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Wie Reich Deutschlands Kirchen Wirklich Sind

By Ralph Bollmann
The Frankfurter Allgemeine
October 20, 2013

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/kirchenfinanzen-wie-reich-deutschlands-kirchen-wirklich-sind-12624995.html

Was der Dom in Limburg wohl wert ist?

Staatsgeld fur die Kirchen

Die Kirchen werden leerer, die Einnahmen steigen trotzdem

20.10.2013 ·  Protestanten und Katholiken leben nicht nur von der Kirchensteuer. Der grosste Teil ihres Geldes kommt direkt vom Staat. Der Limburger Fall hat die intransparente Finanzlage der Kirchen ins Licht der offentlichkeit geruckt.

Es erstaunt, was ein Bauprojekt im Volumen von vergleichsweise bescheidenen 31 Millionen Euro auszulosen vermag. Jahrzehntelang haben ein paar versprengte Kritiker von der FDP oder den Grunen eine Reform der deutschen Kirchenfinanzen verlangt, meist wurden sie von den eigenen Parteifuhrungen zuruckgepfiffen oder in der offentlichkeit als fanatische Religionsfeinde abgetan.

Erst die Debatte um das Finanzgebaren des Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst hat dem Publikum jetzt vor Augen gefuhrt, wie undurchsichtig die finanziellen Verhaltnisse der beiden grossen christlichen Kirchen in Deutschland tatsachlich sind. Die vergleichsweise transparente Kirchensteuer macht mit 9,8 Milliarden Euro im Jahr nur einen kleineren Teil der Einkunfte aus.

Ungefahr doppelt so stark profitiert die Kirche aus Topfen, fur die Steuer- und Beitragszahler in ihrer Gesamtheit aufkommen – auch wenn sie einer anderen oder gar keiner Religionsgemeinschaft angehoren. Darunter sind Ausgleichszahlungen fur Enteignungen, die Jahrhunderte zuruckliegen, die offentliche Alimentierung von Religionslehrern wie Theologieprofessoren – und vor allem die Einnahmen der kirchlichen Sozialkonzerne, die ganz uberwiegend aus den Kassen des Staates und seiner Sozialversicherung stammen. Weitreichende Befreiungen etwa von der Korperschaft-, Kapitalertrag- oder Grundsteuer kommen hinzu.

Bundnis zwischen Thron und Altar

Offizielle Gesamtzahlen gibt es nicht. Der Kirchenkritiker Carsten Frerk stellte die einzelnen Posten vor drei Jahren in einem „Violettbuch Kirchenfinanzen“ zusammen. Demnach summieren sich allein die Staatsleistungen auf 19,3 Milliarden Euro im Jahr, kommerzielle Einnahmen nicht mitgerechnet. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) verwahrte sich in einer Stellungnahme gegen die Schlussfolgerungen, raumte aber gequalt ein, dass die Zahlen „vielleicht nicht falsch“ seien.

Wer das deutsche System der Kirchenfinanzierung verstehen will, muss weit in die Geschichte zuruckgehen. Kaum ein anderes Land war so stark vom Konflikt zwischen zwei fast gleich starken Konfessionen gepragt. Religioser Pluralismus wurde nicht gegen eine ubermachtige Einheitskirche erkampft, sondern dadurch hergestellt, dass sich Katholiken und Protestanten gegenseitig in Schach hielten. Dazu dienten die komplizierten Regeln des deutschen Staatskirchenrechts, die mit dem Westfalischen Frieden von 1648 das Zeitalter blutiger Religionskriege beendeten.

Die eigentumliche Art, wie Staat und Kirche hierzulande formal getrennt und faktisch doch verwoben sind, hat viel mit der Kleinstaaterei im Heiligen Romischen Reich Deutscher Nation zu tun. Seit der Reformation war in den protestantischen Territorien der Landesfurst zugleich auch der oberste Kirchenherr, die Preussen sprachen spater vom „Bundnis zwischen Thron und Altar“. Und viele der katholischen Bischofe amtierten nicht nur als geistliche Hirten ihrer Diozese, sie ubten in einem kleineren Territorium auch die weltliche Herrschaft aus.

Bis heute zahlen die Bundeslander als Rechtsnachfolger

Die Kirche verlor diesen Status, als am 25. Februar 1803 im Regensburger Rathaussaal der Immerwahrende Reichstag zu seiner letzten Sitzung zusammenkam. Drei Jahre vor dem Untergang des Heiligen Romischen Reichs war das linksrheinische Deutschland von Napoleon erobert, die betroffenen Herrscher sollten fur den Gebietsverlust entschadigt werden. Die anwesenden Gesandten beschlossen, zu diesem Zweck die geistlichen Furstentumer aufzulosen. Als „Reichsdeputationshauptschluss“ ging das Gesetz in die Geschichte ein.

In der Folgezeit rangen die Geistlichen mit den neuen Territorialstaaten um eine angemessene Entschadigung. uber die Abschaffung der Furstbistumer hinaus losten die Staaten auch Kloster auf und enteigneten kirchliche Grundstucke, aus deren Ertragen die Geistlichen zuvor ihren Lebensunterhalt bestritten. Im Gegenzug verpflichtete sich nun der Staat, etwa die Gehalter von Bischofen oder Angehorigen des Domkapitels zu ubernehmen. Bis heute zahlen die Bundeslander als Rechtsnachfolger dafur insgesamt 459 Millionen Euro im Jahr. Die Kirchen sagen, sie seien bereit, darauf zu verzichten, verlangen dafur aber satte Einmalzahlungen. Vom 18- bis 25-Fachen der Jahressumme ist die Rede. Darauf hat sich noch kein deutscher Politiker eingelassen.

Erst noch grundlich rechnen

Allerdings gingen der katholischen Kirche im 19. Jahrhundert langst nicht alle Vermogenswerte verloren. Der verbliebene Besitz bildet den Grundstock jener eigentumlichen Institution namens „Bischoflicher Stuhl“, die jetzt in Limburg erstmals das Interesse der offentlichkeit auf sich zog. Stiftungen und Vermachtnisse kamen uber die Zeit hinzu; ein betrachtlicher Reichtum hat sich uber die Jahre zusammengelappert. Weil hier keine Staatsgelder im Spiel sind, sahen sich die meisten Bistumer bisher zu keinerlei Rechenschaft verpflichtet – nicht einmal gegenuber den eigenen Mitgliedern.

Auch jetzt noch ist die Auskunftsfreude der Bistumer unterschiedlich ausgepragt. Die Erzdiozese Berlin gab bereitwillig bekannt, dass sie uber keinerlei Besitztumer verfugt. Koln als mutmasslich reichste Diozese bezifferte die Vermogenswerte des Erzbischoflichen Stuhls auf 166,2 Millionen Euro. Manche Bischofe wollten auf Medienanfragen nur den laufenden Jahresumsatz nennen oder das reine Geldvermogen ohne Immobilien. Andere teilten mit, sie mussten erst noch grundlich rechnen. Paderborn und Passau wissen schon jetzt, dass sie sich uberhaupt nicht aussern wollen. Die Sache ist also ziemlich unubersichtlich; das soll sie wohl aus Sicht der Bischofe auch sein.

Niedrigere Kirchensteuern fur Reiche

Nicht fur alle Ausfalle, die den Kirchen im 19. Jahrhundert durch den Verlust alter Pfrunden entstanden, wollten die deutschen Einzelstaaten aufkommen. So entstand die Kirchensteuer als eigene Einnahmequelle der Kirche, zuerst 1827 in Lippe, zuletzt Anfang des 20. Jahrhunderts in ganz Preussen. Alle Glaubigen waren fortan gezwungen, diese Steuer zu entrichten, wollten sie ihrer Kirche angehoren. Das Anwachsen der Stadte verursachte zusatzlichen Finanzbedarf, denn die entstehenden Metropolen benotigten neue Kirchen und zusatzliche Geistliche. Die Weimarer Verfassung schuf fur die neue Abgabe 1919 einen gesamtstaatlichen Rahmen, den die Autoren des Grundgesetzes 1949 nach langem Streit wortgleich ubernahmen. Daran anderte auch die Wiedervereinigung nichts.

Lander wie Frankreich oder die Vereinigten Staaten, in denen die strikte organisatorische Trennung zwischen dem Staat und den einzelnen Religionsgemeinschaften eine lange Tradition hat, kennen einen solchen automatisierten Einzug kirchlicher Mitgliedsbeitrage durch staatliche Behorden uberhaupt nicht. Die Geistlichen sind dort auf Spenden oder auf Entgelte fur ihre Dienstleistungen angewiesen. Die hohe Anzahl formlicher Kirchenaustritte in Deutschland ist vor allem auf diese Abgabe zuruckzufuhren, die je nach Bundesland zwischen 8 und 9 Prozent der Einkommensteuer betragt, von der sie wiederum steuermindernd abgesetzt werden kann. Der Hochstbetrag ist meist auf drei Prozent des Einkommens gedeckelt. Damit wollen Kirchenvertreter, die sonst gern nach hoheren Steuern fur Reiche rufen, die Betuchteren vom Austritt abhalten.

Auch fur die kirchliche Entwicklungshilfe zahlt die Allgemeinheit

Mit der Kirchensteuer finanzieren Katholiken und Protestanten vor allem das geistliche Kerngeschaft, also die Bezahlung der Pfarrer oder die Arbeit in den Gemeinden. Anders als viele Kirchensteuerzahler glauben, fliesst von dem Geld nur ein sehr kleiner Teil in den Sozialbereich. Fur Kitas und Schulen, Krankenhauser und Pflegeheime mussen die Kirchen gar nicht viel ausgeben: Hier tragt die Allgemeinheit die meisten Kosten.

Die Sozialwerke der grossen Kirchen, evangelische Diakonie und katholische Caritas, sind mit zusammen rund einer Million Beschaftigen die grossten Sozialkonzerne in Deutschland. So zahlt beispielsweise die evangelische Agaplesion-Gruppe aus Hessen mit 550 Millionen Euro Jahresumsatz zu den grossten Klinikbetreibern in Deutschland. Wie alle anderen Betreiber von Krankenhausern oder Pflegeheimen mussen sich die kirchlichen Einrichtungen wirtschaftlich tragen. Sie leben von den uberweisungen der Kranken- und Pflegekassen, von den Beitragen der Heimbewohner und Sozialamter, von den offentlichen Zuschussen fur Kitas oder Sozialeinrichtungen. Schatzungen zufolge bestreiten die Kirchen allenfalls funf Prozent ihres wohltatigen Engagements aus eigenen Mitteln. Selbst die kirchliche Entwicklungshilfe bezahlt zu zwei Dritteln das zustandige Bundesministerium aus einem speziellen „Kirchentitel“.

Neue Arbeitsbereiche fur Ex-Theologen

In der Konkurrenz auf den hart umkampften Sozialmarkten haben die Kirchen „noch immer eine ausserst privilegierte Stellung“, wie der Munchener Theologe Friedrich Wilhelm Graf schreibt – dank massiver staatlicher Vorzugsbehandlung: „Vielen diakonischen Sozialunternehmen fehlt es oft an dringend gebotener Transparenz“, kritisiert der Wissenschaftler, der sogar von „systemisch bedingter Ausbeutung des Steuerzahlers“ spricht. Auch der Umstand, dass kirchlich Beschaftigten kein Streikrecht zusteht, hilft im Wettbewerb.

ahnlich funktioniert das System im Erziehungssektor. Wenn der Staat eine Kita-Garantie gibt, starkt das zugleich die Marktmacht kirchlicher Unternehmen. Von den laufenden Betriebskosten mussen sie nur einen geringen Teil selbst aufbringen. Auch an den Investitionskosten beteiligt sich der Staat. Bereits 2009, also noch vor dem jungsten Ausbauschub, uberwiesen offentliche Stellen knapp 4 Milliarden Euro an kirchliche Kita-Trager. Vergleichbare Regeln bestehen fur die konfessionellen Schulen, hier sind die Bundeslander mit 2,3 Milliarden Euro im Spiel (siehe Grafik).

Sogar fur Theologieprofessoren und Religionslehrer kommt der Staat auf, obwohl die Kirche die Lehrinhalte in eigener Regie festlegt. Verstosst ein Professor gegen diese Vorgaben oder heiratet er, obwohl er Priester ist, darf er nicht mehr lehren. Die staatliche Hochschule muss ihn gleichwohl weiterbezahlen und ausstatten. So sah sich die Universitat Tubingen jahrelang gezwungen, vier verschiedenen Ex-Theologen neue Arbeitsbereiche fur „Religionspadagogik“, „Textwissenschaft“ oder „okumenische Forschung“ zu finanzieren.

Die Bischofe haben Grunde fur ihren Unmut

Ein Unikum ist inzwischen der bekenntnisgebundene Religionsunterricht durch staatlich alimentierte Lehrer an offentlichen Schulen, der die Steuerzahler (auch die Atheisten unter ihnen) jahrlich 1,7 Milliarden Euro kostet. Andernorts wurde er, sofern es ihn je gab, vielfach durch ein religionskundliches Fach in staatlicher Regie ersetzt. Wie ungewohnlich das deutsche Modell ist, das liess sich schon 1991 in einer Broschure der Deutschen Bischofskonferenz zur internationalen Praxis nachlesen. „Heute erweist sich die Fahigkeit des Staatskirchenrechts als unzureichend, die unaufhaltsame Pluralisierung religioser Kulturen zu verarbeiten“, urteilt der Philosoph Hermann Lubbe.

In der deutschen Politik galten solche Positionen lange als exzentrisch, vor allem die beiden Volksparteien wollten sich mit den Kirchen nie anlegen. Selbst die FDP erinnerte nur halblaut an ihre Forderung nach einer strikteren Trennung von „freien Kirchen in einem freien Staat“, und die bayerischen Grunen standen im Landtagswahlkampf 2008 mit dem Wunsch nach einer Ablosung der Staatsleistungen allein da. Die Vorgange auf dem Limburger Domberg haben die Aufmerksamkeit wieder auf die Geldstrome gelenkt. Die Bischofe haben Grunde fur ihren Unmut uber Franz-Peter Tebartz-van Elst.




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