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"Ich War 14, Als Mich Die Nonne Mit Aufs Zimmer Nahm"

Die Welt
March 25, 2013

http://www.welt.de/vermischtes/article114750241/Ich-war-14-als-mich-die-Nonne-mit-aufs-Zimmer-nahm.html

Karl-Heinz Gro?mann berichtet bei "Westpol" aus seiner Kindheit

Die Damonen wollen ihn nicht verlassen. Neulich erst wieder stand Karl-Heinz Gro?mann auf seinem Balkon und war bereit, sich uber die Brustung zu sturzen. Er stand dort eine Weile, entschied sich dann gegen den Sprung. Stattdessen ging er zum Psychologen und machte seinen unfassbaren Fall publik.

Gro?mann war Patient in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Marsberg (Nordrhein-Westfalen), im St.-Johannis-Stift. In der Einrichtung sollen laut einer WDR-Sendung "Westpol" die Insassen bis in die 70er-Jahre furchtbarem Leid durch Offizielle der Kirche ausgesetzt gewesen sein. Kinder und Jugendliche wurden dort geschlagen, ruhig gestellt und in dunkle Zellen gesperrt.

Seit Wochen verfolgt das Magazin den Fall – auch weil sich immer mehr Opfer melden. Einige von ihnen trauten sich nun vor die Kamera. Die meisten brechen ihr Schweigen nach mehr als 40 Jahren und erzahlen zum ersten Mal von den systematischen Grausamkeiten. Es geht in ihren Schilderungen aber nicht nur um Gewalt und Folter, sondern auch um sexuellen Missbrauch – und zwar durch Nonnen.

"Ich war praktisch Frischfleisch"

Unter den Opfern ist auch Karl-Heinz Gro?mann, ein Mann Anfang 60. Der Zuschauer sieht einen gebrochenem Mann mit Halbglatze und strahlend blauen Augen. Weinend berichtet er, was 1964 geschah. Seine Mutter war alleinerziehend. Das Jugendamt Bochum entzog ihr das Sorgerecht und schickte den damals 13-Jahrigen in die Psychiatrie. Diagnose: debil. Zu debil sogar, um die anstaltseigene Schule zu besuchen.

Das St.-Johannis-Stift heute

"Ich war praktisch Frischfleisch, mit 14, als eine Nonne mich mit auf ihr Zimmer nahm", sagt Gro?mann. "Sie hat mich von oben bis unten entkleidet. Und mich von oben bis unten gestreichelt. Sie hat sich an mir befriedigt. Das Ganze ist funf, sechs Mal passiert." Danach gab es Schokolade.

Der damalige Teenager vertraute sich nach diesem Vorfall seinem spateren Stiefvater an, der sich beschwerte. Doch man glaubte ihm nicht, obwohl es schon damals einen Verdacht gegeben haben muss. Zumindest existiert eine Akte, die den Missbrauch durch einen Lehrer dokumentierte. Doch wie ma?los sich das Personal an den Kindern verging, ahnte wohl niemand. Und auch nicht, dass wie kollektiv die Mitarbeiter dabei vorgingen.

Denn eine Intimsphare gab es fur die Insassen nicht. "Unten waren die Duschen, da mussten sich alle entkleiden. Die Pfleger haben da gesessen, bei den Nonnen war es genau so. Und dann haben sie uns begafft. Sa?en einfach da und haben uns begafft", erzahlt Gro?mann vor der Kamera.

Weigerung der Institutionen zur Mitarbeit

Die Redaktion lie? auch den renommierten Sozialpadagogen und Psychotherapeuten Manfred Kappeler zu Wort kommen. Er halt die Schilderungen der Opfer fur glaubhaft und erklart die psychischen Folgen des institutionellen Missbrauchs: "Das sind Einrichtungen, in denen Menschen uber 24 Stunden des Tages einer Fremdbestimmung unterworfen sind und auch keine Moglichkeit haben, uber das, was ihnen geschieht, nach au?en zu berichten."

Die Gewalt hat das Leben vieler Opfer zerstort, doch eine Aufarbeitung in den Institutionen fehlt. Wie bei vielen Einrichtungen, denen systematische Gewalt von Schutzbefohlenen in den 50er- bis 70er-Jahren vorgeworfen wird, hie? es, es hatten sich nur wenige Opfer gemeldet. Kappeler halt das fur ein Scheinargument, das von der mangelnden Bereitschaft der Tragerinstitutionen zeuge, die strukturelle Gewalt ernst zu nehmen. "Was ist das denn fur eine Anforderung an die Opfer, das in Bewegung zu bringen, was eigentlich in der Verantwortung der Taterinstitution liegt."

Tatsachlich ist bis heute der Landschaftsverband Westphalen-Lippe (LWL) der Trager des St.-Johannes-Stifts. Anfangs weigerte man sich zunachst, die Vorwurfe ernst zu nehmen. Inzwischen haben die Verantwortlichen aber erkannt, dass die Dimension des Missbrauchs sich nicht als Einzelfall weggeredet werden kann.

Ordensschwestern verstorben

Als erste Konsequenz hat der Landschaftsverband Betroffene zu Gesprachen eingeladen. "Wir stehen am Anfang der Analysen, aber die Aussagen, die uns bis jetzt vorliegen, haben fur mich einfach eine so hohe Glaubwurdigkeit, dass ich auch jetzt schon heute an diesem Tage diese Entschuldigung, dieses Mitgefuhl, diese Anteilnahme, diesen Respekt vor dem erlittenen Schicksal ausdrucken kann", sagt der LWL-Krankenhausdezernent Meinolf Noecker.

Der Verband wolle die Verantwortung dafur ubernehmen, "und insofern bitten wir tatsachlich und nachhaltig und aus tiefem Herzen heraus die Betroffenen um Entschuldigung", fugt er hinzu.

Und was ist mit den Ordensschwestern? Fur Pflege und Versorgung der Patienten war bis 1980 der Orden der Vincentinerinnen zustandig. Von dort entsandte man die Schwestern, die die Kinder auch misshandelt und missbraucht haben sollen.

Die heutige Generaloberin, Schwester M. Cacilie Muller, mochte mit den Opfern Gesprache fuhren. "Das lost in mir unendliche Betroffenheit aus und auch ein Stuckchen Beschamung, wenn ich sagen muss, dass Schwestern meiner Gemeinschaft mitgewirkt haben diesbezuglich." Sie wolle sich im Namen ihrer Mitschwestern, "die leider nicht mehr leben, aufrichtig entschuldigen fur das ihnen zugefugte Leid".

Darauf haben die Opfer lange gewartet. Ein Anrecht auf Entschadigung haben sie aber bis heute nicht.

 

 

 

 

 




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