| Land Gibt Fursorge-opfern Nur Geschwarzte Akten Zur Einsicht
Saltzburger Fenster
June 28, 2013
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Margret Lauchbauer, der Blick eines traurigen, aber starken Madchens, das in einem Bordell geboren und der Mutter weggenommen wurde. Seit zwei Jahren kampft die heute 52-Jahrige um Einsicht in ihren Fursorgeakt. Foto:?Privat
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Gut 10.000 ehemalige Heim- und Pflegekinder in Osterreich wurden in den Nachkriegsjahren Opfer eines Fursorge- und Erziehungssystems, das noch im Geiste des Nationalsozialismus stand. Die Kinder sollten mit unerbittlicher Harte, Gewalt und Arbeit gebrochen werden. Zwei Drittel der Zoglinge wurden auch sexuell missbraucht. Historiker sprechen von einem geschlossenen, repressiven System, das Behorden, Gerichte und Kirche gegenuber den schutzlosen Kindern errichtet hatte. Das Land Salzburg hat in 20 Fallen 265.000 Euro Entschadigung bezahlt – bundesweit gehen die Summen in Richtung 30 Mio. Euro. Aus Furcht vor moglichen weiteren Schmerzengeld- und Opferrentenklagen durften Betroffene in Salzburg bis jetzt lediglich Fragen zu ihrem Akt stellen. Nun soll endlich das Versprechen von Ex-Sozialreferent Walter Steidl auf echte Akteneinsicht umgesetzt werden. Daten Dritter werden jedoch geschwarzt, hei?t es in der Sozialabteilung. Ob man dazu etwa auch (Halb-)Geschwister zahlt, ist noch offen.
Die Suche nach dem gestohlenen Leben
Viele ehemalige Heimkinder sind schwer erschuttert, wenn sie ihren Fursorgeakt lesen. Oftmals erfahren sie dann, wie sehr ihre Eltern sie verraten haben und wie verachtend der Blick der Behorden auf sie war.
Die 52-jahrige Margret Lauchbauer (Name geandert, als Kind im Bild oben rechts) wurde in einem Freudenhaus in Vorarlberg geboren und der Mutter als halbverhungerter Saugling weggenommen. Die Fursorge brachte das Baby ins SOS-Kinderheim in Seekirchen und verfrachtete das heranwachsende Madchen in der Folge auf gut 20 Heim- und Pflegeplatze in halb Osterreich, weil es immer wieder ausriss. Mit 16 sei sie als Kindermadchen in eine Familie in der Stadt Salzburg gesteckt und vom dortigen Familienoberhaupt vergewaltigt worden, erzahlt Frau Lauchbauer. Der Mann habe eine kleine Geldstrafe erhalten. Mit 17 wurde sie von ihrem Freund schwanger.
Kinder wegnehmen
Die Fursorge nahm ihr das Kind ab und lie? die Polizei kommen, als die blutjunge Mutter nach der Entbindung per Autostopp zum Krankenhaus nach Innsbruck gefahren war, um ihren Sohn zu holen. „Man hat mich in Handschellen gelegt und mir gedroht, dass ich ins Gefangnis komme, wenn ich noch einmal zu dem Kind gehe“, erzahlt Margret Lauchbauer. Sie geriet in die Prostitutionsszene, lernte ihren Vater, einen Zuhalter, kennen. Mit ihrem Widerstandsgeist hat Margret Lauchbauer all das uberlebt und es sogar geschafft, eine „tolle Familie“?zu grunden. Doch bis heute sto?t sie an die Mauern eines Behordenapparats, der zwar von Wiedergutmachung spricht, aber anders handelt.
Seit zwei Jahren will die 52-Jahrige Einsicht in ihren Salzburger Fursorgeakt. „Mein Fall geht uber mehrere Bundeslander, die Salzburger haben meinen Akt nicht einmal nach Vorarlberg geschickt.“ Auch andere Betroffene fuhlen sich hingehalten.
„Es ist mein Leben“
Einem heute 53-jahrigen Flachgauer fugte seine eigene Mutter einen Knochenbruch zu, weil der Funfjahrige etwas nicht essen wollte. Der Junge kam durch die Fursorge vom Regen in die Traufe – in das beruhmt-beruchtigte Caritas-Heim Steyr-Gleink, in dem sadistische Gewalt und Missbrauch auf der Tagesordnung standen. Allein der Nachweis, dass er sechs Jahre dort zubrachte, trug dem Salzburger die Hochstentschadigung der Opferanwaltschaft (Klasnic-Kommission) ein.
Die Salzburger Jugendwohlfahrtsbehorde speist den Mann seit zwei Jahren mit Formalismen ab. „Der Amtsleiter sagte, er darf den Akt nicht hergeben wegen der anderen Namen, die drinnen stehen. Wir haben nur ein paar fliegende Zettel aus dem Gerichtsakt mitbekommen. Mein Lebensgefahrte sagt:?Es ist sein Leben, alle konnen in seinem Leben lesen, nur er nicht“, schildert die Gefahrtin des Mannes. Dieser hat drei Ehen, zwei Arbeitsunfalle hinter sich und hat nun um Berufsunfahigkeitspension angesucht.
Im April 2013 entschuldigte sich Ex-Soziallandesrat Walter Steidl bei den ehemaligen Heimkindern und versprach die ganze Hilfe des Landes, so auch die personliche Akteneinsicht. In immerhin 3.000 Fursorgeakten werden die Kinder als „asozial, schwer erziehbar und sexuell verwahrlost“ beschrieben, so der Historikerbericht „Abgestempelt und ausgeliefert“ (StudienVerlag 2013).
Unschuldige Fursorger
Die Sozialabteilung setzte Steidls Ankundigung offenbar aber nicht um. „Wir wollten die Akten und den Zugang offnen. Dann kam aber der Gedanke, man konnte darin Dinge finden, die das Land belasten und Klagemoglichkeiten eroffnen“, beschreibt ein Beamter die Hintergrunde. Die Abteilung verlangte eine politische Weisung, die SP-Mann Steidl vor einem Monat auch erteilte.
Au?er ums Geld ging es auch um ein paar handfeste Dinge. Einige „sehr konfrontative Klienten“ (der Beamte) hatten die Namen ihrer fruheren Fursorgerin verlangt. „Die wollten sie personlich mit ihrer Geschichte konfrontieren.“?Da hatten „die Alarmglocken gelautet“, wo doch „die Fursorgerin wirklich nichts dafur kann, was in den Heimen damals passiert ist“, wie der Sozialbeamte uberzeugt ist.
Ab jetzt echte Einsicht
Bis zuletzt vereinbarte das zustandige Referat lediglich Termine fur eine Aktenauskunft, wo einem der Akt nicht ausgehandigt wird. Margret Lauchbauer wurde mitgeteilt, man konne „im Rahmen der Auskunftspflicht sicherlich einige Fragen zu ihrer fruhen Kindheit beantworten, Akteneinsicht konnen wir ihr (noch) nicht gewahren“, so ein E-Mail vom 22. Mai 2013, das dem SF vorliegt.
Ab jetzt werde die Weisung umgesetzt, versichert Sozialarbeiterin Veronika Enzinger von der Anlaufstelle nunmehr:?„Die Leute konnen ihre Akten lesen und kopieren. Aber die Daten Dritter mussen wir schutzen, wahrscheinlich wird man das schwarzen. Das betrifft nicht die Biografie der Heimkinder. Wir mauern nicht, wir gehen sehr wertschatzend und wohlwollend mit den Betroffenen um“, so Enzinger. Diese Woche wird der neue Sozialreferent Heinrich Schellhorn (Grune) in die Sozialabteilung kommen und „alle offenen Baustellen ubernehmen“, so sein Sprecher Heinrich Breidenbach. Die Akteneinsicht fur Heimkinder ist eine dieser Baustellen.
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