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Auf Der Flucht Im R 4

By Frank Lubberding
The Frankfurter Allgemeine
October 21, 2013

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/faz-net-fruehkritik/fruehkritik-guenther-jauch-auf-der-flucht-im-r-4-12626623.html

Das neue Papamobil ist ein R4: Anfang Dezember bekam Franziskus den Gebrauchtwagen von Don Renzo Zocca, Pastor in Verona

Der Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst: Sein Fall dokumentiert die Identitatskrise der Katholischen Kirche

21.10.2013 ·  Die Kirche hat ein Problem mit der Sakularisierung. Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass dies an diesem Montag im Vatikan zum Thema wird, wenn Papst Franziskus den Limburger Bischof empfangt. Tebartz-van Elst ist zur Parodie des alten Katholizismus geworden.

Wie muss man es sich eigentlich vorstellen, wenn Papst Franziskus Auto fahrt? Bekam sein Fahrer eine Sonderausbildung zum Umgang mit der beruchtigten Revolverschaltung seines Renault 4? Sitzt der Papst auf der Ruckbank? Vor und hinter ihm das polizeiliche Begleitkommando in den wegen Eigensicherung vorgeschriebenen gepanzerten Sonderfahrzeugen? Deren Fahrer Hollenqualen leiden, weil sie angesichts der 27 PS des Renault furchten mussen, das mittendrin schleichende Papamobil bei jeder Bremsung uber den Haufen zu fahren?

Die Bremsanlage des R 4 ist namlich ein im Vergleich zum heutigen Stand der Technik, wenn auch gefahrlicher, Witz. Und was sagt eigentlich das Fuhrpark-Management des Vatikan uber den papstlichen Spleen? Bekanntlich ist nichts teurer als ein Oldtimer mit seiner antiquierten, storungsanfalligen und damit teuren Technik. Ein modernes Auto der Mittelklasse ware billiger, sicherer und komfortabler. Wenn man dem Vatikan-Korrespondenten Andreas Englisch gestern Abend bei Gunther Jauch glauben konnte, fahrt der Papst seinen alten R 4 allerdings als Ausdruck der Solidaritat mit den Armen in der Welt.

Die deutsche Kirche ist reich

Jauch beschaftigte sich wie schon vergangenen Sonntag mit der vom Limburger Bischof Tebartz-van Elst ausgelosten Identitatskrise der Katholischen Kirche. Gestern ging es allerdings um deren Vermogensverhaltnisse: „Heilige Millionen – wozu braucht die Kirche so viel Geld?“, so der Titel der Sendung. Es kam vieles von dem zur Sprache, was seit Wochen die offentliche Debatte bestimmt. Die Dotationen des Staates an die Kirche als Folge des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 oder die intransparenten Vermogenshaushalte der Bistumer. Die Funktion kirchlicher Wohlfahrtsorganisationen, wie der Caritas (oder der Diakonie) im deutschen Sozialstaat.

Mit einem Satz. Die deutsche Kirche ist eine der reichsten Kirchen der Welt. Das gilt allerdings auch fur die deutschen Fussballvereine, die deutschen Arbeitgeberverbande oder Gewerkschaften. Sogar die Verlage, die den „Spiegel“ von Gisela Friedrichsen oder die „Suddeutsche Zeitung“ von Heribert Prantl herausbringen, beide waren gestern zu Gast, sind trotz der Medienkrise reicher als die meisten Kollegen in anderen Teilen dieses Planeten. Und um Gunther Jauch zu beruhigen: Die ARD gilt weltweit als eine der reichsten offentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Das ist alles recht einfach zu erklaren: Sie alle leben in einem der reichsten Lander der Welt. Die Erwartung, dort die armsten Bischofe oder Journalisten anzutreffen, ware etwas viel verlangt.

Effizientes Abendmahl mit der doppelten Buchfuhrung

Wie das kuriose Beispiel um den R 4 des Papstes dokumentiert, ist die Debatte um die Bauten des Bischofs Tebartz-van Elst mittlerweile vollig aus dem Ruder gelaufen. Aus der Frage, ob ein in seiner Diozese isolierter Bischof nicht besser zurucktreten sollte, ist eine Diskussion uber „kirchlichen Reichtum“ geworden, die zumeist nur fehlende okonomische Kenntnisse demonstriert.

So bemuhte sich gestern Abend immerhin Norbert Feldhoff, Dompropst des Erzbistums Koln und Aufsichtsratsvorsitzender der Pax Bank, um Aufklarung. Er verwies auf die kameralistische Tradition der Kirche, die, wie in der deutschen Verwaltungstradition ublich, bisher nur eine Einnahmeuberschussrechnung kannte. Das erschwere die Bewertung kirchlicher Vermogen, ubrigens ahnlich wie bei anderen offentlichen Korperschaften, so Feldhoff.

Die Kommunen bemuhen sich tatsachlich seit mehr als zwei Jahrzehnten, ihre Haushalte auf moderne Buchfuhrungsmethoden umzustellen. Dahinter steckte allerdings die Idee, die Kostenstruktur des Verwaltungshandelns zu erfahren („Was kostet die Ausstellung eines Fuhrerscheins?“). Was will die Kirche mit dieser Umstellung jetzt erreichen?

Will sie erfahren, was die Abendmahlfeier kostet, um deren okonomische Effizienz zu steigern? Das Limburger Bauprojekt blieb ubrigens weitgehend im Kostenplan, wie wir mittlerweile wissen. Er wurde nur verschwiegen – und dann hilft auch keine doppelte Buchfuhrung. Dagegen hat sich die Bewertung der kommunalen Vermogen, wie ihrer Liegenschaften, bis heute als ein fast unlosbares Problem erwiesen.

„Schafft euch Werte und Schatze im Himmel!“

Damit haben die Kommunen das gleiche Problem, wie die Katholische Kirche. Das liesse sich durchaus losen: Man konnte etwa den Kolner Dom abreissen, das Grundstuck in bester Lage an einen Investor verkaufen und mit den Erlosen den Armen helfen. In Deutschland verhinderte das allerdings der Denkmalschutz. Die Bilanzsumme von Feldhoffs kirchlicher Pax Bank betragt ubrigens 2 Mrd. €.

Die Sparkasse Koln-Bonn bringt es alleine auf 29 Milliarden Euro Ohne den christlichen Bankern zu nahe zu treten: Aber das christliche Gebot der Bescheidenheit scheint damit durchaus erfullt zu sein. Zwar verfugt die Kirche uber reichlichen Immobilienbesitz, wie gestern ebenfalls erwahnt wurde. Nur soll sie ihren Wohnungsbestand wirklich an bekannt christliche „Private Equity“ Gesellschaften verkaufen?

Im Namen der christlichen Barmherzigkeit, die Prantl gestern mit dem Matthaus-Evangelium so zusammenfasste: „Schafft euch Werte und Schatze im Himmel!“ Da pochten die heutigen Mieter gegenuber der Kirche wahrscheinlich doch lieber auf den Verfassungsgrundsatz: „Eigentum verpflichtet!“ Prantl hat davon schon gehort, wie bei Jauch deutlich wurde.

„Populistische Debatte“ mit grotesken Zugen

Der letzte Mohikaner Albert Schmid, Vorsitzender des Landeskomitees der Katholiken in Bayern, nannte diese Debatte um die Kirche „populistisch“. Sie nimmt tatsachlich mittlerweile groteske Zuge an. Es fehlt nur noch die Entdeckung einer christlichen Barfuss-okonomie auf Grundlage der Ideen von Franz von Assisi. Im Dialog mit dem Islam konnte man sich dann vielleicht sogar mit den Mullahs in Teheran im okonomischen Dilettantismus verstandigen.

Der ehemalige SPD-Politiker wirkte zugleich wie der letzte Mohikaner, der Bischof Tebartz-van Elst noch die Treue halt. Schmid bemuhte sich darum, den Angriff auf den Bischof als Ausdruck der innerkirchlichen Schlachtordnung zwischen Reformern und Liberalen zu interpretieren. Prantl verwahrte sich dagegen, hielt das gar fur skandalos.

Es wird Tebartz-van Elst auch nichts nutzen, wenn er im heutigen Gesprach mit dem Papst die Rolle eines Vorkampfers der Gegenreformation einzunehmen versuchte. Die Dynamik in der Debatte um den Bischof von Limburg resultiert aus der Faszination fur einen Papst, der die Kirche zu ihren spirituellen Grundlagen zuruckfuhrt und sie scheinbar von ihrem institutionellen Ballast befreit. Das war vor allem bei Englisch, aber auch bei Prantl zu spuren. Die Ruckkehr zum Gebot der Armut wird zum heroischen Versuch, gegen die Verweltlichung zu rebellieren.

Die Nahe zu den Armen ist der einfachste Weg zu Gott. Nur wird dabei eines vergessen: In sakularisierten Gesellschaften konnen selbst religiose motivierte Institutionen nur nach deren sakularen Regeln funktionieren. Oder sie definierten sich in der Logik eines Gottesstaates. Das kann aber wohl nicht das Ziel von Papst Franziskus sein.

Kultur der Angst

Das andert aber nichts an jenem klaglichen Bild einer Kirche, die sich nur noch mit den sexuellen Bedurfnissen ihrer Mitarbeiter oder der doppelten Buchfuhrung beschaftigt. Die Theologie findet ansonsten in den Schreibstuben zuruckgetretener Papste statt.

Gisela Friedrichsen beschrieb die Identitatskrise der Kirche als den Verlust jener Kultur der Angst, die noch ihre Biografie pragte. Sie war deswegen trotz ihrer katholischen Sozialisation Anfang der siebziger Jahre ausgetreten.

Der Katholizismus macht niemanden mehr Angst, und beeindruckt kaum noch durch seine Prachtentfaltung. Bischof Tebartz-van Elst ist zur Parodie dieses alten Katholizismus geworden. Das ist sein Problem. Eine Alternative dazu hat Papst Franziskus bisher nicht gefunden. Er sollte sich nichts vormachen: Im Renault 4 wird die Kirche vor den Konsequenzen sakularisierter Gesellschaften nicht weglaufen konnen, selbst wenn das auf der Flucht im R 4 sprichwortlich passieren sollte.




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