| Zeitgeschichtliches Zur Padophilie II
Berliner Zeitung
June 7, 2013
http://www.berliner-zeitung.de/meinung/kolumne-zeitgeschichtliches-zur-paedophilie-ii,10808020,23103230.html#
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Zu padophilen Vergehen durch katholische Geistliche bleibt in der kirchlichen Zeitgeschichtsschreibung bis heute einiges im Unklaren (Archivbild).
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Mit dem Verweis auf eine rigide Sexualmoral wurden wiederholt sexuelle vergehen an Minderjahrigen bagatellisiert. Die katholische Kirche verhalt sich zu ihrer eigenen Geschichte bis heute eher abwiegelnd und in einem merkwurdigen Ton.
Die Kolumne „Padophilie I“ handelte von Onkel Otto, der im Dritten Reich und danach wegen seiner Homosexualitat strafrechtlich verfolgt wurde, in seinem erotischen Treiben jedoch die Grenzen zwischen Erwachsenen und Minderjahrigen missachtete. Deshalb kann Otto nicht einfach als nationalsozialistisch verfolgte Unschuld gelten. Ein Leser vermutete, meinem Onkel sei „ubel mitgespielt“ worden. Ja, er war mehrfach wegen Homosexualitat im Gefangnis, aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Das Problem liegt darin, dass unter Hinweis auf eine rigide Sexualmoral oder auf Verfolgung in der NS-Zeit sexuelle Vergehen an Minderjahrigen als nebensachlich bagatellisiert werden. Das haben Aktivisten der Achtundsechziger getan, der Schwulenbewegung, der Grunen – aber auch katholische Geistliche. Von letzteren soll heute die Rede sein.
Wahrend des Nationalsozialismus wurden padophile Vergehen recht konsequent verfolgt. 1936/37 richteten sich Hunderte Prozesse hauptsachlich gegen katholische Geistliche und Laienbruder, insgesamt waren 1937 rund 2500 einschlagige Ermittlungsvorgange anhangig. Die Fakten sind bekannt, doch pflegt die kirchliche Zeitgeschichtsschreibung bis heute einen merkwurdigen Ton. Stets geht es ihr um die Frage, wie die NS-Regierung „die Kirche vor dem Volk verachtlich“ gemacht habe. Gewiss, aber die strafrechtlichen Vorwurfe waren meist nicht aus der Luft gegriffen. Doch darum druckte sich der Historiker Hans Gunter Hockerts in seinem 1971 erschienenen Standardwerk uber diese Sittlichkeitsprozesse.
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Der Historiker Gotz Aly. Foto: Berliner Zeitung
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Da entlauft, so Hockerts, der Zogling einer katholischen Schwachsinnigenanstalt, begeht einen Einbruch und beschuldigt dann, „um nicht zuruckgebracht zu werden, mehrere Bruder dieser Anstalt homosexueller Vergehen“. Uber das Alter des anzeigenden Jungen schweigt der Historiker. Das Wort Padophilie vermeidet er, zum sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174 Strafgesetzbuch) au?ert er sich nicht, um wenige Zeilen spater festzustellen: Die „Ermittlungen bestatigten die Angaben des Zoglings weitgehend“.
Verschiebung der Schuld
Bald reisten Beamte der Gestapo „von Kloster zu Kloster“ und unterzogen „Bruder, insbesondere aber die Schulkinder, Lehrlinge, die kranken Insassen etc. einem eingehenden Verhor“. Gut moglich, dass die Gestapo auch fragwurdige Methoden benutzte. Hockerts aber verschiebt die Schuld auf die Missbrauchten, spricht von „leicht beeinflussbaren Pfleglingen“, „geistesschwachen Zeugen“ oder „rachsuchtigen Motiven“ eines ehemaligen Klosterbruders. Zustimmend zitierend fuhrt er die Taten auf die „sexuell in besonderem Ma?e geladene Atmosphare von Schwachsinnigenanstalten“ zuruck.
Nach Interventionen mehrerer Bischofe griff Hitler in die Prozesse ein – au?erlich zugunsten der katholischen Kirche. Er unterband weitere Veroffentlichungen uber die Prozesse, lie? diese teilweise aussetzen und Ermittlungen unterbrechen. Doch hatte er mit seiner politisch motivierten, aber auf Fakten gestutzten Kampagne sein Ziel erreicht: Die Widerstandskraft der katholischen Kirche war getroffen und die Institution erpressbar geworden. Die Sittlichkeitsprozesse werden bis heute gern als Kirchenverfolgung abgebucht, die geistlichen Tater zu Opfern geadelt. Es ist Zeit, auch solchen Beschonigungen ein Ende zu setzen.
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