| «der Italiener Per Se Ist Kein Hochrisikokunde�
The Neue Zurcher Zeitung
November 15, 2013
http://www.nzz.ch/aktuell/wirtschaft/wirtschaftsnachrichten/der-italiener-per-se-ist-kein-hochrisikokunde-1.18186259
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Rene Brulhart: «Die Vatikanbank verlangt heute von Kunden deutlich mehr als den Namen oder eine Passkopie.»
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Der Papst hat der Vatikanbank eine Weissgeldstrategie verordnet. Durchsetzen soll sie ein Schweizer, der den Finanzplatz Liechtenstein reformierte. Rene Bruhlhart nimmt im Interview Stellung zum neuen Risikoprofil fur Kunden der Vatikanbank, dem Fall Scarano und zur Aufarbeitung der Altlasten
Interview: Zoe Baches, Simon Gemperli
Herr Brulhart, der Vatikan-Pralat Nunzio Scarano ist im Sommer unter Geldwascherei-Verdacht verhaftet worden. Die Chefs der Vatikanbank traten zuruck. Ist das eine Zasur in der Geschichte dieser Bank?
Es sind sicher Fakten, die zeigen, dass die eingeleiteten Massnahmen zu greifen beginnen. Gestutzt auf Verdachtsmeldungen wurden zum ersten Mal in der Geschichte des Vatikans Vermogenssperren vorgenommen. Ebenfalls zum ersten Mal wurde aktiv ein Rechtshilfegesuch an Italien gestellt.
Ist der Fall Scarano die Spitze des Eisbergs?
Ich kann nicht ausschliessen, dass es der letzte Fall dieser Art war. Wir analysieren zurzeit weitere Falle. Entscheidend ist, dass wir heute die entsprechenden Instrumente fur diese Aufarbeitung in der Hand haben. Zudem sind wir auch praventiv tatig.
Werden Sie von der ganzen Kurie unterstutzt?
Ja. Generell spure ich im Vatikan viel politische Unterstutzung.
In welchem Verhaltnis stehen Sie in Ihrer heutigen Funktion zum Papst?
Zuoberst in der Hierarchie ist der Heilige Stuhl mit dem Papst. Die Nummer zwei des Vatikans ist der Staatssekretar. Als ich im September 2012 begann, wurde ich als Berater des Heiligen Stuhls eingestellt und dem Staatssekretariat unterstellt. Ab November 2012 wurde mir zudem die operative Leitung der Geldwascherei-Meldestelle, die zur unabhangigen Aufsichtsbehorde ausgebaut wurde, ubertragen. Diesbezuglich verantworte ich mich gegenuber dem Board sowie dem Prasidenten der Finanzaufsichtsbehorde, Kardinal Attillio Nicora.
Kardinal Nicora wurde als Prasident der Aufsichtsbehorde wie Sie vom Papst berufen. Haben Sie, verglichen mit Aufsichtsbehorden anderer Lander, die notige Unabhangigkeit?
Das kann ich klar bejahen. Naturlich sind der Vatikan und der Heilige Stuhl nicht direkt mit anderen Landern vergleichbar. Aber ich kann im Vatikan ohne politische Einschrankungen, mit einer klaren Vision und einer klaren Mission arbeiten.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen der Finanzaufsicht und den vatikanischen Strafverfolgungsbehorden?
Vom Aufbau her gleich wie in der Schweiz oder in Liechtenstein. Meine Behorde hat zudem eine Doppelfunktion. Sie ist als Geldwaschemeldestelle die zustandige Behorde fur die Entgegennahme und Auswertung von Verdachtsmeldungen. Zudem wurde sie zur unabhangigen Aufsichtsbehorde ausgebaut. Agiert sie als Geldwaschemeldestelle, werden die erhaltenen Verdachtsmeldungen ausgewertet. Erharten sich die Verdachtsmomente, leiten wir sie an den Promotor of Justice weiter, die Staatsanwaltschaft des Vatikans. Dieser ist dann zustandig fur die Einleitung eines Strafverfahrens. Im August dieses Jahres wurde zudem ein neues Gremium geschaffen, das die Missbrauchsbekampfung im Finanzbereich des Vatikans koordiniert. Ihr gehoren unter anderem das Staatssekretariat, die Staatsanwaltschaft, die Gendarmerie sowie meine Behorde an.
Sind Sie dazu verpflichtet, Verdachtsmomente im Sinne eines Offizialdeliktes an die vatikanische Staatsanwaltschaft zu melden?
Ja, wenn wegen der Analyse von meiner Behorde die Verdachtsmomente erhartet werden konnen.
Was haben Sie in Ihrem ersten Amtsjahr erreicht?
Wir haben in den letzten 12 Monaten einen umfassenden rechtlichen Rahmen geschaffen. Gleichzeitig haben wir auf operativer Ebene gezeigt, dass das System funktionieren kann.
Der Europarat untersuchte das Regelwerk Ihrer Aufsicht und kritisierte mehrere Punkte. Wo stehen Sie heute?
Kritisiert wurde die fehlende internationale Zusammenarbeit. Die Aufsicht hatte noch keine volle Autonomie zur Unterzeichnung von Zusammenarbeits-Vereinbarungen mit anderen Landern. Es fehlte auch eine prudentielle, das heisst umfassende Aufsicht. Das alles haben wir bereinigt. Kritisiert wurde auch der zu geringe Informationsgehalt der Kundenprofile des IOR (Istituto per le Opere di Religione oder Vatikanbank). Hier sind wir in der Aufarbeitung, die weit fortgeschritten ist. Beanstandet wurde zudem, dass bis Anfang 2012, also lange nach der Grundung der Geldwascherei-Meldestelle, nur eine Verdachtsmeldung eingegangen war. Ende 2012 waren es sechs.
Und in diesem Jahr?
Ende 2013 werden es bedeutend mehr sein, was unter anderem mit dem Bereinigungsprozess zu tun hat. Wir werden Ende Jahr mit konkreten Zahlen informieren, konnen aber heute schon sagen, dass das Meldesystem funktioniert.
Parallel dazu arbeiten Sie zudem die gesamte Kundenstruktur der Vatikanbank auf. Wo stehen Sie heute?
Mit der Aufarbeitung haben wir 2012 angefangen. Zuerst fand ein Screening statt, dann erstellten wir eine Lageanalyse. Heute wissen wir, welche Dossiers und Bereiche wir vertieft prufen mussen. Entscheidend ist fur uns als Aufsicht, dass das IOR heute von seinen Kunden deutlich mehr als den Namen oder eine Passkopie verlangt.
Reisen Sie zur Prufung des Sachverhalts in die entsprechenden Lander?
Nein. Das IOR existiert nur einmal, und zwar im Vatikan selber. Es gibt keine Zweigniederlassungen in andern Landern. Fur zusatzliche Informationen wendet sich das IOR an den Kunden beziehungsweise wir uns an die entsprechende auslandische Behorde. Zudem wird das Institut grossenmassig oft uberschatzt. Mit rund 6 bis 7 Milliarden Euro Kundengeldern ist das IOR ein ausserst kleines Finanzinstitut.
Arbeiten Sie auch die Vergangenheit der Vatikanbank auf?
Bei bestimmten Geschaftsbeziehungen spielt die Vergangenheit naturlich eine Rolle. Grundsatzlich fokussieren wir uns aber auf die bestehende Kundschaft.
In den letzten Monaten soll es zu rund 900 Kontoschliessungen vor allem von Privatpersonen gekommen sein, Kundenvermogen von rund 300 Millionen Euro seien betroffen. Ist das richtig?
Nein. Das wurde in den Medien zum Teil falsch dargestellt. Es gibt einen klar definierten Prozess, unter welchen Umstanden und auf welche Weise ein Konto geschlossen werden kann, insbesondere unter Berucksichtigung der rechtlichen Vorgaben, sprich Meldepflicht bei verdachtigen Geschaftsbeziehungen. Wie viele Konten dann tatsachlich geschlossen werden, zeigt sich in den nachsten Wochen und Monaten.
Kam es in den letzten drei Jahren, seit der Papst eine Neuausrichtung der Vatikanbank angeordnet hat, zu Geldabflussen?
Ja. Das Ausmass ist aber uberschaubar. Im Sinne einer Neuorientierung kann nicht ausgeschlossen werden, dass es kurzfristig noch weitere Geldabflusse geben wird. Zurzeit laufen seitens der Leitung des IOR und der zustandigen papstlichen Kommission entsprechende Arbeiten, wie diese Neuorientierung schliesslich aussehen soll.
Die Vatikanbank hat den Ruf einer Bank, die Geld gewaschen hat, auch fur die Mafia. Es gibt sogar Geruchte, sie habe beim bis heute nicht vollig geklarten Tod von Papst Johannes Paul I. 1978 eine Rolle gespielt. Ist diese Darstellung vollig verzerrt?
Ich bin erst seit gut einem Jahr hier und kann nur uber die Gegenwart sprechen. Das Bild, das ich sehe, ist aber ein komplett anderes als das, was in den Zeitungen zu lesen war.
Dennoch arbeitet die Vatikanbank immer noch sehr viel mit Bargeld, was kriminelle Aktivitaten wie die Geldwascherei erleichtert. Wird es hier anderungen geben mussen?
In der Tat gibt es zahlreiche Bargeldtransaktionen. Das ist ein wichtiges Thema, das wir im Jahresbericht bewusst hervorgehoben haben. Das IOR ist keine kommerzielle Bank wie die UBS oder die ZKB. Es hat Kunden in aller Welt, auch in Landern, wo normale Banken nicht tatig sind bzw. gar kein Bankensystem besteht. Dort herrscht zum Teil ein erhohter Bargeldbedarf.
Wofur?
Fur die Gewahrleistung des taglichen Unterhalts beispielsweise von Kirchen, Missionen oder Pfarreien.
Es bleibt das Risiko, dass auf diesem Weg Geld gewaschen wird.
Wo Risiken sind, brauchen sie Gegenmassnahmen. Entscheidend ist, dass wir die Verwundbarkeiten und Risiken des Finanzbereichs des Vatikans und insbesondere des IOR verstehen, um ein massgeschneidertes Aufsichtssystem aufsetzen zu konnen. Konkret muss eine Bargeldtransaktion in einen Kontext gestellt werden, um sie einschatzen und allenfalls uberprufen zu konnen, ob diese sinnvoll und wirtschaftlich plausibel ist.
Wie funktioniert das konkret, beispielsweise in einer kleinen Diozese im kolumbianischen Hochland?
Wenn aus dieser Gemeinde mit, nehmen wir an, zehn Glaubigen jahrelang ein kleiner Betrag aus einer Kollekte uberwiesen wird, der sich dann plotzlich verzehnfacht, werden vertiefte Abklarungen notwendig. Zum Beispiel, wie sieht die Verwendung aus? Handelt es sich um Durchlauftransaktionen? Ist keine entsprechende Verifizierung moglich, stellt sich letzten Endes die Frage der Erstattung einer Verdachtsmeldung.
Muss der Pfarrer dieser Gemeinde in den Vatikan reisen, um Geld einzahlen oder abheben zu konnen?
Ein fiktives Beispiel, aber er kann. Bankuberweisungen sind aber viel ublicher.
Haben die Kunden und ihre Herkunftslander in der Vatikanbank verschiedene Risikoprofile?
Ja. Im Vatikan, und somit auch beim IOR, wird neu auf einen umfassenden risikobasierten Ansatz abgestutzt. Es wird nach der geografischen Lage, nach Art der Kunden, der verwendeten Produkte und anderen Faktoren unterschieden.
Wo steht Italien in dieser Risikoabstufung?
Ein Italiener per se ist kein Hochrisikokunde. Hier wie uberall wird aber gepruft, ob es sich beispielsweise um eine politisch exponierte Person handelt oder ob andere Hinweise vorliegen, die entsprechende Risikoelemente enthalten.
Haben Sie seit Amtsantritt Hinweise auf Geldwascherei in der Vatikanbank gefunden?
Wir machen unsere Arbeit.
Die schwierige Geschichte der Vatikanbank und die neue Aufsicht
Z. B. ⋅ Die Ursprunge der heutigen Vatikanbank (IOR, Istituto per le Opere di Religione) reichen zuruck ins Jahr 1887. Papst Leo XIII. ordnet die Bildung einer Kommission fur fromme Zwecke an. Das Institut, das direkt dem Papst unterstellt ist, ist in den kommenden Jahren eine Art Sammel- und Verwaltungsstelle fur das papstliche Restvermogen, seine jahrliche Apanage und die Ausgleichszahlungen, welche die junge italienische Monarchie dem Heiligen Stuhl fur den Verlust des Staatsterritoriums des Kirchenstaates gewahrt hatte. Unter Papst Pius XII. wird es 1942 eine Bank.
In den kommenden 60 Jahren wird die Vatikanbank immer wieder fur dunkle Finanzgeschafte missbraucht. Das Institut ist keine klassische Bank, sondern ein Geldinstitut, das weltweit religiose Werke unterstutzen soll und in dem sehr oft mit Bargeld operiert wird. Immer wieder gibt es Hinweise auf Infiltrationen durch italienische Verbrecherorganisationen wie die Mafia. Einen spektakularen Hohepunkt erreichen die Skandale Anfang der achtziger Jahre mit dem Zusammenbruch des Banco Ambrosino, an dem die Vatikanbank, die fur die Mafia Geld gewaschen hatte, beteiligt war. Selbst der uberraschende und bis heute ungeklarte Tod von Papst Johannes Paul I. im Jahr 1978 nach nur 33 Tagen im Amt, soll damit zusammenhangen. So wird spekuliert, er sei vergiftet worden, da er korrupte Machenschaften der Vatikanbank aufdecken wollte.
Auch die kommenden zwanzig Jahre wird die Vatikanbank immer wieder von Skandalen durchgeschuttelt, seit dem Jahr 2010 wird nun aber hart durchgegriffen. Papst Benedikt XVI erlasst ein papstliches Dekret zur Vorbeugung und Abwehr illegaler Aktivitaten. 2012 attestiert der Anti-Geldwascherei-Ausschuss Moneyval des Europarates dem Vatikan Fortschritte, einige Punkte werden noch als unzureichend kritisiert. Rene Brulhart, der die neugegrundete Aufsichtsstelle seit 12 Monaten leitet, erklart diese heute als fast bereinigt. Brulhart, der auch Berater des Heiligen Stuhls ist, arbeitete vorher fur die Financial Intelligence Unity (FIU) in Liechtenstein und war zudem Vizeprasident der Egmont-Gruppe, in der sich weltweit Meldestellen fur Verdachtsfalle von Korruption, Geldwasche und Terrorismusfinanzierung zusammenschliessen.
Die Karriere des Schweizers ist steil. Im Dezember 2012 erhielt er volle Autonomie zur Unterzeichnung von Zusammenarbeits-Vereinbarungen mit anderen Landern, bisher hatte das machtige vatikanische Staatssekretariat hier ein Vetorecht. Der Fall Scarano zeigt, dass die Massnahmen greifen. Im August 2013 wurde per papstlichen Erlass eine massiv verstarkte Aufsicht eingefuhrt, im Oktober trat ein neues Geldwaschegesetz in Kraft. Die Aufsichtsbehorde ist neu Mitglied in der Egmont-Gruppe.
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