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Asthetik Der Bescheidenheit

By Jorg Bremer
Frankfurter Allgemeine
June 15, 2013

http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/papst-franziskus-aesthetik-der-bescheidenheit-12221878.html

Franziskus bei einer Generalaudienz

Kein Papst „darf in die Fußstapfen seines Vorgängers treten“, sagt der Chef der Glaubenskongregation, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller in Rom. Jeder müsse sich treu bleiben; denn theologisch beziehe sich der vom Heiligen Geist jeweils neu berufene Papst direkt auf Petrus, „den Fischer mit Stärken und Schwächen, den Jesus rief, um die Kirche aufzubauen“. Mithin folge Franziskus, früher Erzbischof von Buenos Aires, „nur chronologisch“ auf Benedikt, sagt der ehemalige Bischof von Regensburg, den Franziskus seit seiner eigenen Wahl am 13. März als Chef der wichtigsten Kongregation schon oft empfing. Müller sieht bei Franziskus Neuerungen in der Form, so bei der Kleidung oder bei einer offeneren Sprache wie jetzt über Korruption und eine homosexuelle Seilschaft an seiner Kurie. Gleichzeitig gebe es theologisch aber Kontinuität. Die derzeit in manchen EU-Staaten eingeführte Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften verurteilt Müller als „Anschlag auf die Ehe“. Man werde „Homosexuellen nicht gerecht, wenn man die Ehe zwischen Mann und Frau relativiert“.

Als schönes Zeichen theologischer Kontinuität beschreibt der 1947 in Mainz-Finthen geborene Müller die Enzyklika zu Glauben und Verkündigung, die Franziskus bald veröffentlichen werde; „unabhängig, von wem die Einzelteile genau entworfen wurden“, sagt Müller und geht so auf den Text ein, den Papst Benedikt XVI. nach Angaben von Vatikansprecher Federico Lombardi weitgehend abgeschlossen hatte, bevor er am 28. Februar zurücktrat. Einer Bischofssynode sagte Franziskus dieser Tage: „Dies ist eine Enzyklika, die von vier Händen geschrieben wurde, denn Papst Benedikt begann sie und gab sie dann mir. Ein starkes, schönes Dokument, das uns allen helfen wird. Das meiste war seine Arbeit, ich habe sie abgeschlossen.“

Forderung nach Entweltlichung der Kirche

Beide Päpste verbinde auch die Forderung nach Entweltlichung der Kirche, sagt Müller und erinnert an Benedikts Rede in Freiburg im Herbst 2011, in der er von kirchlichen Institutionen forderte, nicht zum Selbstzweck zu werden. Der frühere Chef des päpstlichen Sozialwerks Cor Unum, Kardinal Paul Josef Cordes, legte dazu jetzt mit dem Psychiater und Theologen Manfred Lütz die Streitschrift „Benedikts Vermächtnis und Franziskus’ Auftrag - Entweltlichung“ vor. Müller meint dazu, man könne einem Papst nicht Aufträge erteilen, aber die Grundidee von Kirche sei nun „einmal nicht irdisch; vielmehr soll sie Menschen zum ewigen Leben in Gott führen“. Kirche „darf sich nicht in der Welt einnisten, als sei sie von Menschenhand“, sondern müsse, wie es auch Franziskus verlangt, den Geist Christi in die Welt tragen.

Neben Liturgie und Verkündigung dürfe das karitative Wirken nicht einfach an Fachleute abgegeben werden. Caritas sei eine „zentrale Aufgabe“ von Gemeinde und Diözese, so Müller. Kirche müsse in allen Lebenszusammenhängen wirken, auch für einen Patienten im Krankenhaus. Dabei reiche es nicht, „human zu handeln. Wir sollen in jedem Kranken Christus selbst sehen.“ Müller plädiert dafür, Ärzte und Pfleger in konfessionellen Häusern stärker in geistlichen Belangen zu schulen. Auch das Lehrpersonal in katholischen Schulen oder Kindergärten solle nach katholischen Prinzipien unterrichten; „man würde ja auch nicht von einer Partei verlangen, dass sie die Politik einer anderen treibt“, meint Müller.

Franziskus entwickelt Kultcharakter

Benedikt habe schon gesagt, „dass die Theologie von Franziskus im Einklang mit seiner eigenen stehe“, berichteten kürzlich die Autoren Cordes und Lütz nach ihrem Treffen mit dem ehemaligen Papst, als sie ihm ihre Streitschrift überreichten. Aber Benedikt möchte sich nicht so zitiert sehen, heißt es; denn er habe sich ins Gebet zurückgezogen und dem Papst untergeordnet. Dazu würde so ein Urteil nicht passen. Cordes und Lütz berichteten, Benedikt sei so „wie früher: noch immer geistesgegenwärtig. Gewiss ist er älter geworden, er geht etwas gebückt, aber ohne Stock“, sagten Cordes und Lütz, die ihr Buch zuvor auch Franziskus übergeben hatten. Erstmals in der Kirchengeschichte gebe es nicht nur einen Papst und einen Altpapst; die beiden wohnen auch noch friedlich zusammen im Vatikan. Ob sie einander noch einmal sahen, seit Franziskus den Vorgänger bei dessen Rückkehr in den Vatikan am 2. Mai im Kloster „Mater Ecclesiae“ empfangen hatte, ist unbekannt. Der Papst geht jedenfalls anders als früher Benedikt nicht in den Vatikan-Gärten spazieren. „Lasst mich nicht viele Schritte tun“, bat er seine Sekretäre. Benedikt wiederum verlässt selten das Kloster.

Derweilen ist bei jeder Generalaudienz der Platz vor Sankt Peter überfüllt. Auffällig viele Italiener wollen den neuen Papst erleben. Manche bringen einen Zuchetto mit, die weiße Schädelkappe, und hoffen, beim Bad in der Menge werde Franziskus auch zu ihnen kommen. Dann würden sie die neue gegen seine alte eintauschen, wie schon oft geschehen. „Franziskus entwickelt Kultcharakter“, sagen manche; gewiss spricht er Alt und Jung an, Arm und Reich. Dabei erscheint seine offene und herzliche Art wichtiger als sein Wort. Mit ihm fällt es kirchlichen Institutionen wie Cor Unum wieder leichter, Geld zu sammeln. Im Februar hatte Müller noch von einer „Pogromstimmung“ gegen die Kirche gesprochen. Mit Franziskus seien die „Kräfte, die die Kirche diskreditieren wollen, auch nicht verschwunden“, sagt er nun; „aber sie sind weniger aggressiv und warten ab“.

Müller: „Dieser Papst bleibt sich treu“

„Franziskus liebt Menschen“, sagt Müller. Er wolle stets unter ihnen sein. So will er nicht in der dritten Etage des Apostolischen Palasts wohnen, auch wenn dort seit 1903 alle Vorgänger lebten und viele Gäste empfingen. Nun beschloss er, auch auf den bei Päpsten üblichen Sommerurlaub in Castel Gandolfo zu verzichten. Er bleibt im Gästehaus der Martha, wo er täglich an der Morgenmesse teilnimmt und im Speisesaal isst. Die anderen Gäste, meist Kleriker, aber auch der Chef des päpstlichen Geldinstitutes IOR, Ernst von Freyberg, müssen sich strengen Sicherheitsregeln unterziehen. Da das Haus nahe der Vatikan-Mauer liegt, sind in der Stadt auf der anderen Seite sicherheitshalber die Parkplätze gesperrt worden.

„Dieser Papst bleibt sich treu und nimmt sich anders als sein Vorgänger die Freiheit, wie es ihm gebührt“, sagt Müller. „Benedikt war auch bescheiden; er aber ordnete sich freiwillig den Regeln unter, die er vorfand.“ Seit Franziskus auf den purpurfarbenen Schulterumhang, die Mozetta, verzichtet und nur ein eisernes Brustkreuz trägt, entsteht eine päpstliche Ästhetik der Bescheidenheit. „Die Liturgie ist feierlich, hat Glanz und Schönheit, aber sie soll nicht in Prunk ausarten“, sagt der Chef der Glaubenskongregation und spricht von „edler, stiller Einfachheit“. Der Kirchgänger habe „Anspruch darauf, dass der Priester nicht in einem fleckigen Messgewand erscheint und die Blumen auf dem Altar nicht verwelkt sind, aber Einfachheit ist gut“, sagt Müller. Franziskus’ Botschaft der Armut und Bescheidenheit drücke sich auch in seinem Gewand aus und präge allmählich das Auftreten der meisten Geistlichen im Vatikan, ganz nach den Worten des neuen Papstes, der nach seiner Wahl bei der Einkleidung die Mozetta mit den Worten zurückwies: „Mit dem Karneval ist es nun vorbei.“




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