| Missbrauchs-Opfer Wollen Gehort Werden
By Annika Falk
Nw-News
April 14, 2013
http://www.nw-news.de/owl/kreis_paderborn/paderborn/paderborn/?em_cnt=8296451&em_loc=8427
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Hat viele Fälle zu bearbeiten
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Insgesamt 89 Menschen haben sich bislang an den Missbrauchsbeauftragten des Erzbistums gewandt - 271.500 Euro wurden ausbezahlt
Paderborn. Auch mehr als drei Jahre nach den ersten Meldungen über sexuellen Missbrauch innerhalb der Katholischen Kirche erreichen den zuständigen Arbeitsstab beim Erzbistum Paderborn immer wieder Anfragen. Ansprechpartner für die Opfer ist Manfred Frigger, ehemaliger Leiter der Eheberatung.
Der Arbeitsstab Sexueller Missbrauch wurde bereits 2002 eingeführt, nachdem erste Missbrauchsfälle in den USA und Irland publik geworden waren. Der Vatikan verordnete damals, dass jedes Erzbistum eine entsprechende Anlaufstelle einrichten soll. "Anfangs wurde die Kommission von einem Prälaten geleitet, man merkte dann aber, dass es schwierig sein könnte, wenn ein hochrangiger Kirchenmann mit den Opfern spricht", sagt Frigger, der den Stab seit 2003 leitet.
Auf ihn kam man, da er die Eheberatung des Erzbistums leitete. Er war damit etwas weiter weg, außerdem verheiratet. "Und man vertraute darauf, dass ich in Krisengesprächen Einfühlungsvermögen zeigen kann", sagt der heute 65-Jährige. Zu dem Arbeitsstab gehören außerdem Rechtsanwälte, Psychiater, Therapeuten, Psychologen, Kirchenrechtler und Justiziare, insgesamt acht Mitarbeiter. Doch hatte diese Kommission bis 2010 keine Arbeit, niemand meldete sich, bis die ersten Fälle am Canisius-Kolleg in Berlin bekannt wurden.
Beratung ist Herzensangelegenheit
"Mit der Welle, die dann auf uns zukam, hätte keiner rechnen können", sagt Frigger, der die Erstgespräche mit den Opfern führt und dann vermittelt - je nach Anliegen - an einen Rechtsanwalt oder einen Therapeuten in den verschiedenen Städten des Erzbistums. "Die Vernetzung ist einzigartig und Opfer bekommen innerhalb von zwei, drei Tagen einen Termin beim Therapeuten", sagt der Eheberater, der gerne selbst für Gespräche zu den Menschen fährt, seit er vor wenigen Monaten in den (Un)-Ruhestand gewechselt ist. Die Beratung der Opfer ist ihm sichtlich eine Herzensangelegenheit.
So war er froh, als die Deutsche Bischofskonferenz am 2. März 2011 Richtlinien formuliert hatte, wie mit den Opfern umgegangen wird, wie ihr Leid finanziell anerkannt werden kann. Die entsprechenden Antragsformulare finden Betroffene auf der Webseite des Erzbistums. Manfred Frigger hilft beim Ausfüllen. Die Kommission des Erzbistums berät und prüft diese Anträge, bevor sie dann zu der unabhängigen "Zentralen Kommission" nach Bonn geschickt werden. Diese legt die Summe der Entschädigung fest.
Innerhalb des Erzbistums Paderborn waren das durchschnittlich 6.100 Euro. Insgesamt 45 Opfer wurden bis Ende März 2013 mit 271.500 Euro entschädigt oder "als Opfer anerkannt", wie Frigger lieber formuliert. Außerdem wurden fünf Opfern bislang 22.000 Euro Therapiekosten anerkannt. "Das Geld wurde nicht aus Kirchensteuermitteln genommen, sondern aus anderen Töpfen", betont Pressesprecher Ägidius Engel. Außerdem seien die noch lebenden Beschuldigten für ihre Fälle zur Kasse gebeten worden.
Ein Priester zur Selbstanzeige gedrängt
Insgesamt 23 Frauen und 66 Männer haben sich beim Erzbistum Paderborn gemeldet, einige Fälle spielten sich aber in anderen Bistümern oder in der Evangelischen Kirche ab, wurden also weitervermittelt. Innerhalb des hiesigen Erzbistums beschuldigten 16 Frauen und 26 Männer insgesamt 42 Kleriker und andere Mitarbeiter im kirchlichen Dienst. 27 Anträge konntennicht anerkannt werden, weil "nur" körperliche Gewalt vorlag, die Opfer wurden an den "Heimkinderfond" des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) weiterempfohlen.
Bei den meisten Fällen waren die Beschuldigten nicht mehr am Leben. Die Staatsanwaltschaft wurde in fünf Fällen eingeschaltet. Ein Priester mit knapp 90 Jahren wurde zur Selbstanzeige gedrängt, doch auch sein Fall war - wie die anderen - verjährt. So kam es nie zu einem Prozess. Das bedauert Manfred Frigger. Zwar arbeite der Runde Tisch sehr gut. Doch kämen der Bundestag und die Bundesregierung nicht voran. "Das Leiden der Opfer verlängert sich", so Frigger. Denn erst auf Druck des Runden Tisches gibt die Bundesregierung zum 1. Mai 2013 50 Millionen für einen Hilfsfonds frei, die Länder sagten ebenfalls 50 Millionen zu, verweigern aber noch die Freigabe der Mittel.
80 Prozent der Fälle gehen auf Erlebnisse in den 50er bis 80er Jahren zurück. Den Opfern gehe es meist eher darum, dass ihnen jemand zuhöre, dass sie ernst genommen werden. "Wenn sie zu mir kommen, schämen sie sich ihrer Tränen, gehen dann aber dankbar wieder weg", sagt Frigger, der manchmal von seiner Frau Ursula begleitet wird, die ihn ehrenamtlich unterstützt. Manchen Opfern sei wichtig, dass eine Frau bei den Gesprächen anwesend ist.
Erzbistum setzt auf Prävention
Er rechnet damit, dass sich auch in den nächsten Jahren noch weitere Opfer melden werden. Bei vielen kommt das Erlebte erst durch bestimmte Lebenserfahrungen wieder hoch. "Es geht um eine Anerkennung des Leids, die Verletzung wird man nicht wieder gut machen", sagt Frigger, der betont, dass es vielen Opfern nicht ums Geld gehe. Einem Opfer habe er geholfen, das Grab des beschuldigten Vikars zu finden. Der Besuch auf dem Friedhof habe dem Mann geholfen, das Erlebte zu verarbeiten.
Dem Erzbistum ist eine hohe Transparenz, aber auch der Schutz der Opfer wichtig. Und Prävention, so wurde ein Präventitionsbeauftragter eingeführt, der seit August 2011 Kirchenangestellte und zum Beispiel Mitarbeiter des BDKJ schult. "Es wurden in der Vergangenheit Fehler gemacht, aber wir wollen den Eltern das Gefühl geben, dass sie mit gutem Gewissen ihre Kinder in die kirchliche Jugendarbeit schicken können", sagt Pressesprecher Ägidius Engel.
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