Verein «Soutien aux personnes abusees dans une relation d'autorite religieuse» (Sapec) in seiner jungsten Stellungnahme. Davon abgesehen: Was erwarten Sie von den Bischofen ganz konkret?

Jacques Nuoffer: Bei einzelnen Mitgliedern der SBK scheint zwar ein wirkliches Bewusstsein fur das Erlebte der Missbrauchsopfer vorhanden zu sein. Auch fur die Notwendigkeit, das Geschehene zu anerkennen und wirkliche Wiedergutmachung zu leisten. Doch alles geht ausgesprochen schleppend voran, und zwar sowohl bei der SBK wie auch im Vatikan.

Frage: Wo gibt es konkreten Handlungsbedarf?

Nuoffer: Es ist einfach unannehmbar, dass jedes Mitglied der SBK und jeder Ordensobere sich gegenuber den Opfern eines ahnlichen Missbrauchs auf vollig zufallige und willkurliche Weise verhalt. Wahrend der eine die Missbrauchsopfer empfangt, sie informiert und ihnen eine Entschadigungszahlung gewahrt, weist ein anderer jede Verantwortung von sich.

Frage: Das betrifft die Schweizer Bischofe. Was werfen Sie dem Vatikan vor?

Nuoffer: Die Haltung des Vatikans in einem von uns dokumentierten Fall zeigt, dass ein Priester auch heute noch mit diesen perversen Praktiken fortfahren kann – zwar nicht in der Westschweiz, aber doch im benachbarten Frankreich.

Frage: Sie verlangen, dass Missbrauchsopfer von den Bischofen einheitlich behandelt werden.

Nuoffer: Die SBK muss anerkennen, dass sie die Missbrauchsopfer nicht weiterhin unterschiedlich behandeln kann. Sie muss sich aktiv und konkret in die Suche nach einem Strukturmodell einbringen, das die Frage im Hinblick auf eine Losung vorantreibt. Das kann durchaus sprachregional geschehen. Dabei konnte sich die Bischofskonferenz am belgischen Modell orientieren.

Frage: In Belgien haben Staat und katholische Kirche 2012 fur Missbrauchsfalle gemeinsam ein nationales Schlichtungszentrum eingerichtet, welches sich ausdrucklich als neutral und von den kirchlichen Behorden unabhangig definiert. Was hat das Ihres Erachtens gebracht?

Nuoffer. In unserem 2013 veroffentlichten Memorandum uber die Frage, wie es in der Schweiz und weltweit um den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche bestellt ist, haben wir etwas ganz deutlich aufzeigen konnen. Namlich: Fortschritte bei der Anerkennung und Entschadigung von Missbrauchsopfern durch die Kirche wurden nur in jenen Landern gemacht, wo die Kirchenbehorden von der Justiz oder vom Staat zu einer Reaktion gezwungen worden waren.

Frage: Wie wollen Sie diese Erfahrungen fur die Schweiz nutzbar machen?

Nuoffer: Wir sind bei einzelnen Bundesparlamentariern vorstellig geworden. Auf diesem Wege mochten wir beim Staat das Bewusstsein dafur wecken, dass es nicht angehen kann, die Bischofe und die Ordensoberen einfach das machen zu lassen, was sie gerade wollen. Und das gerade jetzt, wo der Staat selber sich der Schaden bewusst wird, die etwa bei Pflegekindern durch solche Praktiken in jungster Vergangenheit entstanden sind.

Frage: Was verlangen Sie vom Staat?

Nuoffer: Auf (sprach-)regionaler oder nationaler Ebene soll er ein Organ ins Leben rufen, dem Vertreter des Staates, der Bischofe und der Ordensoberen angehoren. Dieses Gremium hat dann den Auftrag, eine Struktur zu schaffen, die Missbrauchsopfer empfangt, informiert, ihr erlittenes Unrecht anerkennt und ihnen Entschadigungszahlen zuspricht.

Separat 1:

Stochern im Nebel

Wie hoch ist die Anzahl der Opfer sexuellen Missbrauchs durch Kirchenvertreter in der Schweiz, die heute noch auf eine Regelung ihres Falles hoffen? Es gebe leider keinerlei Gesamtuberblick, sagt Jacques Nuoffer. Wiederholtes Nachfragen bei der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) habe nicht mehr als die Summe jener Falle ergeben, die von den Bistumern selber angegeben worden seien. Auch existiere keinerlei gruppierte Information daruber, wie die einzelnen Missbrauchsopfer empfangen und allenfalls entschadigt worden seien.

Nuoffer schatzt, dass zahlreiche Missbrauchsopfer es unter den jetzigen Umstanden vorzogen, nicht mehr uber das Erlittene zu sprechen – jedenfalls im Rahmen der Kirche. Anders ware es wohl, wenn eine staatliche Stelle dafur zustandig ware, meint er: «Muss sich das Opfer nicht mehr an die Kirche wenden – also an jene Institution, die den Tater in der Regel unterstutzt hat -, sondern an eine staatliche und neutrale Stelle, dann wurden sich vermutlich viel mehr Opfer zu Wort melden.»

Nuoffer verweist auf das Beispiel Belgien. Das von Staat und katholischer Kirche gemeinsam eingerichtete nationale Schlichtungszentrum hat 2012 in sechs Monaten 621 Anfragen von Opfern erhalten. Bis zum 30. September 2013 wurden 226 Missbrauchsfalle auf dem Schlichtungsweg behandelt. Die Kirche hat dafur umgerechnet 1,42 Millionen Franken an Opfer-Entschadigungen bezahlt.

Separat 2:

Vatikan muss sich Uno-Fragen stellen

Der Vatikan muss sich am Donnerstag (16. Januar) einer Befragung des Uno-Kinderrechtskomitees (UNCRC) in Genf zum Schutz von Minderjahrigen stellen. Dabei soll es unter anderem um Kinderpornografie, Massnahmen gegen sexuellen Missbrauch und Diskriminierung von Madchen gehen. Eine Bekanntgabe der Ergebnisse ist fur den 5. Februar zu erwarten.

Der Heilige Stuhl wird durch Bischof Charles Scicluna aus Malta vertreten. Er war zehn Jahre lang Strafverfolger an der romischen Glaubenskongregation und fur die Aufklarung von Missbrauchsvorwurfen gegen Kleriker zustandig. Unter anderem ermittelte er gegen den Grunder der «Legionare Christi», Marcial Maciel Degollado (1920-2008), der eigene Seminaristen missbraucht und mit zwei Frauen drei Kinder gezeugt hatte.

Bei der Anhorung durch das UNCRC handelt es sich um eine turnusmassige Prufung, zu der sich alle 193 Unterzeichnerstaaten der Uno-Kinderrechtskonvention verpflichtet haben. Der Heilige Stuhl unterzieht sich zum ersten Mal dem Verfahren. Bei der Sitzung des Komitees vom 13. bis 31. Januar wird auch die Lage fur Kinder in der Republik Kongo, dem Jemen, Portugal, Russland und Deutschland erortert. (kipa/arch/job/…)

 

 

 

 

 




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