| Johannes-Diakonie: Missbrauchsbericht Ohne Akteneinsicht
Die Rhein-Neckar-Zeitung
June 21, 2013
http://www.rnz.de/mosbach/00_20130621000111_104139257_Johannes_Diakonie_Missbrauchsbericht_ohne_Akte.html
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Die Johannes-Diakonie Mosbach tut sich offenbar schwer bei der Aufarbeitung von Missständen und Gewalt in früherer Zeit. Ein Betroffenerer, mit dem die RNZ jetzt sprach, kritisiert, die Mosbacher Einrichtung kümmere sich unzureichend um die Opfer
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Neckar-Odenwald-Kreis. (Wd) Die Aufarbeitung der Geschichte des Missbrauches und der Gewalt in der Johannes-Diakonie in Mosbach ist offenbar ohne Einsicht in Akten geschehen. Die Freiburger Professorin Dr. Cornelia Helfferich übt in einem Schreiben scharfe Kritik darüber, dass sie und ihre Mitarbeiter bei der Erstellung des Abschlussberichtes "keinen Zugang zu Akten bekommen" habe. Weiter heißt es: "Hier sind andere Aufarbeitungen einfach besser ausgestattet und besser unterstützt worden und damit in der Aufarbeitung genauer als wir es sein konnten". So heißt es in der E-Mail an einen Betroffenen sehr drastisch: "Ich kann und will es Ihnen nicht ausreden, dass die Opfer weiter verarscht werden, denn das ist Realität".
Dargestellt wird von der Professorin, dass etliche Kinder ohne Behinderung in der damaligen "Johannes-Anstalt" Aufnahme fanden. Prof. Helfferich schreibt dazu: "Das ist jenseits von Gewalt und Missbrauch ein viel zu wenig beachteter Skandal, dass sich nie jemand dafür entschuldigt hat, dass diesen Kindern, die dort einfach nicht hingehörten, durch die Aufnahme in die Einrichtung viele Chancen vorenthalten wurden" (siehe auch Kasten).
Offenbar ist es auch Oberkirchenrat Professor Dr. Christoph Schneider-Harpprecht zu verdanken, dass der Bericht zur Aufarbeitung der Geschichte von Missbrauch und Gewalt in der Mosbacher Johannes-Diakonie nach einem Gespräch mit dem Vorstand in Auftrag gegeben werden konnte. Diesen Schluss lässt ein Schreiben an einen Betroffenen zu, der im Alter von fünf Jahren dort von einem Freiburger Kinderheim in die Mosbacher Anstalt übergeben wurde und bis im Alter von 15 Jahren von 1961 bis 1971 unglaubliches Leid zu erdulden hatte (die RNZ berichtete über den Fall schon im März 2010).
Schikane, Demütigungen, körperliche und sexuelle Gewalt waren an der Tagesordnung. Erst im Jugendalter stellte ein Arzt fest, dass der Junge nicht geistig behindert war, sondern einen Intelligenzquotienten von über 100 hat.
In einem Schreiben vom Oktober 2011 heißt es an W. nach Gesprächen mit Dr. Schneider-Harpprecht: "Die Evangelische Landeskirche in Baden bedauert die sexuellen Übergriffe, die in ihren Einrichtungen geschehen sind, sehr und möchte ein Teil des erlittenen Leids durch eine finanzielle Entschädigung wieder gut machen.
Das Diakonische Werk Baden beteiligt sich ebenfalls an dem eingerichteten Entschädigungsfond. Mehrfach aber wendet sich W. an den Oberkirchenrat, um beispielsweise nachzufragen, wann denn die Studie endlich veröffentlicht werde. "Das war für mich viel wichtiger als das Geld", erklärt W. Der Termin findet dann tatsächlich im Juni 2013 vor Pressevertretern in der Johannes-Diakonie statt. Allerdings war Opfer W. nicht geladen.
Eine persönliche öffentliche Entschuldigung, so W., sei Vorstand Jörg Huber ihm gegenüber auch nicht über die Lippen gekommen.
Aus Hubers Sicht wurde für W. alles getan. So wurde W. 2010 ein psychotherapeutisches Angebot gemacht, das W. aber abbrach, weil er "merkte, dass man mich eigentlich nur ruhig stellen und mundtot machen wollte".
Als W. sich wieder an Jörg Huber wendet, um ihm seine große Enttäuschung mitzuteilen, habe er Sätze wie "Wir haben Sie doch nicht mit dem Lasso eingefangen" oder "andere Heimkinder haben auch aus sich etwas gemacht" zu hören bekommen und man lasse sich "nicht von der Öffentlichkeit erpressen". Stattdessen ging W. in die Tagesklinik des Krankenhauses, um sich behandeln zu lassen. "Ich war seelisch und psychisch zerstört", schildert er seinen Zustand.
Das weitere Versprechen, einen Arbeitsplatz zu besorgen, im März 2010 von Vorstand Huber gegeben, wurde mit dem Angebot, in den Neckar-Odenwald-Werkstätten der Diakonie in Neckarelz für Menschen mit psychischer Erkrankung zu arbeiten, untermauert.
W. lehnte aber ab, "weil das eine Zumutung ist. Die wollten mich wieder zum Deppen machen!" Daraufhin bekommt er einen von vornherein auf zwölf Monate begrenzten Job in der Wäscherei. Das war's dann für die Diakonie. Seither lebt W. von Hartz IV und einer einmaligen Entschädigung der Evangelischen Landeskirche.
"Ich wollte von der Johannes Diakonie gerecht behandelt werden. Aber die wollten nur den schönen Schein nach außen wahren. Die Vertuschung der Vorfälle dieser Zeit würde bis heute fortgesetzt, da Opfern die Akten vorenthalten, sogar vernichtet wurden oder sie über den Verbleib belogen werden," folgert W.
Fehlende Akten beklagt auch Professorin Helfferich. Was aber seltsam ist, denn am 24. März 2010 hat sich die damalige Pressereferentin der Johannes-Diakonie noch in einem Zeitungsartikel dahingehend geäußert: "Seit Bekanntwerden des Vorfalls sitzen wir täglich zusammen, sichten Akten von damals und beratschlagen". Man fragt sich: Was für Akten waren das denn?
"Bei mir hat sich bis heute von der Johannes-Diakonie niemand gemeldet und gefragt, wie es mir geht. Ich bin maßlos enttäuscht. Da hat sich gegenüber früher nichts geändert," stellt W. nach all seinen schlimmen Erlebnissen fest, an deren Folgen er heute noch immer leidet.
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