| Studie Zieht Einseitige Schlusse
hpd
April 30, 2013
http://hpd.de/node/15806
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Fotoquelle: medienwerkstatt-online.de
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BERLIN. (hpd) Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) veroffentlichte Anfang April das Ergebnis einer Studie zum Thema "Christliche Religiositat und elterliche Gewalt". Wichtigstes Ergebnis: In evangelikalen Familien werden Kinder sehr viel haufiger geschlagen als in katholischen oder evangelischen. Das ist aber nicht alles.
Als Nebenergebnis wird erwahnt, dass sich in katholischen und evangelischen Familien eine intensivere Religiositat eher hemmend auf die Gewalttatigkeit der Eltern auswirkt. Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache.
Das Forschungsinstitut konstatiert: "In katholischen Familien, in denen die Eltern keine Akademiker sind und in denen ein nicht religioses Elternhaus vorliegt, berichten 14,3 % der Befragten von schwerer elterlicher Gewalt; in Familien, in denen das Elternhaus sehr religios ist, liegt der Anteil bei 11,8 %. Mit zunehmender Religiositat geht die Erfahrung schwerer elterlicher Gewalt in katholischen Familien also leicht zuruck." (S. 7)
Anschlie?end wird behauptet, dass fur evangelische Familien ein ahnlicher Zusammenhang feststellbar sei, abgesehen von den nicht-akademischen Familien. Wirft man aber einen Blick in die entsprechende Statistik (Abb. 4), so wird klar, dass nicht nur in den nicht-akademischen, sondern in allen evangelischen Familien die schwere Gewalt mit zunehmender Religiositat deutlich zunimmt, namlich von 12,4 % (nicht religios) auf 16,8 % (sehr religios). In den nicht-akademischen Familien gab es dagegen eine Steigerung in der ausgeubten schweren Gewalt von 13,4 % (nicht religios) auf 16,9 % (sehr religios). Da der Unterschied bei allen evangelischen Familien 4,4 % betragt, bei den nicht-akademischen Familien aber lediglich 3,5 %, mu? daraus geschlossen werden, dass die Gewalt in evangelischen Akademiker-Familien mit zunehmender Religiositat noch starker zunimmt als bei Nichtakademikern.
Gleiches trifft auf die katholischen Akademikerfamilien zu, deren Gewaltverhalten bei zunehmender Religiositat derma?en stark ansteigt, dass in der Gesamtstatistik lediglich ein Ruckgang schwerer Gewalt von 1,7 % (im Vergleich zu 2,5 % bei den Nichtakademiker-Familien) zu verzeichnen ist. Diese Tatsachen werden im Ergebnisbericht verschwiegen.
Verschwiegen wird auch, dass das gesamte Ausma? an Gewalt - also leichte und schwere zusammengerechnet - mit zunehmender Religiositat sowohl bei katholischen Familien (von 57,3 % bei nichtreligiosen auf 58,5 % bei sehr religiosen Familien) als auch bei evangelischen Familien (von 58,2 % bei nicht-religiosen auf 61,1 % bei sehr religiosen Familien) zunimmt. Und das fast doppelt so stark bei evangelischen (2,9 %) als bei katholischen Familien (1,5 %).
Insofern stimmt dieser Satz aus der Studie nicht: "Wahrend fur katholische und evangelische Familien festgehalten werden kann, dass eine starkere Religiositat die Anwendung innerfamiliarer Gewalt tendenziell unwahrscheinlicher macht, gilt fur die freikirchlichen Familien, dass mit zunehmender Religiositat die innerfamiliare Gewalt steigt."
Hier musste auch deutlich zwischen evangelischen und katholischen Familien unterschieden werden, denn die Ausgangsfrage hie?: "Unterscheiden sich Katholiken, Protestanten und Angehorige der evangelischen Freikirchen hinsichtlich der erlebten Erziehungserfahrung, insbesondere hinsichtlich der Erfahrung innerfamiliarer Gewalt?"
Es steht zu vermuten, dass es in evangelischen Kreisen eine gegen Kinder gerichtete Gewalttradition gibt, der Urvater Luther ganz wesentliche Impulse gegeben hat. Diese Tradition scheint sich auch bei den evangelikalen Familien fortzusetzen.
Das Ergebnis der Erwachsenenbefragung des KFN von 2011, die ahnliche Fragestellungen hatte, wird zitiert mit: "Bei den katholischen und evangelischen Befragten findet sich dagegen kein Zusammenhang zwischen der Starke der religiosen Bindung und den innerfamiliaren Gewalterfahrungen."
Besieht man sich die Zahlen der entsprechenden Statistik genau (S. 8, Abb. 5), so ist festzustellen, dass umgekehrt zum Ergebnis der aktuellen Studie die Gesamtgewalt in katholischen Familien mit zunehmender Religiositat eindeutig zunimmt (von 43,7 % bei nicht oder etwas religiosen Familien auf 46,2 % bei sehr religiosen Familien), wahrend sie bei evangelischen Familien nur geringfugig ansteigt (46 % zu 46,6 %). Ein Unterschied von 2,5 % war den Kriminologen bei der aktuellen Befragung noch eine Erwahnung wert gewesen.
Die aktuelle Studie kommt zu dem "uberraschenden" Ergebnis, dass die Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen mit zunehmender Religiositat abnimmt.
Viel mehr uberrascht ware die Forschergruppe, wenn sie genau dieselben Jugendlichen etwa 10-15 Jahre spater nach ihrem Gewaltverhalten innerhalb der Kindererziehung befragte und feststellen musste, dass diese Eltern genau so gewalttatig sind wie andere Eltern bzw. mit zunehmender Religiositat sehr wahrscheinlich noch gewalttatiger.
Uberrascht waren die Forscher auch, dass Jugendliche mit freikirchlichem Hintergrund tendenziell weniger gewalttatig waren, obwohl sie statistisch gesehen mehr familiare Gewalt erlebt hatten. Erklart wird dieses Phanomen mit der starkeren sozialen Kontrolle innerhalb dieser Religionsgemeinschaften, der Angst vor Strafen bei Fehlverhalten und einem grundsatzlich angstlich-angepassteren Verhalten.
Mit gleicher Begrundung lasst sich erklaren, warum evangelische und katholische Jugendliche laut dieser Statistik ebenso weniger gewaltbereit sind, je religioser sie sind. Das betrifft besonders die streng religiosen katholischen Jugendlichen, die die niedrigste Gewalttatigkeit aufweisen. Im Katholizismus existiert immer noch die Drohung von Hollenstrafen bei Fehlverhalten, die auf Jugendliche besonders abschreckend wirkt.
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